Das deutsch-polnische Verhältnis ist seit Jahren geprägt von Vorbehalten und Ängsten

Nachbarschaft ohne Nähe?

Das deutsch-polnische Verhältnis wird derzeit im Streit um einen EU-Grundlagenvertrag wieder auf eine harte Probe gestellt. Die Polen befürchten, in der Europäischen Union speziell von Deutschland dominiert zu werden. Immer wieder werden der Zweite Weltkrieg und die damalige Unterdrückungspolitik von Nazi-Deutschland als Grund für die Vorbehalte angeführt.

 (DR)

Im bilateralen Verhältnis gibt es seit Jahren heftige Spannungen.  Vermeintliche Kleinigkeiten sorgen stets für große Aufregung. Seit Lech Kaczynski polnischer Präsident ist und sein Zwillingsbruder Jaroslaw Ministerpräsident, hat sich die Stimmung zwischen den Nachbarstaaten weiter abgekühlt.

Dabei hatte Deutschland Anfang der 90er Jahre alles versucht, die polnischen Befürchtungen zu zerstreuen. Mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als gültiger Westgrenze Polens erreichte die Versöhnung 1990 eine neue Qualität. Der Eintritt Polens in die EU 2004 war ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur Normalisierung des Verhältnisses. Gleichwohl halten sich Befürchtungen der Polen, zwischen größeren Staaten aufgerieben zu werden.

Ausdruck dieser Befürchtung sind derzeit Forderungen Polens im Zuge der geplanten EU-Reform. So verlangt die polnische Regierung ein verändertes Stimmengewicht innerhalb der EU zugunsten kleinerer Länder. Im Grunde geht es der polnischen Staatsführung aber konkret um das deutsch-polnische Stimmenverhältnis, das nicht zu Ungunsten Polens geändert werden soll. Für große Irritationen sorgten in dem Zusammenhang Äußerungen von Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski, wonach die Weltkriegsopfer Polens angerechnet werden müssten, da sein Land ohne die Millionen Toten heute eine Bevölkerung von 66 Millionen Einwohnern hätte.  

Erheblichen Einfluss auf den Ministerpräsidenten soll dessen Mutter haben, die nach Erfahrungen im Warschauer Ghetto große Vorbehalte gegen Deutsche hat und bei der Jaroslaw bis vor wenigen Monaten noch lebte.

Anlass für Nachbarschaftsstreit bietet ferner seit Jahren die Vertriebenen-Frage. So wurden 2006 die Beziehungen durch die vom Bund der Vertriebenen (BdV) organisierte Ausstellung "Erzwungene Wege" über Vertreibungen und Völkermord im 20. Jahrhundert stark belastet.  Die politische Führung sowie polnische Medien sahen in der Schau den Versuch einer Relativierung von Nazi-Verbrechen.

Aus diesem Grund wird auch das vom BdV geplante Zentrum gegen Vertreibungen abgelehnt. Nach Ansicht des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski würde das Zentrum "zu einer Relativierung von Schuld" der Deutschen während des Zweiten Weltkrieges führen.

Dauerthema sind auch Entschädigungsforderungen der "Preußischen Treuhand" als Interessensvertretung von Vertriebenen. Die Bundesregierung unterstützt diese Forderungen nicht. Der ehemalige polnische Präsident Aleksander Kwasniewski hatte sich 2004 gegen jegliche Entschädigungsforderungen für Verluste aus dem Zweiten Weltkrieg ausgesprochen.

Für erheblichen Unmut in Polen sorgt weiterhin auch die geplante Erdgas-Pipeline zwischen Russland und Deutschland. Ab 2010 soll auf dem Grund der Ostsee russisches Erdgas nach Deutschland fließen.  Polen wird dabei umgangen. Alt-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte das Projekt mit Russlands Präsident Wladimir Putin auf den Weg gebracht. Diese Vereinbarung verglichen Lech Kaczynski und sein Zwillingsbruder Jaroslaw mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939, der die Teilung Polens besiegelte.

Von Nachteil für die beiderseitigen Beziehungen waren auch die unterschiedlichen Ansichten zum Irak-Krieg. Warschau positionierte sich im Gegensatz zu Berlin an der Seite der Amerikaner und schickte Truppen in den Irak.

Ende Juni 2006 verschärfte eine Zeitungs-Satire die Spannungen.  Der polnische Präsident wurde darin als "Polens neue Kartoffel" karikiert. Die Regierung in Warschau forderte von der Bundesrepublik eine Entschuldigung und die Bestrafung des Autoren. In Polen werden die Kaczynski-Brüder im Übrigen als "Enten" karikiert.

