Caritas warnt: Folgen für Arbeiter in Integrationsbetrieben

Am Rande des Mindestlohnes

Der Mindestlohn allein garantiert noch keine Lohngerechtigkeit. Im domradio.de-Interview spricht Caritaspräsident Neher über die Folgen für Menschen mit Behinderung und über den Beitrag jedes Einzelnen zu gerechten Löhnen.

Integrationsbetrieb in Halle (dpa)
Integrationsbetrieb in Halle / ( dpa )

domradio.de: 8,50 Euro pro Stunde klingen erst einmal nicht verkehrt. Ein Armutsrisiko dürfte dann nur aufkommen, wenn man nicht auf genügend Stunden kommt, oder?

Prälat Peter Neher (Präsident des Deutschen Caritasverbandes): Das ist sicherlich richtig. Ganz grundsätzlich ist ein Mindestlohn ein wichtiger Baustein in Blick auf eine gerechte Entlohnung und gegen Niedriglöhne. Wir dürfen uns aber nichts vormachen, dass das auch ein Mindestlohn ist, der um künftig Altersarmut zu vermeiden oder überhaupt ein auskömmliches Einkommen zu sichern, sehr knapp bemessen ist.

domradio.de: Sie machen den besonderen Hinweis, dass der Mindestlohn, so wie er jetzt geplant ist, durchaus auch Menschen benachteiligt, zum Beispiel Menschen mit Behinderung. Können Sie den Zusammenhang bitte erklären?

Prälat Neher: Das ist eine nicht ganz geringe Gruppe von Menschen, die in Integrationsbetrieben arbeiten. Das sind ja arbeitnehmerähnliche Beschäftigungen, bei denen die Kostenträger eine wichtige Rolle spielen. Wenn tatsächlich diese Menschen auch den Mindestlohn bekommen sollen, was grundsätzlich zu begrüßen ist, dann muss auch die Refinanzierung entsprechend geregelt werden. Dieser Punkt ist bisher nicht berücksichtigt und nicht beachtet. Darum ist unsere Sorge, dass dann genau hier die Mittel fehlen für die Menschen, die in den Integrationsbetrieben arbeiten, was für diese Gruppe aber eine ganz wichtige Form der Beschäftigung ist.

domradio.de: Wurde da Ihrer Meinung nach etwas übersehen?

Neher: Übersehen oder als nicht für wichtig erachtet, um gewisse Stringenz des Mindestlohnes durchzusetzen, das ist eher mein Verdacht. Dass man sich geweigert hat, spezielle Punkte noch einmal in den Blick zu nehmen. Deshalb haben wir das noch einmal so deutlich betont, dass für diese Personengruppe, die tatsächlich hier am Rand sind, der Mindestlohn nicht zum Nachteil werden darf.

domradio.de: Wie blicken Sie grundsätzlich auf die Ausnahmeregelungen, die es gibt?

Neher: Die Übergangsregelungen für Zeitungsausträger oder für Saisonarbeiter halte ich schon für sinnvoll. Unsere Sorge war von Anfang an, dass der gutgemeinte Mindestlohn für bestimmte Arbeitsbereiche zum Nachteil wird und sie dann davon gar nicht betroffen sind bzw. so betroffen sind, dass Arbeitsplätze wegbrechen. Insofern halte ich die Übergangsregelungen für dringend notwendig, dass sich diese Wirtschaftsbereiche Stück für Stück diesem Lohnniveau annähern können.

domradio.de: Die Lücken, die es jetzt ihrer Ansicht nach noch gibt bei dem gesetzlichen Mindestlohn, wie könnten sie geschlossen werden?

Neher: Menschen haben einen großen Bedarf und eine Sehnsucht nach einer gerechten Entlohnung, was ich voll und ganz unterstützen und befürworten kann. Wir dürfen uns aber nichts vormachen, zu einem Mindestlohn gehören ja auch die dazu, die bereit sind, auch die Kosten zu tragen. Wer grundsätzlich immer nach Schnäppchen schielt oder den Friseur haben möchte, der für 5,50 Euro die Frisur vornimmt, der muss selber überlegen, was kann jeder einzelner dafür tun, damit eine gerechte Entlohnung stattfindet. Das schaffen sie allein mit einer Gesetzeslage zum Mindestlohn nicht. Es geht ja auch darum, was Arbeit wert ist und wie kann Arbeitsleistung von Menschen anerkannt werden. Nicht nur grundsätzlich, sondern ganz konkret. Bei denen ich mir eine Dienstleistung einkaufe oder etwas erwerbe. Ich glaube, das ist unsere Aufgabe auch als Caritas, hier tatsächlich diesen gesellschaftlichen Diskussionsprozess mit zu befördern und entsprechend voran zu bringen, dass tatsächlich dieses Bewusstsein vom Wert der Arbeit über den Mindestlohn weit hinausgeht.

domradio.de: Wie betrifft Sie die Debatte als Arbeitgeber, als Präsident des Caritasverbandes?

Neher: Die Fahrtdienste, das ist so ein kritischer Punkt, da muss man gucken, wie wir da auch hinkommen, was auch mit Kostenträgern zu tun hat. Die Entlohnung im Bereich der Caritas, was die arbeitsrechtlichen Verhältnisse angeht, ist weit über dem Mindestlohn. Von daher brauchen wir uns an der Stelle keine Sorge zu machen.

Das Interview führte Daniel Hauser

 

Peter Neher (dpa)
Peter Neher / ( dpa )
Quelle:
DR