Chronologie: Ein Jahr nach dem Jahrhundertbeben in Japan

Erdbeben, Tsunami und Super-GAU

Ein Jahr nach dem gewaltigen Erdbeben und Tsunami in Japan ist das Land immer noch von der Katastrophe gezeichnet. Eine Chronologie der wichtigsten Ereignisse.

 (DR)

11. März 2011

Japan wird vom schwersten Erdbeben seiner Geschichte und einem Tsunami heimgesucht. Das Beben ereignet sich um 14.46 Uhr (Ortszeit) etwa 125 Kilometer vor der Nordostküste in zehn Kilometer Tiefe. Seine Stärke wird zunächst mit 8,9 beziffert und später auf 9,0 korrigiert. Das gewaltige Beben und die folgende, bis zu zehn Meter hohe Flutwelle richten verheerende Schäden an und verwüsten ganze Landstriche. Mehrere hundert Tote werden gemeldet, doch ist abzusehen, dass die tatsächliche Zahl der Opfer weit höher liegt. Für den gesamten Pazifikraum wird Tsunami-Alarm ausgelöst; die Wellen bleiben aber niedriger als befürchtet.



Im Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi 270 Kilometer nordöstlich von Tokio versagt das Kühlsystem, die Radioaktivität steigt drastisch an. Die Regierung ruft den Notstand aus und lässt tausende Anwohner evakuieren. Ein Brand in einem Turbinengebäude der Atomanlage Onagawa kann gelöscht werden. Auch in der Wiederaufbereitungsanlage Rokkasho gibt es Probleme mit der Kühlung.



12. März

Nachbeben erschüttern die Region. Das volle Ausmaß der Zerstörung ist nicht abzusehen. Die Behörden gehen von deutlich mehr als 1.000 Opfern und 10.000 Vermissten aus.



Die Lage im AKW Fukushima-Daiichi wird immer dramatischer. Eine Wasserstoffexplosion in Reaktorblock 1 lässt das Gebäude teilweise einstürzen; der Stahlbehälter des Reaktors selbst soll aber unbeschädigt sein. Vier Menschen werden verletzt. Ein Vertreter der Atomaufsicht schließt nicht aus, dass eine Kernschmelze bereits eingetreten ist. Am frühen Sonntagmorgen gibt die Atomaufsicht Alarm auch für Block 3. Inzwischen gilt wegen eines Ausfalls des Kühlsystems auch für die nahegelegene Anlage Fukushima-Daini der atomare Notstand. Der Evakuierungsradius wird auf 20 Kilometer ausgeweitet. Zehntausende Anwohner sollen sich in Sicherheit bringen.



Für Deutschland sieht Bundeskanzlerin Angela Merkel keine Gefahr. Nach einem Krisentreffen in Berlin kündigt sie indes sicherheitshalber eine Überprüfung der deutschen Atommeiler an.



13. März

Mehr als 150 Nachbeben wurden bislang registriert. In viele Gebiete konnten Rettungsmannschaften noch nicht vordringen. Tausende Erdbebenopfer frieren in Notunterkünften. Millionen Haushalte sind ohne Strom oder Wasser, im ganzen Land wird der Strom knapp. Mehr als 1.800 Tote sind bestätigt, mit deutlich mehr als 10.000 wird gerechnet. Ministerpräsident Naoto Kan spricht von der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.



Die größte Sorge bereiten die Atomkraftwerke. Auch in Block 3 von Fukushima-Daiichi droht eine Explosion wie in Block 1. Dass zur Notkühlung Meerwasser eingeleitet wurde, werten Experten als Indiz dafür, dass die Behörden die Reaktoren aufgegeben haben und nur noch um jeden Preis eine Kernschmelze verhindern wollen. Probleme mit der Kühlung gibt es auch in Fukushima-Daini und im AKW Tokai.



14. März

Die befürchtete Explosion in Block 3 zerstört die Außenwände des Gebäudes, elf Menschen werden teils schwer verletzt. Auch in Block 2 droht Explosionsgefahr, die Brennstäbe lagen offenbar zweimal komplett frei. In den drei Reaktoren ist nach Worten eines Regierungssprechers eine Kernschmelze mittlerweile "höchst wahrscheinlich".



