Chronik der Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln

Eine unveröffentlichte Studie und die Folgen

​Seit längerem sorgt ein bislang nicht veröffentlichtes Missbrauchs-Gutachten im Erzbistum Köln für Wirbel. In der Christmette bat Kardinal Rainer Maria Woelki um Verzeihung. Was ist dem vorausgegangen?

Symbolbild: Dokumente auf einem Schreibtisch / © JARIRIYAWAT (shutterstock)
Symbolbild: Dokumente auf einem Schreibtisch / © JARIRIYAWAT ( shutterstock )

Kardinal Rainer Maria Woelki bat um Verzeihung, "was die von sexueller Gewalt Betroffenen und Sie in den letzten Tagen und Wochen vor Weihnachten im Zusammenhang mit dem Umgang des Gutachtens zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in unserem Erzbistum, was sie an der Kritik darüber und insbesondere auch an der Kritik an meiner Person ertragen mussten".

Eine Chronologie wichtiger Stationen der Debatte:

25. September 2018: Die Deutsche Bischofskonferenz stellt eine bundesweite Studie zu Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Geistliche ohne Nennung von Namen vor. In den Kirchenakten von 1946 bis 2014 fanden die Autoren Hinweise auf bundesweit 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe und 1.670 beschuldigte Priester, Diakone und Ordensleute. Im Erzbistum Köln verzeichnen sie mindestens 135 Betroffene und 87 beschuldigte Priester.

13. Dezember 2018: Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki beauftragt die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW), in einem Gutachten zu prüfen, ob die Diözesanverantwortlichen bei Missbrauchsfällen im Einklang mit kirchlichem und staatlichem Recht handelten und ob ihr Vorgehen dem kirchlichen Selbstverständnis entsprach. Rechtsverstöße und hierfür Verantwortliche seien möglichst konkret zu benennen.

10. März 2020: Das Erzbistum sagt die für den 12. März 2020 geplante Vorstellung des Gutachtens überraschend ab. Die vorgesehene Nennung von Verantwortlichen müsse noch "äußerungsrechtlich" abgesichert werden. Befürchtet werden Rechtsstreitigkeiten mit ehemaligen oder aktiven Entscheidungsträgern.

23. September 2020: Vorwürfe gegen den Hamburger Erzbischof Stefan Heße werden bekannt, nach denen er in seiner Zeit als Personalchef im Erzbistum Köln Missbrauchsfälle vertuscht haben soll. Die "Zeit"-Beilage "Christ&Welt" veröffentlicht Teile des WSW-Gutachtens, in denen Heße eine "indifferente" und "von fehlendem Problembewusstsein" geprägte Haltung gegenüber Opfern vorgeworfen wird. Heße weist die Anschuldigungen zurück.

14. Oktober 2020: Die "Bild"-Zeitung erhebt erneut Vertuschungsvorwürfe gegen Heße, die er ebenfalls zurückweist. Es geht um Pfarrer U., der sich zwischen 1993 und 1999 mehrfach an seinen zwischen 6 und 13 Jahre alten Nichten vergangen haben soll. Im Sommer 2020 hatte die Staatsanwaltschaft Köln den Geistlichen angeklagt.

30. Oktober 2020: Das Erzbistum Köln teilt mit, dass das WSW-Gutachten nicht veröffentlicht werden soll. Dabei beruft es sich auf andere Gutachter wie den Kölner Strafrechtler Björn Gercke, wonach die Untersuchung "methodische Mängel" enthalte. Gercke bekommt den Auftrag für ein neues Gutachten, das spätestens am 18. März 2021 veröffentlicht werden soll.

9. November 2020: Erneut wirft "Bild" Erzbischof Heße Fehlverhalten vor. Diesmal geht es um den Priester A., der trotz zweimaliger Verurteilung wegen Kindesmissbrauchs später erneut in den Bistümern Münster, Köln und Essen als Seelsorger tätig war. Heße soll 2008 über einen ihm bekannt gewordenen Verdacht gegen A. nicht den Missbrauchsbeauftragten des Erzbistums Köln informiert haben. Heße behauptet, sehr wohl Bericht erstattet zu haben.

