CDU-Politikerin zur Resolution zur Beschneidung

Rechtssicherheit nötig

Der Bundestag hat sich am Donnerstag in einer Sondersitzung für die Zulässigkeit religiöser Beschneidungen von Jungen ausgesprochen. Eine Mehrheit mit Stimmen aus allen Fraktionen votierte für einen entsprechenden Entschließungsantrag von Union, SPD und FDP. Die religionspolitische Sprecherin der Union, Maria Flachsbarth, erläutert das Anliegen.

 (DR)

domradio.de: Wir haben viel Für und Wider gehört in diesem Tagen. Worin man sich einig ist: Es braucht Rechtssicherheit in dieser Sache und jetzt soll es möglichst schnell gehen. Wenn es so dringend ist: Warum hat man sich bisher dieses Themas nicht angenommen?--
Dr. Flachsbarth: Weil bisher - bis eben zu diesem Urteil des Landgerichts Köln - nicht klar war, dass es sich dort um eine so gravierende Rechtsunsicherheit handelt.



domradio.de: Deutschland hat die Kinderschutzkonvention unterzeichnet, auf die viele Beschneidungskritiker sich nun berufen. Darin steht, dass alle Beschädigungen von Kindern untersagt sind. Fällt also aus Ihrer Sicht hinsichtlich der Beschlussfassung im Bundestag die Beschneidung nicht darunter?--
Dr. Flachsbarth: Wir werden im Deutschen Bundestrag noch nichts beschließen, wir werden die Bundesregierung überfraktionell und hoffentlich mit großer Mehrheit auffordern oder bitten, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Wie der im Einzelnen formuliert sein wird, liegt am Bundesjustizministerium, das das jetzt federführend prüfen muss. Die Grundrechte, die in diesem Fall zu betrachten sind, sind ja drei verschiedene, die sämtlich im Grundgesetz festgehalten sind: Einerseits ist es tatsächlich Artikel 2 des Grundgesetzes "Das Recht auf körperliche Unversehrtheit". Darüber hinaus gebietet Art. 4 GG die "Religionsfreiheit" und Art. 6 GG das "Erziehungsrecht der Eltern". Und ein wesentlicher Bestandteil des Erziehungsrechts der Eltern ist es, die eigenen Kinder in einem eigenen sozio-kulturellem Kontext zu erziehen, d.h. also auch in der eigenen religiösen Überzeugung. Von daher ist es ein wenig einfach gedacht, lediglich auf die körperliche Unversehrtheit abzustellen und diese anderen hohen Rechtsgüter nicht in dem Maße zu würdigen, wie das notwendig wäre. Das ist auch meine leise Kritik an dem Urteil aus Köln. Deshalb der Wunsch, da jetzt tatsächlich nachzuarbeiten und Rechtssicherheit zu schaffen.



domradio.de: Was sagen Sie denn dazu, dass es sich immerhin um einen irreversiblen Eingriff handelt, für den es keine zwingenden medizinischen Gründe gibt?--
Dr. Flachsbarth: Dem ist so. Das lässt sich auch nicht einfach vom Tisch wischen. Ich gebe aber auch zu bedenken, dass es durchaus auch ohne religiösen Kontext, z.B. wenn es um das Ohren-Durchstechen bei kleinen Mädchen oder die Korrektur von Segelohren geht, Eltern durchaus zugebilligt wird, tatsächlich kleine Angriffe an ihren Kindern vornehmen zu lassen, die genauso irreversibel sind. Nur vor dem aktuellen Hintergrund ist es eben auch noch der religiöse Kontext, in dem sich diese Fragen stellen. Deshalb plädiere ich sehr für eine rechtliche Klarstellung und auch für eine Klarstellung in dem Sinne, dass eine Beschneidung bei Jungen - das ist sehr wichtig, das hat nichts mit Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen zu tun - möglich ist, wenn es denn der religiöse Hintergrund der Erziehungsberechtigten erfordert.



domradio.de: Es ging in dieser Diskussion auch viel um die Bedingungen jüdischen Lebens in Deutschland. Orthodoxe Rabbiner haben das Kölner Beschneidungsurteil als schwerste Attacke seit dem Holocaust bezeichnet. Haben Sie diese heftigen Reaktionen überrascht?--
Dr. Flachsbarth: Also es geht tatsächlich um die Ermöglichung jüdischen, aber gleichzeitig auch muslimischen Lebens in Deutschland. Es geht darum, ein Umfeld zu schaffen, in dem die religiösen Überzeugungen dieser beiden großen Religionsgemeinschaften gelebt werden können. Für mich waren diese Anwürfe in der Tat sehr heftig, das will ich nicht verhehlen - auch vor dem Hintergrund, dass es ja wichtige Stimmen gibt, die sich nach dem Kölner Urteil sehr, sehr eindeutig für die Ermöglichung dieses Rituals in Deutschland ausgesprochen haben. Es gab viele Stimmen aus der Politik, nicht zuletzt aber auch die Stimmen der beiden großen christlichen Kirchen. Von daher hoffe ich, dass wir jetzt gemeinsam auf einem guten Weg sind.



