Das Bundesverfassungsgericht verhandelt Verfassungsklagen

Lissabon beschäftigt Karlsruhe

Hebelt der EU-Reformvertrag von Lissabon das deutsche Grundgesetz aus? Führt er zu einer drastischen Entmachtung deutscher Richter und zu einem Verlust an parlamentarischer Kontrolle? Diese und andere Fragen werden am Dienstag und Mittwoch vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt. Der oberste deutsche Gerichtshof beschäftigt sich mit mehreren Verfassungsklagen zum Vertrag.

Autor/in:
Isabel Guzmán
 (DR)

Darunter sind die des CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler und der Linksfraktion im Bundestag. Deutschland gehört neben Irland, Polen und Tschechien zu den vier EU-Staaten, die den Lissabon-Vertrag nach wie vor nicht endgültig angenommen haben. Bundestag und Bundesrat haben zwar längst ratifiziert, Bundespräsident Horst Köhler hat den Vertrag inhaltlich gebilligt. Es fehlt aber nach wie vor seine Unterschrift - eben wegen dieser Verfassungsklagen.

Derzeit ist nicht vorhersehbar, wie das für das Frühjahr erwartete Urteil ausfällt. Die Kritiker hoffen, dass es der Brüsseler Elite klare Grenzen aufzeigt, selbst wenn der Vertrag nicht gestoppt wird. Die politische Bedeutung der Gerichtsverhandlung lässt sich daran erkennen, dass Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) als Vertrags-Befürworter an der Anhörung teilnehmen.

Gauweiler: Entmachtung des Bundesverfassungsgerichts
Gauweiler, der prominenteste Kläger, ist von Haus aus Rechtsanwalt. Er befürchtet, dass "das deutsche Grundgesetz und seine Schutzfunktion für die Bürger" durch den Lissabon-Vertrag ausgehöhlt werden. Außerdem sieht er eine Entmachtung des Bundesverfassungsgerichts zugunsten des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg - das Bundesverfassungsgericht wird also gewissermaßen auch in eigener Sache urteilen.

Weitere Beschwerdeführer sind der ÖDP-Vorsitzende Klaus Buchner und eine Gruppe um den CSU-Politiker Franz Ludwig von Stauffenberg.
Und schließlich die Linksfraktion: Sie befürchtet eine "Militarisierung" der EU ohne entsprechende Kontrollkompetenzen des EU-Parlaments. Auch der Machtzuwachs der EU im Innen- und Justizbereich gehe nicht mit einer angemessenen Aufwertung der Straßburger Volkskammer einher, heißt es seitens der Partei.

Interesse in anderen EU-Ländern
In den anderen EU-Ländern verfolgt man die Debatte in Deutschland mit Interesse. Etwa in Tschechien, wo das Parlament noch im Februar über den Vertrag abstimmen will. Anschließend muss der europakritische Präsident Vaclav Klaus zustimmen. Europaminister Alexandr Vondra zeigte sich letzte Woche in Straßburg jedoch zuversichtlich, dass die Ratifikation zügig abgeschlossen werde. Er steht unter besonderem Druck: Sein Land hat gerade den EU-Ratsvorsitz inne.

In Polen fehlt immer noch die Unterschrift von Präsident Lech Kaczynski. Dieser verwirrt seine europäischen Partner regelmäßig: So bezeichnete er den Vertrag mal als "Erfolgsgeschichte", mal als "totes Dokument". Dann wieder erklärte er: "Ich werde den Vertrag unterzeichnen, aber als Letzter."

Somit muss Kaczynski auf die Iren warten, die nach wie vor das größte Fragezeichen in der endlosen Vertragsdebatte sind. Das "No" Irlands im Referendum vom Sommer 2008 hatte dem Vertrag seine derzeitige Krise beschert. Im Herbst 2009 soll die Volksabstimmung nun wiederholt werden. Dann wird sich zeigen, ob die Iren sich mit den jüngsten Zugeständnissen wie etwa dem ständigen Kommissarsposten in Brüssel zufrieden geben - und der Vertrag wie geplant spätestens Anfang 2010 in Kraft treten kann.