Caritas sieht Nachbesserungsbedarf bei 49 Euro-Ticket

Günstige Tickets, schlechter ÖPNV?

Obwohl das neue Deutschland-Ticket für 49 Euro für die Caritas Berlin ein sehr guter Schritt ist, sieht Direktorin Ulrike Kostka noch Nachbesserungsbedarf. Vor allem für ältere und arme Menschen sei das Ticket noch nicht ausgereift.

Das 49-Euro-Ticket kommt.  / © Firn (shutterstock)

DOMRADIO.DE: 49 Euro für ein Ticket, das deutschlandweit gültig ist. Auch wenn es deutlich mehr als das Neun-Euro-Ticket im Sommer ist, würden Sie sagen, Kosten- und Nutzenfaktor gleichen sich aus?

Ulrike Kostka, Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin / © Gordon Welters (KNA)
Ulrike Kostka, Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin / © Gordon Welters ( KNA )

Prof. Dr. Ulrike Kostka (Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin): Es ist ein sehr guter Schritt, damit der öffentliche Nahverkehr von noch mehr Menschen genutzt wird und ist natürlich auch zum Teil eine deutliche Entlastung, weil die Tickets oft teurer sind als Tickets. Aber es nützt nicht jedem. Der öffentliche Nahverkehr muss überhaupt vorhanden sein und das ist in ländlichen Regionen oft nicht gegeben.

DOMRADIO.DE: Was ist mit Menschen, die jetzt weniger Geld verdienen oder am Existenzminimum kratzen? Ist es wirklich, wie Bundesverkehrsminister Volker Wissing gesagt hat, noch nie so einfach gewesen, Bus und Bahn zu nutzen?

Kostka: Es ist natürlich einmal ein großer Vorteil, dass es diesen deutschlandweiten Preis jetzt gibt. Das heißt, dass Menschen, die zum Beispiel in Berlin ein Ticket kaufen, damit auch woanders hinreisen können. Das erhöht schon die Mobilität, auch für Menschen, die wenig Geld zur Verfügung haben. Aber gleichzeitig ist es natürlich immer noch relativ teuer und deswegen ist es schon gut, dass zum Beispiel in Berlin ein Sozialticket besteht und auch, dass das günstiger sein soll. Ich glaube, man muss wirklich noch mal in den verschiedenen Kommunen und Landkreisen und Bundesländern gucken: Ist es wirklich möglich, dass Menschen mit geringen Einkommen sich das leisten können? Deswegen finde ich es gut, dass wir da in Berlin noch mal eine Staffelung haben.

Das 49-Euro-Ticket kommt

Die Verkehrsunternehmen halten einen Start des neuen Deutschlandtickets im Nah- und Regionalverkehr im Januar für nicht machbar. Realistisch sei eine Einführung am 1. März, sagte Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Das Ticket sei in kurzer Frist nicht umzusetzen. Wolff sagte weiter, für eine Übergangszeit werde es das Ticket auch in Papierform geben.

Bahnschienen (Symbolbild) / © Kosmogenez (shutterstock)
Bahnschienen (Symbolbild) / © Kosmogenez ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: In Berlin gibt es ja das Sozialticket für neun Euro für Menschen mit wenig Geld. Das ist nicht überall der Fall. Wäre das Ihrer Meinung nach aber nötig, wäre das quasi die Schwelle, die man auf jeden Fall erreichen muss für Menschen, die es sonst einfach nicht schaffen?

Kostka: Ideal wäre es natürlich, wenn man das erreichen würde. Aber das ist natürlich grundsätzlich ein Thema, denn wenn die Preise so abgesenkt werden und gleichzeitig der öffentliche Nahverkehr nicht mehr weiterentwickelt werden kann, die ganze Infrastruktur, dann haben wir auch ein Problem. Das heißt, die finanziellen Überlegungen müssen auch kongruent sein, dazu, wie der ÖPNV überhaupt aussieht. Da mache ich mir natürlich schon Gedanken, denn es nützt den Menschen nichts, ein günstiges Ticket zu haben, wenn der ÖPNV nicht gut funktioniert, die Züge total überlastet sind oder kein Personal da ist.

Deswegen bin ich ein bisschen vorsichtig, das jetzt alles gleich in den Himmel zu loben. Der Ausbau des ÖPNV muss mit diesen finanziellen Entscheidungen zusammen laufen. Und das ist, denke ich, eine der größten Herausforderungen. Deswegen dauern ja die Prozesse, bis das Deutschland-Ticket eingeführt wird, auch noch eine Weile, denn das muss von den Verkehrsunternehmen auch durchkalkuliert werden. Was wir nicht brauchen sind günstige Tickets, aber ein schlechter ÖPNV.

Ulrike Kostka, Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin

"Was wir nicht brauchen sind günstige Tickets, aber ein schlechter ÖPNV"

DOMRADIO.DE:  Es gibt Leute, die sind immer aufs Auto angewiesen und haben diesen ÖPNV gar nicht, weil sie auf dem Land leben. Das ist von manchen Seiten das Totschlagargument. Wie sehen Sie das? Muss da wirklich da noch was passieren oder ist es doch eigentlich eine ganz gute Lösung?

Kostka: Ein großes Problem ist das natürlich für ländliche Regionen, in denen die Verbindungen ganz, ganz schlecht sind. Denen nützt das nicht sehr viel. Da kommen wir natürlich mittelfristig nur weiter, wenn der ÖPNV verbessert wird, denn letztendlich müssen wir den ÖPNV für alle gut nutzbar machen. Aber da gibt es ein Problem. Da sind natürlich vor allen Dingen auch Pendler, die auf das Auto angewiesen sind, um zur Arbeit zu kommen, wirklich benachteiligt. Ich bin jetzt nicht für einen Tankkosten-Rabatt für alle. Das ist nicht die Lösung.

Aber da muss man weiter nachdenken, denn das ist ein Problem: Wir haben auch schon Menschen – das kenne ich auch aus Brandenburg und Vorpommern – die es sich kaum noch leisten können, zur Arbeit zu kommen, weil die Spritkosten steigen. Die werden dadurch natürlich nicht entlastet. Dafür gibt es jetzt noch keine richtige Lösung. Da muss man auf jeden Fall auch weiterdenken, ohne dann wieder irgendein Gießkannenprinzip zu machen.

DOMRADIO.DE: Das Ticket soll ja digital erhältlich sein. Was machen Leute, die zum Beispiel gar kein Handy haben?

Kostka: Das ist ein riesiges Problem. Wir haben viele Menschen, die von der digitalen Teilhabe aus verschiedensten Gründen ausgeschlossen sind. Und deswegen muss das Deutschland-Ticket auch am Schalter erhältlich sein. Es kann nicht sein, dass es das nur digital gibt. Viele ältere Menschen, aber auch Menschen, die einfach nicht die Sprachkompetenzen haben, können sonst nicht an die Tickets kommen. Da muss aus meiner Sicht auf jeden Fall nachgebessert werden, denn wenn es schon günstige Mobilität für alle gibt, müssen auch alle da ran kommen. Und das geht eben dann auch für manche nur so, wenn sie das Ticket auch vor Ort am Schalter erhalten können.

Das Interview führte Michelle Olion.

Quelle:
DR