domradio.de: Glauben Sie auch, wie es einige FDP-Politiker formulieren, dass diese Diskussion einen Imageschaden für Deutschland bedeutet hat?--
Dr. Flachsbarth: Sehen Sie, wir sind ein plurales Land, wir sind ein freies Land. Dass es unterschiedliche Meinungen zu unterschiedlichen Dinge gibt, gehört zu unserer Pluralität dazu, das gehört zu unserer Diskussionskultur. Dass wir uns auf der anderen Seite aber auch bemühen, Rechtssicherheit zu schaffen und ganz eindeutig die Maßgaben sicherzustellen, unter denen eben auch religiöses Leben der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften hier in Deutschland möglich ist, das gehört auch zu unserem Rechtsstaat und zu unserer politischen Diskussionskultur. Und das ist gut so! Das halte ich nicht für eine Situation, die einen Imageschaden verursachen könnte.



domradio.de: Das heißt, Sie halten diese Diskussion, egal wie polemisch sie teilweise auch verlief, insgesamt für gut, um sich in einem Staat wie dem unseren über die Fähigkeiten oder Möglichkeiten der Religionsfreiheit auszutauschen?--
Dr. Flachsbarth: Das ist so. Das ist eine Frage, die sich uns natürlich immer wieder stellt: Das Grundgesetz gibt dazu ganz, ganz klare Maßgaben. Offensichtlich gibt es hier in diesem einen Fall im Zusammenhang mit der Beschneidung von Jungen eine Rechtsunsicherheit, einen Diskussionsbedarf, und dem wird jetzt entsprochen.



Das Interview führte Stephanie Gebert.



Hintergrund

Der Bundestag hat sich am Donnerstag in einer Sondersitzung für die Zulässigkeit religiöser Beschneidungen von Jungen ausgesprochen. Eine Mehrheit mit Stimmen aus allen Fraktionen votierte für einen entsprechenden Entschließungsantrag von Union, SPD und FDP. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, im Herbst einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Der Bundestag reagierte damit auf ein Urteil des Kölner Landgerichts vom Mai, das die religiöse Beschneidung als unzulässige Körperverletzung gewertet hatte.



Die Beschneidung soll laut Antrag fachgerecht und ohne unnötige Schmerzen geschehen. Dabei seien die Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung zu berücksichtigen. Der Rechtsexperte der Unions-Fraktion, Günter Krings (CDU), begründete den Antrag als "ein klares Signal" an die Gemeinden, dass jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland nicht nur möglich sein solle, sondern auch nicht unzumutbar beschränkt werden dürfe.



Zugleich stellte Krings klar, dass mit den Antrag "keine inhaltliche Befürwortung oder Werbung für die Beschneidung" verbunden sei. Sie sei keine Bagatelle. Der CSU-Abgeordnete Johannes Singhammer hob wie andere Redner den klaren Unterschied zur weiblichen Genitalverstümmelung hervor, die weiterhin strafbar sei.



Die SPD-Abgeordnete Christine Lambrecht sprach von einer sehr schwierigen Abwägung, da ein Gesetz unterschiedliche Rechtsgüter unter ein Dach bringen müsse. Aufgrund der Rechtsunsicherheit könne der Gesetzgeber aber nicht auf eine höchstrichterliche Entscheidung warten. Der FDP-Rechtsexperte Jörg van Essen hob die Verpflichtung des Gesetzgebers auf das Kindeswohl hervor. Allerdings sei die Religionsausübung ein wesentlicher Teil der Religionsfreiheit, und für Juden wie Muslime gehöre dazu konstitutiv die Beschneidung.



Die Grünen-Fraktion hatten sich dem Antrag nicht angeschlossen. Ihr Erster Parlamentarischer Geschäftsführer, Volker Beck, verwies dazu auf die noch offene Entscheidungsfindung vieler Grünen-Abgeordneter. Er selbst begründete seine Zustimmung mit der Religionsfreiheit von Eltern und Kind. Wesentlich bei der Grundrechte-Abwägung sei die grundlegende Bedeutung der Beschneidung für Juden und Muslime. Der Eingriff sei zwar irreversibel, aber doch vergleichsweise gering, und führe nicht zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung.



Der Linken-Abgeordnete Jens Petermann folgte in seiner Bewertung hingegen dem Kölner Gericht und gab dem Recht des Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit gegenüber dem Sorgerecht der Eltern und ihrer Religionsfreiheit den Vorrang. Eine Beschneidung diene nicht dem Kindeswohl, so Petermann. Er plädierte dafür, das "frühkindliche Ritual" in das "Schmerzlos-Symbolische" zu verschieben und die Betroffen später im mündigen Alter selbst über einen chirurgischen Eingriff entscheiden zu lassen.