Angesichts des Dramas in Japan vollzieht die Bundesregierung eine Wende in ihrer Atompolitik: Die erst Ende November beschlossene Laufzeitverlängerung für die deutschen Kernkraftwerke wird für drei Monate ausgesetzt.



15. März

Die Lage gerät zunehmend außer Kontrolle: In Fukushima-Daiichi ereignet sich die dritte Explosion, diesmal in Block 2. Nach Angaben der Betreiberfirma Tokyo Electric Power Co (Tepco) wird dabei der Reaktordruckbehälter beschädigt. In Block 4 brennt es, Radioaktivität tritt aus.



In einem Abklingbecken für verbrauchte Brennelemente kocht das Wasser womöglich. Kan sagt in einer Fernsehansprache, aus vier Reaktorblöcken sei Strahlung ausgetreten. 140.000 Menschen im Umkreis von 30 Kilometern um das Kraftwerk sollen nicht ins Freie gehen. Auch in Tokio werden leicht erhöhte Strahlenwerte gemessen.



16. März

Die Arbeiter im Unglückskraftwerk müssen wegen zu starker Strahlung vorübergehend abgezogen werden. Zur Minimierung der Risikos arbeiten die rund 180 Mitglieder des Notteams in rotierenden Schichten. Die Regierung erhöht die maximal zulässige Strahlenbelastung für Mitarbeiter in Atomanlagen auf mehr als das Doppelte.



Kaiser Akihito wendet sich in einer Fernsehansprache an die Japaner und bekundet den Opfern sein Mitgefühl. Die Lage in den Atomkraftwerken bezeichnet der 77-Jährige als unberechenbar.



17. März

Mit Wasserwerfern, Löschfahrzeugen und Hubschraubern versuchen die Helfer die überhitzten Reaktoren im Katastrophenkraftwerk zu kühlen. Die Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien beurteilt die Lage als weiter "sehr ernst".



18. März

Eine Woche nach der Naturkatastrophe gedenkt Japan mit einer Schweigeminute der Opfer. Offiziell bestätigt sind inzwischen fast 7.000 Tote und 10.700 Vermisste. Mehr als 450.000 Menschen leben in Notunterkünften.



Die Atomaufsicht stuft die Havarie in Fukushima von 4 auf 5 auf der 7-stufigen Störfallskala herauf; das entspricht dem Schweregrad des Atomunglücks von Three Mile Island in Harrisburg/USA 1979.



19. März

Trinkwasser und Lebensmittel aus der Region Fukushima sind strahlenbelastet, auch im Wasser der Millionenmetropole Tokio und weiterer Regionen werden geringe Mengen radioaktiven Jods entdeckt.



20. März

Die Lage im Unglückskraftwerk hat sich stabilisiert. Die Zahl der Toten und Vermissten übersteigt 20.000.



21. März

Über zwei Reaktorblöcken steigt grauer Rauch auf, die Einsatzkräfte werden in Sicherheit gebracht. Im Meer vor Fukushima werden hohe Radioaktivitätswerte gemessen.



22. März

Neue Stromleitungen für Pumpen und Kühlanlagen im AKW Fukushima, sinkende Temperaturen in einem Abklingbecken: Die Hoffnung auf eine Wende wächst.



23. März

Die Regierung schätzt den Sachschaden auf über 200 Milliarden Euro. Die Zahl der Toten steigt über 9.500, der Vermissten auf etwa 16.000. Viele Opfer wurden vermutlich ins Meer gerissen und werden nie gefunden werden.



Minimale Mengen Radioaktivität aus Fukushima erreichen Europa. Im Kontrollraum von Block 3 brennt wieder Licht, das Kühlsystem hat aber immer noch keinen Strom.



25. März

Die Atomaufsicht vermutet eine Beschädigung des Reaktorkerns in Block 3, was zu deutlich höherer Strahlung in der Umgebung führen würde. Die Evakuierungszone von 20 Kilometern wird vorerst nicht ausgeweitet, bis 30 Kilometer sollen die Menschen aber nicht ins Freie gehen.



Mehr als 10.000 Leichen sind geborgen, mehr als 17.000 Menschen werden noch vermisst.



