"Das liegt mir alles sehr, sehr am Herzen", pflegt Wulff zu versichern, wenn er über seine Agenda spricht. Der Klimaschutz gehört dazu und die Versöhnung der Weltreligionen. Die größte Resonanz fand der Bundespräsident bislang mit seinem Satz, dass auch der Islam inzwischen zu Deutschland gehört.
Thematisch hat er sich keinem bestimmten Steckenpferd verschrieben, wie etwa sein Vorgänger Horst Köhler mit der Afrikapolitik. Wulff arbeitet bei seinen Staatsbesuchen vielmehr aktuelle, offene Fragen ab und agiert dabei gelegentlich als eine Art Nebenaußenminister. Deutschlands Rolle in der Welt sei gewachsen, meint Wulff. Deswegen wolle er - in enger Absprache mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle - auf diplomatischem Parkett mit anpacken, wo immer es möglich sei.
Der Bundespräsident machte sich für eine Reform der Vereinten Nationen stark. In Bethlehem erklärte er, der Frieden im Nahen Osten sei möglich. Im TV-Sender Al Dschasira zeigte er sich solidarisch mit dem demokratische Aufstand der arabischen Jugend. Libyens Machthaber Gaddafi trage Züge eine Psychopathen, schimpfte Wulff unpräsidial in Berlin.
Die Probleme könnten nicht mehr national gelöst werden, meint der Bundespräsident und nennt die Armutsbekämpfung, die Ernährungssicherung, die Überwindung der Wirtschaftskrise und eine saubere und bezahlbare Energieversorgung. Zusammenhalt in der Gesellschaft, Zukunft der Demokratie, Mut zum Wandel, lauten die zentralen Themen des Bundespräsidenten.
Vision für das Miteinander
Wulffs Zauberwort heißt "Empathie". Er will sich in andere Menschen hineinversetzen, um sie wirklich zu verstehen. Der Bundespräsident beruft sich dabei auf den Soziologen und Ökonomen Jeremy Rifkin, der in der Empathie die Vision für das Miteinander der Menschheit in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft sieht.
Wulffs Kritiker allerdings gehen mit ihm alles andere als zimperlich um. Der Bundespräsident sei in erster Linie auf seine Image bedacht und suche bislang vergeblich nach einer Überschrift für seine Amtszeit, war zuletzt zu lesen. Nach einem hämischen "Spiegel"-Bericht soll Wulff persönlich verletzt gewesen sein, sagen Leute, die ihn kurz nach Erscheinen des Magazins getroffen haben.
Der Chefposten im Schloss Bellevue ist ein schwieriges Amt. Ohne reale Macht ausgestattet, muss das Staatsoberhaupt durch Persönlichkeit und goldene Worte glänzen, gegen Angriffe zu Wehr setzen kann er sich kaum. Lange Zeit war Kritik am Inhaber der höchsten Amtes in Deutschland tabu. Seit Wulffs Vorgänger ist das anders geworden. Horst Köhler ließ sich zunächst erfolgreich als Bürgerpräsident stilisieren, der nichts mit der politischen Klasse gemein habe. Dann verlor er den Faden und trat schließlich spektakulär zurück. Das hat das Amt noch schwieriger gemacht.
Köhler hatte seinen Rücktritt mit mangelndem Respekt begründet, bereits wenige Monate später sah sich Wulff zu ähnlicher Wortwahl gezwungen. Kritisiert worden war seine anfängliche Zurückhaltung im Fall des Provokateurs Thilo Sarrazin. Forderungen, er solle sich schnell grundlegend zum Thema Integration äußern, ließen "jeglichen Respekt vor dem Amt vermissen", ließ Wulff verschnupft wissen.
Bereits der Beginn seiner Amtszeit war turbulent verlaufen. Kurz nachdem er sich erst im dritten Wahlgang in der Bundesversammlung gegen den Bürgerrechtler Joachim Gauck durchgesetzt hatte, verbrachte er mit seiner Familie den Sommerurlaub in der Luxusvilla des befreundeten Finanzunternehmers Carsten Maschmeyer auf Mallorca. Obwohl Wulff selber zahlte, wurde Kritik an der unsensiblen Wahl des Urlaubsorts laut. Dann gerieten Äußerungen zum möglichen Rücktritt von Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland nach dem Unglück auf der Loveparade ins Kreuzfeuer der Kritik. Später auch sein Agieren beim Rückzug Sarrazins aus dem Vorstand der Bundesbank.
Die Dauerkritik aus der Anfangsphase hat Wulff vorsichtig gemacht. Auch in Hintergrundgesprächen äußert er sich zu innenpolitischen Fragen praktisch nicht mehr. Die Irritationen der ersten Wochen erklärt er inzwischen damit, dass er nach dem Rücktritt Köhlers so unvermittelt schnell wie kein anderer vor ihm ins höchste Amt gelangte. Eben noch CDU-Ministerpräsident von Niedersachsen, musste er in kürzester Frist auf präsidiale Zurückhaltung umschalten.
"Im Amt angekommen"
Inzwischen sei er "im Amt angekommen", versichert Wulff. Und es mache ihm Freude. Im Schloss Bellevue habe er so viel Zeit wie noch nie in seiner politischen Karriere, um interessante Gespräche mit interessanten Leuten zu führen. Und er hat an seiner Seite seine Frau Bettina, die mit Verve und Charme "bella figura" für Deutschland macht.
Politprofi Wulff hat sich also im Schloss Bellevue eingerichtet. Und er wird sicher versuchen, weitere Akzente zu setzen. Außenpolitisch feilt der Bundespräsident an einem internationalen Netzwerk auf höchster Ebene. Der Emir von Katar, den Wulff schon aus seiner Zeit als VW-Aufsichtsrat kennt, ist ebenso dabei wie Russlands Präsident Dmitri Medwedew. Auch seine Amtskollegen aus der Türkei und Polen, Abdullah Gül und Bronislaw Komorowski, gehören dazu.
Christian Wulff ist ein Jahr Bundespräsident
Der gute Mensch vom Schloss Bellevue
Nach einem Jahr dürfe man Bilanz ziehen, hat Christian Wulff zu Beginn seiner Amtszeit gesagt. Was also hat der Bundespräsident im ersten Jahr erreicht?
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