Charlotte Knobloch kündigt ihren Rückzug an - wohl nicht freiwillig

"Sie wird öffentlich vorgeführt"

Generationswechsel beim Zentralrat der Juden in Deutschland: Die Vorsitzende Charlotte Knobloch wird nicht für eine zweite Amtszeit kandidieren. "Die große alte Dame des deutschen Judentums", sagt der jüdische Publizist Günther B. Ginzel, "wurde auf unwürdige Art und Weise aus dem Amt gedrängt". Im domradio-Interview wirft er dem Zentralrat Altersdiskriminierung vor. Für die Zukunft erwartet er nichts Gutes.

 (DR)

domradio: Frau Knobloch wurde vor allem durch ihre Stellvertreter Korn und Graumann sowie durch den Generalsekretär Kramer unter Druck gesetzt: Sie wollten, dass die Vorsitzende ihren Stuhl noch vor November räumt. Wie geschwächt gehen Korn, Graumann und Kramer jetzt aus dieser Auseinandersetzung hervor?
Ginzel: Außerordentlich geschwächt, denke ich. Es mag sein, dass sie vordergründig ihr Ziel erreicht haben. Aber die Mittel, mit denen sie das getan haben: dem Lancieren von Indiskretionen an die Presse; die große alte Dame des deutschen Judentums mit Presseartikeln zu konfrontieren, deren Inhalt sie noch nicht einmal geahnt hatte. Sie sitzt in Osnabrück und wirkt mit der Einweihung einer neuen Synagoge und muss Zeitungsmeldungen lesen, dass sie nicht mehr kandidieren will, eine Idee, die sie bis dahin selber noch nicht hatte! Das ist ein Stil, der nichts Gutes erwarten lässt und der ein denkbar ungünstiges Licht auf die potentiellen Nachfolger wirft.

domradio: Was geschehen ist, war unfair?
Ginzel: Das war nicht nur unfair. Das ist doch kein Kaninchenzüchterverein, es ist ein Verband, der nicht zuletzt aufgrund des historisch-moralischen Anspruchs seine Bedeutung zieht. Da kann man doch nicht eine der letzten Überlebenden, die sich seit Jahrzehnten auf deutschen und europäischen Ebenen für jüdische Belange einsetzt auf eine solch unwürdig unschöne Art und Weise aus dem Amt drängen - ohne dass vorher bekannt geworden wäre, dass man inhaltliche Probleme hätte, dass man in irgendeinem Punkt mit ihr nicht einverstanden wäre, dass man andere Akzente setzen möchte. Es ist rein die Frage: Jetzt wollen wir auch mal ran. So hat es den Anschein. Und der Anschein alleine spricht gegen sie.

domradio: Frau Knobloch wurde vor allem vorgeworfen, dass sie in ihrer Position zu sehr der Vergangenheit verhaftet sei.
Ginzel: Das stimmt  nicht. Es ist schlicht und ergreifend eine Polemik, die dann aufgebaut wird, weil man irgendetwas rechtfertigen will. Frau Knobloch hat sicherlich nicht alles richtig gemacht, wie denn auch. Sie hat in vielen innerjüdischen Belangen versagt. Sie hat in keiner Weise eine Mediation zwischen liberalen und orthodoxen Juden vorgenommen, sie hat nicht für einen Ausgleich gesorgt, sie hat nicht für Ruhe in den Gemeinden gekämpft, sie hat ihre moralische Kompetenz und Kraft nicht eingesetzt, um die oftmals intern zerstrittenen Gemeinden zu einigen. Da kann man ihr sicherlich Defizite vorwerfen. Aber gerade sie - wie etwa auch Paul Spiegel, wie etwa auch Ignatz Bubis  - haben gerade aufgrund der Erlebnisse in der Vergangenheit Konsequenzen für die Gegenwart herausgefiltert. Es erinnert mich sehr an die sogenannten Mütter und Väter in der evangelischen Kirche in den 50er und 60er Jahren, die diese Kirche auf den Kopf gestellt haben und die Konsequenzen einer verfehlten Theologie, die Auschwitz ermöglichte, eingefordert haben. Ich nenne im Katholischen nur Johann Baptist Metz. Alt bedeutet nicht rückwärtsgewandt, Holocaustangehöriger bedeutet nicht Verharren in einer frustrierten Position des Gedenkens, sondern ganz im Gegenteil: Gerade Frau Knobloch - ähnlich wie ihr Vorgänger Paul Spiegel - haben daraus geschöpft, dass sie versteckt worden sind, dass sie in der schrecklichen Zeit wunderbare Menschen entdeckten, Christen fanden, die sie gerettet haben. Und aus dieser differenzierten Erfahrung haben sie einen differenzierten Umgang mit der Politik geformt. Das müssen die Jüngeren erstmal nachmachen.

domradio: Als Knoblochs Nachfolger ist Dieter Graumann im Gespräch, der 1950 in Israel geboren wurde. Was würde das für den Zentralrat bedeuten, wenn an der Spitze jemand stände, der die Nazi-Zeit nicht mehr selbst miterlebt hat?
Ginzel: Das ist interessant für die Feuilletons in Deutschland - innerjüdisch ist es weitgehend belanglos. Es ist eine Generation, die ja geprägt ist, dazu zähle ich auch. Wir sind geprägt von unseren Eltern und da, wo sie überlebt haben, den Großeltern. Wir sind mit den Traumata aufgewachsen. Graumann ist auch schon Großvater. Er hat die ganzen Jahre über die Politik des Zentralrates mit gestaltet und mitgetragen. Wo soll da plötzlich das Neue kommen? Das müsste man zuerst abwarten. Vordergründig sehe ich nichts Neues, was Stil und Inhalte anbelangen.

domradio: Welche Aufgaben stehen Charlotte Knobloch in den verbleibenden gut neun Monaten ihrer Amtszeit noch bevor?
Ginzel: Das ist natürlich sehr schwierig, sie ist jetzt verletzt, denke ich. Sie wird öffentlich vorgeführt, es werden die Medien eingesetzt, um sie vorzeitig aus dem Amt zu drängen. Das muss man mit 77 Jahren erstmal verkraften. Zudem ist sie jemand, die eine der größten jüdischen Gemeinden - die in München - mit hervorragenden Erfolgen in den letzten 20 Jahren geführt hat. Sie wird sich sicherlich weiter auf diese Gemeinde konzentrieren. Aber: Es trifft einen Menschen, der noch in Saft und Kraft steht. Vor Kurzem habe ich noch mit ihr gesprochen, da war nichts, gar nichts von Resignation oder Rücktritt zu spüren. Es trifft einen natürlich, wenn man plötzlich als einziges Argument das Alter vorgeworfen bekommt. Es ist nicht so einfach zu verkraften.

domradio: Was wünschen Sie ihr?
Ginzel: Dass sie weitermacht. Dass sie die Denkerin im Hintergrund wird, wo sie vielleicht auch viel freier sein kann.

Das Gespräch führte Monika Weiß.