Die EU verschärft die Kontrollen für Lebensmittel aus Japan und beschließt einen einheitlichen "Stresstest" für die 143 Atomkraftwerke in der Europäischen Union.



27. März

Tepco meldet zunächst millionenfach erhöhte Strahlenwerte und zieht die Angabe Stunden später wieder zurück: Es sei ein Messfehler gewesen. Immerhin ist die Belastung des Wassers im Block 2 100.000-fach höher als normal.



28. März

Die Regierung nennt den Messfehler unverzeihlich. Sie vermutet als Ursache der hohen Belastung in Block 2 eine partielle Kernschmelze. Im Boden des Kraftwerksgeländes wird hochgiftiges Plutonium entdeckt.



29. März

Ministerpräsident Kan spricht von der schwersten Krise Japans seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Regierung räumt ein, dass die bisherigen Standards für Atomsicherheit nicht ausreichten, und kündigt eine Überprüfung an.



30. März

Das japanische Kaiserpaar besucht Erdbebenopfer in einer Notunterkunft in Tokio.



Im Gebiet außerhalb der Evakuierungszone um Fukushima wurden laut IAEA hohe Strahlenwerte gemessen, doppelt so hoch wie die Richtwerte für eine Räumung.



31. März

Tepco meldet 10.000-fach erhöhte Strahlenwerte im Wasser unter dem AKW-Gelände, die Daten werden indes angezweifelt. Die Strahlung behindert auch die Bergung von Tsunami-Opfern in der Evakuierungszone. Bisher wurden mehr als 11.000 Leichen gefunden.



2. April

In einem Schacht des havarierten AKWs wird ein Riss entdeckt, aus dem hoch radioaktives Wasser ins Meer rinnt. Erstmals seit dem Beben besucht Kan das Katastrophengebiet.



3. April

Im Kraftwerkskomplex werden zwei seit dem Erdbeben vermisste Arbeiter tot geborgen. Die Regierung schätzt, dass aus der Atomruine noch monatelang Strahlung entweichen wird.



4. April

Versuche, mit Beton und Kunstharz das Leck abzudichten, sind gescheitert. 10.000 Tonnen kontaminiertes Wasser werden ins Meer gepumpt, um in den Auffangbecken Platz für noch stärker verstrahltes Wasser zu schaffen. Die IAEA rügt Tepco wegen unzureichender Sicherheitsmaßnahmen.



5. April

Der Anteil von radioaktivem Jod im Meerwasser bei Fukushima übersteigt die gesetzlichen Grenzwerte um mehrere Millionen Mal. Tepco wiegelt jedoch ab, die Menge verteile sich zügig und bedeute keine Gefahr. Die Regierung erlässt erstmals Grenzwerte für Fisch.



6. April

Die EU kündigt verschärfte Grenzwerte für Lebensmittel aus Japan an. Das Leck konnte mit Flüssigglas offenbar abgedichtet werden. Die Einleitung von Stickstoff in die beschädigten Reaktoren soll weitere Wasserstoffexplosionen verhindern.



7. April

Nach zahllosen Nachbeben wird die Region von einem schweren Erdstoß der Stärke 7,1 erschüttert. Ein Tsunami bleibt aus. Knapp vier Wochen nach der Katastrophe verstärken hunderte Polizisten und Soldaten die Suche nach Opfern. Bislang wurden 12.500 Todesfälle bestätigt, doch vermutlich liegt die Zahl doppelt so hoch.



8. April

Nach dem jüngsten Beben sind eine halbe Million Haushalte ohne Strom. Das AKW Fukushima meldet keine neuen Probleme.



11. April

Japan gedenkt der Opfer der Katastrophe vor genau einem Monat. Kurz nach den Zeremonien ereignet sich ein zweites schweres Nachbeben binnen weniger Tage. Wegen der Strahlenbelastung um Fukushima wird die Evakuierungszone auf 30 Kilometer ausgeweitet.



12. April

Die japanische Regierung stuft das Atomunglück von Fukushima nun offiziell auf der höchsten Gefahrenstufe 7 und damit als so schwerwiegend wie die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vor fast genau 25 Jahren ein.



