Darum ist Kant auch nach 300 Jahren so wichtig

Philosoph mit weltweiter Ausstrahlung

Klimawandel, Kriege, Katastrophen: Viele Menschen gehen mit Angst und Sorge ins neue Jahr. Kann die Stimme der Vernunft helfen? Ja, sagt der größte deutsche Philosoph, an den 2024 anlässlich seines 300. Geburtstages erinnert wird.

Autor/in:
Bernward Loheide
Die Totenmaske von Immanuel Kant ist in einer Ausstellung in Bonn zu sehen / © Federico Gambarini (dpa)
Die Totenmaske von Immanuel Kant ist in einer Ausstellung in Bonn zu sehen / © Federico Gambarini ( dpa )

Wer auf das neue Jahr philosophisch blickt, kommt an Immanuel Kant nicht vorbei: Im April jährt sich sein Geburtstag zum 300. Mal. Zahlreiche Veranstaltungen erinnern in den kommenden Monaten daran. Kein anderer deutscher Philosoph hat die Geschichte des Denkens weltweit so sehr geprägt und verändert. Viele seiner Erkenntnisse sind bis heute gültig. Sie können Orientierung geben in Zeiten von Krisen, Kriegen und Klimawandel.

"Zum ewigen Frieden" 

Wie ist ein dauerhafter Frieden zwischen Staaten möglich? Diese brandaktuelle Frage beantwortet Kant in seiner Schrift "Zum ewigen Frieden". Darin schlägt er einen "Völkerbund" vor, eine föderale Gemeinschaft freier republikanischer Staaten. Dieser Plan wurde umgesetzt, als nach dem Ersten Weltkrieg der Völkerbund entstand, der Vorläufer der Vereinten Nationen, und nach dem Zweiten Weltkrieg die UN-Charta in Kraft trat.

Soldaten während einer Militärübung / © Darko Vojinovic (dpa)
Soldaten während einer Militärübung / © Darko Vojinovic ( dpa )

Wann ist eine humanitäre Intervention gerechtfertigt, also eine militärische Einmischung in die Angelegenheiten eines Staates? Auch damit beschäftigt sich Kant. Er rät zu großer Zurückhaltung, schließt aber Ausnahmefälle – etwa bei einem Völkermord – nicht aus.

Menschenwürdiger Umgang mit Flüchtlingen

Zusätzlich zum Völkerrecht entwickelt Kant auch ein Weltbürgerrecht. Damit weist er jeden Kolonialismus und Imperialismus zurück und formuliert Grundzüge eines menschenwürdigen Umgangs mit Flüchtlingen: Jeder Mensch habe in jedem Land ein Besuchsrecht, aber nicht unbedingt ein Gastrecht.

Menschenwürde und Menschenrechte begründet Kant nicht religiös mit Gott, sondern philosophisch mit der Vernunft. Jeder Mensch hat demnach denselben Maßstab: seine unbedingte Freiheit als Pflicht, auch gegen die eigenen Interessen und Vorlieben moralisch zu handeln. Dieser kategorische Imperativ, jeden Menschen als "Zweck an sich selbst" zu schätzen, verbietet jede Diskriminierung.

Denkt wahrhaft global

"Kant ist einer der wenigen wahrhaft global denkenden Philosophen", sagt Otfried Höffe, der die Forschungsstelle für politische Philosophie an der Universität Tübingen leitet. In seinem neuen Buch "Der Weltbürger aus Königsberg" nennt er Kant einen "Lehrer der Menschheit". Der Philosophie-Professor Höffe ist überzeugt: Kant würde sich heute zum Klimawandel gründlich kundig machen, die Verantwortung des Menschen herausarbeiten und Wege zur Lösung des Problems suchen.

Kraft der Vernunft

Denn Kant setzt auf die Kraft der Vernunft. Seine 1781 erschienene Schrift "Kritik der reinen Vernunft" gilt laut Höffe als "Gründungsschrift der modernen Philosophie". Kant zeigt darin, dass die Gegenstände unserer Erkenntnis nicht von selbst so erscheinen, sondern erst vom erkennenden Subjekt zur Erscheinung gebracht werden. Es gibt keinen objektiven Standpunkt jenseits unserer Anschauungsformen von Raum und Zeit, die wir bei allem, was wir sinnlich wahrnehmen, immer schon mitbringen. Und es gibt auch kein Bewusstsein von irgendetwas, ohne dass wir uns dabei unserer selbst bewusst sind.

Dieses Prinzip des transzendentalen Selbstbewusstseins wird zur Initialzündung des Deutschen Idealismus: In Auseinandersetung mit Kant entwickeln Fichte, Schelling und Hegel umfassende philosophische Systeme. Doch keiner von ihnen wird bis heute weltweit so sehr anerkannt wie Kant, der am 22. April 1724 in Königsberg geboren wurde, dem heutigen Kaliningrad (Russland), wo er am 12. Februar 1804 starb.

Faktencheck zum Jubiläumsjahr 2024

Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein. Nicht nur wegen der schrecklichen Kriege, Konflikte und Klimaveränderungen. Sondern auch, weil die großen Werte der Aufklärung – Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit – in der Krise sind. Die Ermordung des Schwarzen George Floyd durch einen weißen Polizisten in den USA 2020 hat diese Krise befeuert. Ist die universale Vernunft, die seit dem 18. Jahrhundert von liberalen Intellektuellen hochgehalten wird, in Wahrheit eine Form rassistischer und kolonialer Unterdrückung?

Porträt Immanuel Kant von Gottlieb Doebler (1724-1804), Öl auf Leinwand, in der Bundeskunsthalle in Bonn / © Bernward Loheide (KNA)
Porträt Immanuel Kant von Gottlieb Doebler (1724-1804), Öl auf Leinwand, in der Bundeskunsthalle in Bonn / © Bernward Loheide ( KNA )
Quelle:
KNA