Das Internet erinnert an zerstörte jüdische Gotteshäuser

Wikipedia für Synagogen

Wer etwas über Synagogen in Deutschland wissen will, wird im Synagogen-Internet-Archiv unter www.synagogen.info fündig. Informationen über rund 2.400 jüdische Gotteshäuser und Beträume vom Mittelalter bis heute haben die Macher des Portals inzwischen zusammengetragen.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Meist sind es kurze Informationsschnitzel wie von der Synagoge im rheinland-pfälzischen Bad Ems: "Geschichte in Kurzform. Errichtet: 1837. Zerstörungen: Am 10. November 1938 Einrichtung der Synagoge zerstört, Torarollen zerrissen und vor dem Gebäude verbrannt. Erhalten: Keinerlei Bausubstanz erhalten. Gedenken am Standort: Kein Hinweis auf Gedenken vor Ort." Aber gelegentlich auch Fotos, Kommentare und Zeitzeugenberichte.

Eine Fundgrube für das jüdische Leben in Deutschland, die aus einem Projekt des Fachbereichs Architektur der Technischen Universität Darmstadt um den Ingenieur Marc Grellert (45) hervorgegangen ist. Eine wichtige Quelle auch für die Rekonstruktion der Novemberpogrome von 1938: Von den rund 3.000 Synagogen und Beträumen, die im damaligen Deutschen Reich bestanden, seien über 2.000 Synagogen in der NS-Zeit zerstört worden, haben die Wissenschaftler ausgerechnet. Es müsse davon ausgegangen werden, dass allein im Umfeld der sogenannten Reichskristallnacht 1.400 Synagogen im Reichsgebiet zerstört wurden. Selbst nach 1945, so die Bilanz des Archivs, seien Synagogen oder deren bauliche Reste in Deutschland noch abgetragen worden. "Die Zahl kann mit über 350 angenommen werden."

Idee geht auf Anschlag zurück
Die Ursprünge des Projekts gehen auf das Jahr 1994 zurück: Vor 15 Jahren entstand im Zug des Anschlags auf die Lübecker Synagoge die Idee, die von den Nazis in der Reichspogromnacht zerstörten Synagogen zumindest virtuell zu rekonstruieren und damit auch einen Beitrag des Mahnens und Erinnerns zu leisten. Eine Projektgruppe aus Studierenden und Lehrenden des Fachbereichs Architektur der Technischen Universität Darmstadt erweckte mit Hilfe moderner Technik 15 bedeutende jüdische Gotteshäuser in Computer-Animationen wieder zum Leben. Die daraus entstandene Ausstellung "Synagogen in Deutschland" war unter anderem in der Bonner Bundeskunsthalle und in Tel Aviv zu sehen.

Doch Grellert und der Architekturprofessor Manfred Koob dachten noch
weiter: Im Rahmen seiner Doktorarbeit entwickelte Grellert Ideen, wie im Internet eine neue Form des kulturellen Gedächtnisses entstehen könnte. Das daraus hervorgehende Synagogen-Internet-Archiv startete am 9. November 2002: Seitdem sind auch Internet-Nutzer dazu eingeladen, das gesammelte Wissen nach dem Wikipedia-Prinzip aktiv zu ergänzen.

Mehr als 2.000 Zeitzeugenberichte
Das Archiv wächst ständig. Weit mehr als 2.000 Zeitzeugenberichte, Kommentare, Literaturhinweise, Bilder oder Links haben die User inzwischen beigesteuert. Auch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse werden eingearbeitet, etwa Studien über jüdische Gotteshäuser in Bayern und Baden-Württemberg.

Koob und Grellert nutzen ihr Wissen inzwischen auch gewerblich: Zusammen mit der TU Darmstadt haben sie die Firma "Architectura Virtualis" gegründet, die Schlösser, Kirchen und zerstörte Synagogen am Computer wieder zum Leben erweckt. Rund 25 Städte, darunter Leipzig, München, Dortmund und Berlin, haben inzwischen 3-D-Filme über ehemalige Synagogen herstellen lassen.

Besonders stolz ist Grellert auf sein jüngstes Projekt. Die hessische Stadt Langen hat gerade ihre im November 1938 zerstörte Synagoge wieder auferstehen lassen. Dass sich das Gebäude überhaupt rekonstruieren ließ, war einem glücklichen Zufall zu verdanken. Lange gab es nur ein einziges Foto. Doch bei Recherchen über den Trierer Künstler Max Lazarus fand eine Mitarbeiterin des Trierer Stadtmuseums in den USA Fotos und Zeichnungen der Synagoge. Lazarus hatte die Langener Synagoge 1927 bei Renovierungsarbeiten innen neu gestaltet. Das Ergebnis der Rekonstruktion lässt sich im Internet bewundern.