18. April

Roboter erkunden die Strahlung in den Reaktorblöcken von Fukushima: Sie ist so hoch, dass Menschen vorerst nicht hinein können. Die Atomaufsicht NISA bestätigt, dass partielle Kernschmelzen stattgefunden haben. Tepco hofft, die Anlage binnen neun Monaten unter Kontrolle zu bringen. Greenpeace rechnet mit einer jahrzehntelangen Kontamination der Evakuierungszone.



21. April

Die Regierung erklärt die 20-Kilometer-Evakuierungszone dauerhaft zum Sperrgebiet. Hier lebten einmal 80.000 Menschen.



25. April

25.000 Soldaten beginnen eine weitere große Suchaktion nach Katastrophenopfern. Mehr als 14.300 Tote sind bestätigt, rund 12.000 Menschen werden noch vermisst.



2. Mai

Das japanische Parlament verabschiedet einen Nachtragshaushalt zur Finanzierung des Wiederaufbaus, der Ausgaben von 33 Milliarden Euro vorsieht.



5. Mai

Erstmals betreten wieder Arbeiter ein Reaktorgebäude in Fukushima, um Belüftungsanlagen zu installieren.



6. Mai

Acht Wochen nach der Katastrophe fordert die Regierung den Energieversorger Chubu auf, das AKW Hamaoka aus Sicherheitsgründen vom Netz zu nehmen und gegen Erdbeben und Tsunami nachzurüsten. Sie zieht damit eine erste Konsequenz aus der Überprüfung aller 54 Atommeiler. Hamaoka liegt in einer Region mit hohem Erdbebenrisiko und gilt als gefährlichstes Kernkraftwerk Japans. Es wird am 9. Mai heruntergefahren.



10. Mai

Kurswechsel in der japanischen Energiepolitik: Die Regierung verzichtet auf einen weiteren Ausbau der Kernenergie von derzeit 30 auf 50 Prozent und will künftig verstärkt auf alternative Energiequellen und Energiesparen setzen.



20. Mai

Tepco-Chef Masataka Shimizu erklärt seinen Rücktritt.



24. Mai

Tepco räumt ein, dass es in zwei Reaktoren zu einer Kernschmelze gekommen ist.



27. Juni

Ministerpräsident Naoto Kan ernennt einen Minister für den Wiederaufbau nach dem Tsunami und einen weiteren Minister für die Bewältigung der Folgen des Atomunglücks. Der Minister für Wiederaufbau tritt nach nur einer Woche im Amt wieder zurück.



10. Juli

Ein Erdbeben der Stärke 7,3 erschüttert den Nordosten Japans und führt kurzfristig zu einer Tsunami-Warnung in der Region.



25. Juli

Das japanische Parlament bewilligt weitere Mittel in Höhe von fast zwei Billionen Yen (knapp 18 Milliarden Euro) zum Wiederaufbau der durch Tsunami und Erdbeben zerstörten Region.



30. August

Nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Naoto Kan wird Yoshihiko Noda zu seinem Nachfolger gewählt.



30. September

Japan erlaubt den Bewohnern aus fünf Kommunen im Umkreis von 20 bis 30 Kilometern rund um das Atomkraftwerk die Rückkehr in ihre Häuser.



21. Oktober

Das japanische Kabinett gibt weitere 115 Milliarden Euro für den Wiederaufbau frei.



31. Oktober

Ein Expertengremium veranschlagt für die Stilllegung des Atomkraftwerks Fukushima einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren.



4. November

Die japanische Regierung kündigt eine Finanzhilfe von 900 Milliarden Yen (8,4 Milliarden Euro) für den angeschlagenen Kraftwerksbetreiber Tepco an.



17. November

Japan stoppt erstmals eine Lieferung von Reis aus der Umgebung von Fukushima wegen zu hoher Strahlenwerte.



16. Dezember

Die japanische Regierung erklärt das Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi für stabil.



01. Januar 2012

Ein Erdbeben der Stärke 7,0 lässt die Wolkenkratzer der japanischen Hauptstadt Tokio schwanken, richtet aber keine Schäden an.



30. Januar 2012

Die japanische Regierung beschließt eine Begrenzung der Laufzeit seiner Atomkraftwerke auf 40 Jahre an.



03. Februar 2012

Am Atomkraftwerk Fukushima tritt durch ein Leck an der Wasseraufbereitungsanlage erneut Radioaktivität aus.