CDU will Stichtag für Import von Stammzellenlinien verschieben - Kirche enttäuscht

Neue Stammzellen für deutsche Forscher?

Die CDU will den Umgang mit embryonalen Stammzellen lockern. Der Parteitag sprach sich am späten Montagabend in Hannover in einer schriftlichen Abstimmung mit knapper Mehrheit dafür aus, die Verschiebung des Stichtags für den Import solcher Zellen zu ermöglichen. Damit wäre die Forschung an neueren Stammzelllinien auch in der Bundesrepublik möglich. 323 Delegierte stimmten für die Verschiebung des Stichtags, 301 dagegen, zehn enthielten sich der Stimme. Prälat Jüsten bedauerte die Entscheidung.

 (DR)

Bisher dürfen deutsche Forscher nur solche Stammzelllinien importieren und verwenden, die vor dem Stichtag am 1.1.2002 entstanden sind. Im Bundestag soll im kommenden Jahr über eine Verschiebung näher an die Gegenwart heran entschieden werden. Die Unionsfraktion wollte vor einer Debatte im Parlament das Votum des CDU-Parteitags abwarten. Wie bei ethischen Entscheidungen üblich, wird die Abstimmung im Parlament aber wohl ohne Fraktionszwang erfolgen.

Substanz des Stammzellengesetz bleibt erhalten
Bundesforschungsministerin Annette Schavan warb eindringlich für eine Verschiebung des Stichtags. Sie sei ethisch "verantwortbar". Sie könne ihre Überzeugungen als katholische Theologin und ihre Verantwortung als Forschungsministerin mit einem solchen Beschluss vereinbaren, sagte sie. Auch wenn der Stichtag verschoben werde, werde die Substanz des Stammzellgesetzes erhalten. Von Deutschland werde auch weiterhin kein Anreiz ausgehen, Embryonen für die Forschung zu produzieren.

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel schaltete sich kurz vor der Abstimmung in die Debatte ein und unterstützte die Position von Schavan. Sie habe sich "nach langer Überlegung" der Argumentation der Forschungsministerin angeschlossen, sagte Merkel. Die Delegierten hätten in so einer wichtigen Frage ein Anrecht darauf, die Haltung ihrer Parteivorsitzenden zu kennen.

Embryonale Stammzellforschung überflüssig machen
Es gäbe auch eine Ethik des Heilens hatte Schavan betont. Für eine gewisse Zeit müsse eine Forschung mit embryonalen Stammzellen möglich sein, um zu besseren Ergebnissen in der adulten Stammzellenforschung zu kommen. 97 Prozent der Förderung gehe in Deutschland in die adulte Stammzellforschung. Ziel müsse sein, die embryonale Stammzellforschung überflüssig zu machen. Sie sei aber als Vergleichsforschung noch erforderlich. Ohne die Forschung an embryonalen Zellen wären die jüngsten Erfolge bei der Reprogrammierung adulter Zellen nicht möglich gewesen.

Amerikanischen und japanischen Forschern war es vor kurzem gelungen, Haut- und Bindegewebszellen so umzubauen, dass sie die Fähigkeit embryonaler Zellen besitzen, sich zu allen Zellformen weiterzuentwickeln. Davon erhofft man sich die Heilung und Nachzucht für erkrankte Gewebe, etwa bei Krebs.

Kirche bedauert Entscheidung
Die katholische Kirche hat das Votum des CDU-Bundesparteitags zur Stammzellforschung deutlich kritisiert. Der Leiter des Katholischen Büros bei der Bundesregierung, Prälat Karl Jüsten, nannte die Entscheidung zur Stammzellenfoschung bedauerlich. Die CDU habe am gleichen Tag in ihrem neuen Grundsatzprogramm immer wieder auf die Würde des Menschen und die Bedeutung des christlichen Menschenbildes verwiesen.

Die Abstimmung zur Reform des Stammzellgesetzes "war dafür ein Lackmustest", so der Prälat. Die hehren Aussagen eines Grundsatzprogramms müssten sich in solchen konkreten praktischen Fragen beweisen. Der Parteitag habe es verpasst, eine eindeutige Position auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes zu beschließen.

Kritiker: "ethische Wanderdüne"
Auch in der Partei selbst gibt es viele Kritiker. Die Vorsitzende der Frauen Union, Maria Böhmer, lehnte eine Verschiebung des Stichtags ab: "Dann ist der Stichtag kein Stichtag mehr." Der 2002 gefasste Beschluss, an dessen Erarbeitung Böhmer maßgeblich beteiligt war, sei als einmaliger Beschluss zu verstehen.

Die stellvertretende rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende Julia Klöckner warnte ebenfalls davor, den geltenden Stichtag in Frage zu stellen. Es würden weitere Verschiebungen folgen wie eine "ethische Wanderdüne", sagte Klöckner. Die Orientierung am christlichen Menschenbild, am Schutz der Menschenwürde und des menschlichen Lebens müsse auch in der konkreten Politik der CDU erkennbar sein.