Lech Kaczynski selbst hatte zuvor im März bei einem Gastvortrag in Berlin nicht gerade durch feinfühlige Worte geglänzt. In einer Rede über ein "solidarisches Europa" an der Humboldt-Universität brandmarkte er Schwule und Lesben als Bedrohung der europäischen Zivilisation.

Deutsch-Polnische Stiftung will der Völkerverständigung dienen
Die im April neu gegründete "Deutsch-Polnische Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz" will nach den Worten ihrer Gründer durch die Pflege des gemeinsamen Kulturerbes der Völkerverständigung dienen. Beide Länder verbinde ein tausendjähriger kultureller Austausch, der bedeutende Zeugnisse von Architektur und Kunsthandwerk hervorgebracht habe, erklärten die Gründungsväter Tessen von Heydebreck, Andrzej Tomaszewski und Gottfried Kiesow im April in Berlin.

Die nach dem Vorbild der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gegründete Einrichtung will sich vorrangig um Bauwerke kümmern, die Zeugnisse des deutsch-polnischen Kulturerbes sind. Die Denkmäler sollten dabei Orte bleiben, an denen der Erfahrungsaustausch zwischen den Ländern fortgeführt werde, so die Stiftung. Zur besseren fachlichen und finanziellen Kontrolle sei eine Schwester-Stiftung in Polen gegründet worden, die Polnisch-Deutsche Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz mit Sitz in Warschau. Beide Einrichtungen seien identisch in Satzung und Zusammensetzung.

Stichwort: Katholische Kirche in  Polen
Die römisch-katholische Kirche ist in Polen mit 36,6 Millionen Mitgliedern die mit Abstand größte Konfession. 95,8 Prozent aller Bürger sind katholisch getauft; die meisten davon praktizieren ihren Glauben regelmäßig. Die Kirche ist in 45 Diözesen unterteilt und verfügt über 133 Bischöfe. Die größten Bistümer sind Kattowitz, Krakau, Posen und Breslau.

Die starke Stellung der katholischen Kirche wurzelt auch in ihrer traditionellen Rolle als Bewahrerin der nationalen Identität in den Jahrhunderten der Teilungen Polens, bei denen das Staatsgebiet zwischenzeitlich ganz verloren ging. Während der kommunistischen Herrschaft nach dem Zweiten Weltkrieg blieb die Kirche eine starke, weit gehend unabhängige Kraft.

Nach der Wahl des Krakauer Erzbischofs Karol Wojtyla zum Papst 1978 trug sie gemeinsam mit der Oppositionsbewegung "Solidarnosc" maßgeblich dazu bei, durch Streiks, Verhandlungen und Wahlen die Vormacht der Kommunisten zu beenden. Nicht nur durch den Rücktritt des frisch ernannten Warschauer Erzbischofs Stanislaw Wielgus vom Sonntag, sondern auch im Zuge der Polen-Reise Papst Benedikt XVI. im Mai 2006 ist innerkirchlich eine Debatte über die bislang kaum erfolgte Aufarbeitung kirchlicher Zusammenarbeit mit den kommunistischen Machthabern entbrannt.

Mit dem Niedergang der "Solidarnosc" nahm der Einfluss der Kirche auf die Parteipolitik in den 90er Jahren ab. Dagegen spielte sie bei der Hinwendung Polens zur EU eine wichtige Rolle. Nachdem weite Teile des Klerus der neuen Westorientierung zunächst skeptisch gegenüberstanden, brachte Johannes Paul II. den Episkopat auf einen europafreundlichen Kurs. Zuletzt gewannen konservative Kirchenkreise mit dem Wahlsieg der Nationalkonservativen neuen Aufwind - auch mit Hilfe des hörerstarken und umstrittenen Senders "Radio Maryja".

Landesweit gibt es rund 10.000 katholische Pfarreien mit etwa 28.500 Priestern, deren Zahl weiter zunimmt. Im Bildungs- und Sozialwesen konnte die katholische Kirche seit dem Ende der kommunistischen Herrschaft ihren Einfluss erheblich ausbauen. An 69 kirchlichen Hochschulen und Universitäten studieren rund 100.000 Menschen. Zudem gibt es mittlerweile mehr als 1.200 katholische Grundschulen sowie über 400 mittlere und weiterführende Schulen.