Immer wieder Streit um die Literatur-Nobelpreise

"Dann hätte man ihn auch Karl May geben können"

​Heinrich Böll, Hermann Hesse und Thomas Mann haben ihn bekommen: den Nobelpreis für Literatur. Seit 1901 wird die Auszeichnung jährlich von der Schwedischen Akademie vergeben. Oft gibt es Streit.

Bücher / © Billion Photos (shutterstock)

"Den Nobelpreis sollte man endlich abschaffen." Noch 2014 ließ der österreichische Schriftsteller Peter Handke kein gutes Haar am Literaturnobelpreis. Die Auszeichnung bringe mit ihrer "falschen Kanonisierung" der Literatur nicht viel Gutes. Sie verschaffe "einen Moment der Aufmerksamkeit, sechs Seiten in der Zeitung", aber für das Lesen bringe sie nichts.

Vergangenes Jahr kam der gebürtige Kärntner, der schon mehrfach bei den Buchmachern hoch gehandelt wurde und seit Jahren in Paris lebt, dann selber in den Genuss der vermeintlich ungeliebten Auszeichnung. Ein weiterer Skandal in der Geschichte der Literaturnobelpreise: Denn Handke stand wegen seiner prekären Parteinahme für serbische Nationalisten und den serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic im Kreuzfeuer der Kritik.

Literatur-Nobelpreis 2018 ausgefallen

Und das in einer Zeit, in der die altehrwürdige Schwedische Akademie, die den Literaturnobelpreis vergibt, in ausgesprochen schlechter Verfassung war: 2018 konnte der Preis nicht vergeben werden, weil infolge von Korruptionsvorwürfen und eines Skandals um sexuelle Belästigung durch Akademiemitglied Jean-Claude Arnault zehn von 18 Mitgliedern der Jury zurücktraten. Der Preis für 2018 wurde erst 2019 verliehen. Neben Handke als Preisträger für 2019 wurde die Polin Olga Tokarczuk rückwirkend ausgezeichnet.

Am Donnerstag wird der begehrteste Literaturpreis der Welt erneut vergeben. Seit es den Literaturnobelpreis gibt, rätselt die Welt immer wieder über die Kriterien der Stockholmer Jury. Schon 1901, als der Franzose Sully Prudhomme den ersten Literaturnobelpreis erhielt, telegrafierten mehr als 40 Schriftsteller an den Russen Leo Tolstoi, es sei eine Schande, dass er übergangen worden sei. Auch Günter Grass galt nach seinem Roman "Die Blechtrommel" jahrelang als "ständiger Nobelpreiskandidat", ehe er 1999 schließlich in die Reihe der Geehrten aufstieg.

Kritik schon in den 50ern

Der Schriftsteller Arno Schmidt spottete in einer in den 1950er Jahren verfassten Polemik gegen die Ehrung für Henryk Sienkiewicz ("dann hätte man ihn genau so gut Karl May geben können!"), Paul Heyse ("Zuckerwasser") und Winston Churchill ("ein ausgesprochener Journalist von Mittelmaß"). Bedeutende Schriftsteller wie Rainer Maria Rilke, Franz Kafka, Alfred Döblin, Georg Trakl und James Joyce seien nie geehrt worden.

Heftige Debatten löste 2016 auch der Preis für den Songwriter Bob Dylan aus. Wochenlang wurde darüber diskutiert, ob er ein Schriftsteller sei, und wenn ja, ein herausragender. Dylan selbst schwieg nach der Bekanntgabe lange, schickte dann die lapidare Meldung, er fühle sich geehrt, und anschließend die Mitteilung, dass er zur Verleihung in Stockholm nicht erscheinen werde. Mit mehr als drei Monaten Verspätung holte er sich den Preis dann doch in Stockholm ab - bei einem Treffen unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Zwei Auserwählte haben den Preis abgelehnt: Boris Pasternak im Jahr 1958, wohl auf Druck der sowjetischen Behörden, und Jean Paul Sartre 1964, der nach eigenen Angaben keinerlei Ehrungen annahm.

Deutsche Preisträger

Deutschland hat einige Preisträger von Weltruhm vorzuweisen. Herta Müller (2009), Günter Grass (1999) und Heinrich Böll (1972) wurden für ihr Gesamtwerk geehrt. Nelly Sachs (1966) wurde für ihre "hervorragenden lyrischen und dramatischen Werke, die das Schicksal Israels mit ergreifender Stärke interpretieren" ausgezeichnet. Thomas Mann (1929) erhielt den Preis für die "Buddenbrooks" und der Historiker Theodor Mommsen (1902) für seine mehrbändige "Römische Geschichte". Auch Hermann Hesse (1946) und Gerhart Hauptmann (1912) spielen im deutschen Literatur-Kanon eine große Rolle. Doch wer kennt noch die Literaturnobelpreisträger Rudolf Eucken (1908) oder Paul Heyse (1910)?

Und der Preisträger für 2020? Fast 200 Kandidaten sind nomminiert. Doch wer am Ende den prestigeträchtigsten Literaturpreis mitsamt einem Preisgeld von diesmal zehn Millionen Kronen (rund 950.000 Euro) erhalten wird, darüber lässt sich wie üblich nur spekulieren. Meist ist die Jury für eine Überraschung gut.

Christoph Arens


Medaille mit dem Konterfei von Alfred Nobel / © Kay Nietfeld (dpa)
Medaille mit dem Konterfei von Alfred Nobel / © Kay Nietfeld ( dpa )
Quelle:
KNA