Caritas-Präsident Neher zu den Plänen einer Zuschussrente

"Schon heute Vorsorge treffen"

In die Diskussion um eine Zuschussrente für Geringverdiener ist Bewegung gekommen. Neben den Oppositionsparteien melden sich auch die Kirchen zu Wort. Im domradio.de-Interview macht sich Caritas-Präsident Peter Neher für Nachbesserungen stark.

 (DR)

KNA: Herr Prälat Neher, wie brisant ist das Thema Altersarmut?

Neher: In unseren Einrichtungen können wir bislang keine Zunahme älterer und bedürftiger Menschen feststellen. Und wenn ich mich in meiner eigenen Familie umschaue - meine beiden Brüder sind bereits im Rentenalter - kann man sicher sagen: Noch nie ging es im Durchschnitt einer Rentengeneration finanziell besser als der heutigen. Natürlich gibt es Ausnahmen. Auch im Armuts- und Reichtums-Bericht von 2008 war Altersarmut kein Thema mit Ausnahme der Situation alleinstehender Frauen. Brisant wird das Thema aber sicher in 10 bis 15 Jahren. Das zwingt uns dazu, heute schon Vorsorge zu treffen.



KNA: Führen wir also derzeit eine Phantomdiskussion?

Neher: Nein, auf keinen Fall. Die Politik hat zu lange gewartet, das Thema Altersarmut überhaupt auf die Agenda zu setzen. Das ist ein großes Verdienst der Bundesarbeitsministerin. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit vor allem in den 90er Jahren und zu Beginn des Jahrtausends wird uns das Thema schnell einholen, denn in dieser Zeit ist die Zahl der Menschen mit gebrochenen Erwerbsbiografien stark gestiegen.



KNA: Was halten Sie von der Zuschussrente, wie sie die Bundesarbeitsministerin vorschlägt?

Neher: Anders als einige Kritiker glaube ich nicht, dass von der Leyen die Situation dramatisiert, wenngleich manche ihrer genannten Zahlen sicher zu hinterfragen sind, und es einen erheblichen Nachbesserungsbedarf an ihren Plänen gibt. So können viele Menschen nicht in den Genuss einer Zuschussrente kommen, weil sie zum Beispiel nicht 35 Jahre ununterbrochen Beiträge gezahlt haben. Problematisch ist auch, dass es keine Staffelung bei den Anrechnungszeiten gibt. Falls jemand nur einen Monat weniger als die geforderten Jahre nachweisen kann - etwa durch Arbeitslosigkeit oder Krankheit - geht er leer aus.



KNA: Welche weiteren Verbesserungsvorschläge haben Sie?

Neher: Fördermaßnahmen zum Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt müssten mitangerechnet werden. Ein weiteres Problem ist die Anrechnung der Erziehungszeiten. Bei den nach 1992 Geborenen sind es drei Jahre, bei denen, die älter sind, ist es nur ein Jahr. Es sind also viele Fragen offen und deshalb sollte eine eingehende Diskussion stattfinden, bevor Gesetze verabschiedet werden.



KNA: Was kann der Staat grundsätzlich tun, damit der Generationenvertrag weiterhin funktioniert?

Neher: Er muss Sorge dafür tragen, dass möglichst viele eine gute Ausbildung und Qualifikation für einen Start ins Berufsleben erhalten. Das ist die zentrale Voraussetzung für eine möglichst lückenlose Erwerbsbiografie und die eigentlich entscheidende Vorsorge für das Alter.



KNA: Andere Verbände vertreten gesamtgesellschaftlich radikalere Positionen und fordern in dem Bündnis "Umfairteilen" eine generelle Umverteilung von oben nach unten, etwa durch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine einmalige Vermögensabgabe.

Neher: Die Steuergerechtigkeit ist ein wichtiges Thema. Auch der Deutsche Caritasverband ist für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Und natürlich kann man grundsätzlich darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, die Vermögenssteuer wiedereinzuführen. Was ich grundsätzlich problematisch finde, ist eine Robin-Hood-Mentalität: Den Reichen nehmen und den Armen geben. Das löst nicht die grundsätzlichen Fragen von Gerechtigkeit und von strukturellen Gegebenheiten einer Gesellschaft. Viele reiche Menschen engagieren sich für soziale Fragen, indem sie beispielsweise spenden oder sich an Stiftungen beteiligen. Und bevor wir einfach an der Steuerschraube drehen, sollten wir prüfen, ob die bestehenden Mittel wirklich sinnvoll eingesetzt werden, welche Wirkung sie erzielen. Das ist natürlich mühsamer und medial nicht so gut zu vermarkten. Aber das ist der Weg, den ich für nachhaltiger halte und der keinen problematischen Sozialneid schürt.



KNA: Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, wirft der Caritas in einem Interview vor, nicht politisch genug zu sein und etwa dem Bündnis "Umfairteilen" nicht beizutreten.

Neher: Der Deutsche Caritasverband ist seit Jahrzehnten sozialpolitisch hoch engagiert. Das zeigen unsere Kampagnen, die in jedem Jahr eine zentrale sozialpolitische Frage thematisieren. In diesem Jahr beschäftigen wir uns mit dem Thema "Armut macht krank". Und sagen wir mal so: Politische Wirksamkeit lässt sich nicht immer aus der medialen Präsenz ableiten. Und die mediale Präsenz sagt nicht immer etwas über die politische Wirksamkeit aus. Die Caritas hat es nicht nötig, von Herrn Schneider Empfehlungen entgegenzunehmen. Es war bislang guter Brauch, dass ein Wohlfahrtsverband öffentlich nicht über einen anderen urteilt, und das sollte auch so bleiben.



Das Gespräch führte Birgit Wilke.