Autor Alt übt Kritik an kirchlicher Interpretation der Botschaft Jesu

"Dann werden die Kirchen auch wieder attraktiver"

Die Kirchen haben Jesus Christus grundlegend missverstanden, damit seine Botschaft verfälscht und die Menschen davon entfremdet. Das meint der Journalist Franz Alt in seiner "Neujahrspredigt" und stört sich an Übersetzungsfehlern.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Sie schreiben in Ihrer Neujahrspredigt in der "Zeit", dass wir die Bibel in vielen Teilen missverstehen, weil sie nicht aus dem Aramäischen – also der Muttersprache Jesu – übersetzt wurde. Haben Sie dafür ein Beispiel?

Franz Alt (Journalist und Autor): Nehmen Sie das Beispiel, das auch der Papst bei den deutschen Bischöfen schon aufgegriffen und moniert hat: Die schreckliche Farbe unserer Bitte "und führe uns nicht in Versuchung". Das ist ein schreckliches Gottesbild: Ein Gott, der uns in Versuchung führt, ist niemals der Gott Jesu. Jesus meint einen liebenden Gott, aber wir beten seit 2000 Jahren ganz falsch "und führe uns nicht in Versuchung".

Aus dem Aramäischen übersetzt – diese Schriften gibt es noch im Aramäischen, im Gegensatz zu dem, was uns Theologen immer erzählt haben – heißt es: "Und führe uns in der Versuchung", "sei bei uns in der Versuchung". Das ist keine Nebenfrage! Das Gottesbild in einer Religion ist die alles entscheidende Frage. Deshalb würde ich vorschlagen, dass die deutschen Bischöfe dem Papst folgen und es ändern und so beten, wie es Jesus im Aramäischen gesagt hat.

Ich denke, die Tradition ist nicht so wichtig wie das, was Jesus gemeint hat.

DOMRADIO.DE: Sie kritisieren in dem "Zeit"-Artikel aber nicht nur, dass sich die Kirche vor einer Übersetzung aus dem Aramäischen scheut, um eventuell dann mit dieser Übersetzung näher an den Worten Jesu zu sein. "Aus einer Frohbotschaft wurde eine Drohbotschaft", schreiben sie. Die Botschaft Jesu hätten die Kirchen falsch übermittelt oder sogar bewusst gefälscht.

Alt: Davon muss man ausgehen. Ich berufe mich da auf den evangelischen Theologen Günther Schwarz, der 50 Jahre jeden Tag Aramäisch gelernt hat, weil er gesagt hat: Was in meiner aus dem Griechischen übersetzten Bibel steht, kann Jesus nicht gesagt haben, denn er hat Aramäisch gesprochen – wir müssen uns der Ursprache nähern!

Nehmen Sie mal die ganze Sexuallehre der Kirche: Es gibt ein einziges Wort, das von Jesus dazu überliefert ist: Da kam ein Mann zu ihm, der in sexuellen Nöten war und hat ihn um Rat gebeten. Da hat er gesagt: "Habe keine Angst vor der Sexualität, werde aber auch nicht abhängig von ihr". Das ist modernste Sexualpsychologie, was Jesus da vor 2000 Jahren gesagt hat. Daraus haben wir eine Verbotssexualität, eine Drohgeschichte gemacht: Die Kirche, auch die katholische Kirche, ist für Milliarden Sexualneurosen verantwortlich, weil wir diesen Jesus völlig falsch verstanden haben.

Ein anderes Beispiel: Der aramäische Jesus sprach achtmal von Wiedergeburt oder Reinkarnation – haben die Theologen alles herausgestrichen, weil sie es immer besser wissen wollten, als dieser Jesus, der ein ewiger Störenfried war. Deshalb schlage ich vor, die Frohbotschaft des Nazareners, dieses wunderbaren jungen Mannes aus Nazareth, dem die ganze Welt so viel zu verdanken hat, in der Ursprache zu lesen.

Theologen sollen nicht Griechisch, Latein und Hebräisch lernen. Sie müssen zumindest zusätzlich Aramäisch lernen, das ist wichtiger als das Griechische.

DOMRADIO.DE: Auch das Stichwort Glaubwürdigkeit fällt da in Ihrer Neujahrspredigt. Wieso hat die Kirche an diesem Punkt immer wieder zu arbeiten, jetzt auch ganz aktuell wieder?

Alt: Es kann doch kein Zufall sein, dass sich vor dreihundert Jahren nach der Aufklärung zunächst die Intellektuellen abgewendet haben. Im 19. Jahrhundert, als die Gewerkschaftsbewegung und die Sozialisten aufkamen, haben sich die Arbeiter von den Kirchen abgewendet; im 20. Jahrhundert die Frauen – und die jungen Leute gehen heute schon gar nicht mehr hin. Das darf doch nicht wahr sein, dass die Kirche dabei bleiben will, dass sie immer leerer wird!

Jedes Jahr treten in Deutschland eine halbe Million Menschen aus den beiden großen Kirchen aus. Ich finde, diese Botschaft des Nazareners müssen wir in seiner Urfassung wiederherstellen und dann werden die Kirchen auch wieder attraktiver. Die Kirchen verlieren an Glaubwürdigkeit, weil sie die Botschaft Jesu nicht mehr glaubwürdig verkünden können.

DOMRADIO.DE: Trotz aller Kritik sind Sie überzeugter Christ und leben ihren Glauben?

Alt: Ja, das mache ich. "Christ" ist für mich ein etwas schwieriges Wort, ich sage lieber "Jesuaner". Ich versuche das, was Jesus gewollt und uns vorgeschlagen hat – ich versuche ihm nachzufolgen. Das sollte jeder Christ tun. Da braucht man aber den Ur-Jesus und nicht eine Übersetzung, die wirklich nachweisbar an vielen Stellen falsch ist. Günther Schwarz meint sogar: Mehr als 50 Prozent aller Jesusworte seien falsch übersetzt und deshalb wird die Botschaft immer beliebiger und langweiliger.


Franz Alt / © Uli Deck (dpa)
Franz Alt / © Uli Deck ( dpa )
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DR