12. November 2020: Die Kanzlei WSW veröffentlicht ein Missbrauchsgutachten für das Bistum Aachen. Es belastet unter anderem Altbischof Heinrich Mussinghoff (80) und seinen früheren Generalvikar Manfred von Holtum (76) und bescheinigt ihnen eine "unverdiente Milde" gegenüber des Missbrauchs verdächtigten und verurteilten Geistlichen.

18. November 2020: Die inzwischen zurückgetretenen Sprecher des Betroffenenbeirats im Erzbistum Köln, Patrick Bauer und Karl Haucke, werfen Woelki in einem Zeitungsbeitrag "erneuten Missbrauch von Missbrauchsopfern" vor. Die Zustimmung des Gremiums zur abgesagten Veröffentlichung des WSW-Gutachtens sei unter Druck gefallen und der Rat "völlig überrannt" worden.

20. November 2020: Heße informiert die römische Bischofskongregation über die Vorwürfe gegen seine Person. DerVatikan soll nach Veröffentlichung der Kölner Studie über seine Zukunft als Hamburger Erzbischof entscheiden. Sein Amt als Geistlicher Assistent des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) lässt er bis zur Klärung der Vorwürfe ruhen.

26. November 2020: Ein vom Erzbistum Köln bisher zurückgehaltenes WSW-Sondergutachten zum verurteilten Missbrauchstäter A. gelangt an die Öffentlichkeit. Der "Kölner Stadt-Anzeiger" veröffentlicht die Expertise.

28. November 2020: Kardinal Woelki und Generalvikar Hofmann kündigen an, das WSW-Gutachten Einzelpersonen zugänglich zu machen. Es soll Betroffenen oder Journalisten "im rechtlich möglichen Rahmen" offen stehen, wenn das Gercke-Gutachten im März fertiggestellt ist. Zugleich geben sie Pläne zur Gründung einer unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle bekannt.

2. Dezember 2020: Ein Forschungsteam um den Historiker Thomas Großbölting veröffentlicht erste Ergebnisse einer Missbrauchsstudie über das Bistum Münster. Sie attestiert den verstorbenen Bischöfen Joseph Höffner, Heinrich Tenhumberg und Reinhard Lettmann "massives Leitungs- und Kontrollversagen". Sein Vorgehen orientiere sich an dem der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, so Großbölting.

9. Dezember 2020: Ein weiterer Missbrauchsfall aus dem WSW-Gutachten wird öffentlich. Medienberichten zufolge soll der heute 73-jährige Ruhestandsgeistliche und religionspädagogische Sachbuchautor F. in den 80er-Jahren erstmals auffällig geworden sein. Der frühere Kardinal Joachim Meisner und sein Generalvikar, der heutige Weihbischof Dominikus Schwaderlapp, sollen den Geistlichen nicht mit den vorgeschriebenen Sanktionen belegt haben.

10. Dezember 2020: Der "Kölner Stadt-Anzeiger" veröffentlicht den Missbrauchsfall des Priesters O. und erhebt Vorwürfe gegen Kardinal Woelki. Er soll kurz nach seinem Amtsantritt als Erzbischof 2014 von dem Fall erfahren, ihn aber nicht nach Rom gemeldet haben. O. soll sich in den 70-er Jahren an einem Jungen im Kindergartenalter vergangen haben.

16. Dezember 2020: Das Erzbistum bestätigt, dass der Betroffene sich bei Woelki gemeldet hat. Es habe inzwischen auch ein Gespräch zwischen ihm und dem Kardinal gegeben. Zu den Inhalten gibt es keine weiteren Angaben.

24./25. Dezember 2020: Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki äußert sich in der Christmette zum Verhalten des Erzbistums bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen. In einem persönlichen Wort bittet er Betroffene von Missbrauch sowie die Katholiken im Erzbistum um Verzeihung für die in den vergangenen Wochen entstandenen Irritationen. "Zu den Sorgen, die Sie alle durch Corona ohnehin schon haben, haben wir, habe ich leider noch eine Bürde hinzugefügt." Zugleich wirbt er mit Blick auf die weiteren Schritte zur Aufarbeitung um Geduld.


Quelle:
KNA