Caritas kritisiert Blockade des Bürgergeldes

"Es ist ein fatales Menschenbild"

Die Einführung des Bürgergeldes ist vorerst im Bundesrat an der Union gescheitert. Die wird dafür harsch kritisiert. Ob der Vorwurf der sozialen Kälte berechtigt ist, ordnet Christoph Humburg von der Caritas Wuppertal ein.

Essensausgabe für Bedürftige / © addkm (shutterstock)
Essensausgabe für Bedürftige / © addkm ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Die CDU sorgt sich, dass Arbeitslosigkeit - salopp ausgedrückt - zu bequem wird. CSU-Chef Markus Söder hat gesagt, dass das Bürgergeld die unteren Einkommensgruppen benachteilige, die hart arbeiten müssen. Das sei ungerecht. Was für ein Menschenbild steckt aus Ihrer Sicht hinter diesen Aussagen?

Christoph Humburg (Direktor des Caritasverbandes Wuppertal/Solingen): Ich finde das Menschenbild, das hinter den Aussagen von Herrn Söder steht, fatal. Ich finde es deshalb fatal, weil es impliziert, dass Menschen, die in einer schwierigen, schlimmen Situation sind, letztlich nur faul, bequem sind und dem Staat auf der Tasche liegen. Ich muss sagen, die Vorstellung, dass man so ein Menschenbild hat, verärgert mich sehr.

Christoph Humburg

"Ich muss sagen, die Vorstellung, dass man so ein Menschenbild hat, verärgert mich sehr."

Menschen, die in einer Notsituation sind, noch in eine Situation zu drängen und zu sagen, dass sie selber schuld sind, das impliziert das ja letztendlich, ist für meine Begriffe unerträglich.

Denn die meisten Menschen nach unserer Erfahrung sind nicht an ihrer Situation selber schuld, sondern es sind multiple Themen, die dazu führen. Es sind gesellschaftliche Gegebenheiten, politische Gegebenheiten, die in unserem Land schwierig sind. Wir haben keine Chancengleichheit, wir haben keine Chancengerechtigkeit. Es sind natürlich auch manchmal Dinge, die in einer Person liegen. Das sind dann manchmal psychische Probleme, Erkrankung und dann zu sagen, es ist wirklich die Schuld der Menschen, ist nicht vertretbar aus meiner Sicht.

DOMRADIO.DE: Dass aber eine geringe Anzahl von Leistungsempfängern den Sozialstaat missbrauchen, bestätigen sogar die Arbeitsagenturen. Wie sehen Sie das?

Christoph Humburg (Direktor des Caritasverbandes Wuppertal/Solingen)

"Jetzt geht man an die kleinen Menschen und sagt, da könnte auch der ein oder andere dabei sein, der das System ausnutzt."

Humburg: Ich halte das für ganz kritisch, überhaupt die Dinge so zu sehen. Aber ich weiß, dass das politisch oft so gesehen wird, weil natürlich jedes System, alles, auch wenn man irgendwo arbeitet, ausgenutzt werden kann. Aber zum Beispiel nutzen die hochdotierten Manager die Systeme in viel stärkerer Weise aus; wie viel Korruption es gibt, wo Millionen Euro bewegt werden.

Jetzt geht man an die "kleinen" Menschen und sagt, da könnte auch der ein oder andere dabei sein, der das System ausnutzt. Mag sein, sind aber im Vergleich Peanuts. Man schiebt im Grunde eine Situation, die man viel mehr bei anderen Menschen in unserem Land sehen muss, nämlich oft bei Topmanagern, plötzlich auf die Menschen ab, die sowieso letztlich kaum eine Chance haben. Und das finde ich ausgesprochen problematisch.

DOMRADIO.DE: Der Hartz IV Leitspruch lautete "Fördern und Fordern". War das denn so verkehrt? Also die Methode, Arbeitslose zu motivieren und zu sanktionieren, wenn es nicht klappt?

Humburg: "Fördern und fordern" ist ein guter Leitspruch. Den haben wir in unserer sozialen Arbeit auch. Allerdings ist die Frage, ob Fördern wirklich nur über Belohnung und Bestrafung funktioniert. Das mag im Einzelfall vielleicht mal funktionieren, aber in aller Regel ist es eher so, dass es ganz viele Menschen gibt, die letztendlich arbeiten wollen, die wirklich auch in unserem System deshalb keine Chance haben, weil es nicht funktioniert.

Ich habe selber zwölf Jahre in der Wohnungslosenhilfe operativ gearbeitet und habe dort auch immer wieder festgestellt, wenn man den Menschen aus irgendeinem Grund ein Arbeitsverbot geben musste, weil sie zu viel getrunken hatten oder sonst etwas und die haben ja wirklich nur 1,50 Euro bekommen, dann haben die unter diesem Verbot massiv gelitten. Also, man kann nicht sagen, das Fordern heißt, ich muss sanktionieren. Das ist nicht die Regel, dass das funktioniert, sondern es geht darum Motivation zu schaffen.

DOMRADIO.DE: Der Vermittlungsausschuss arbeitet jetzt an einem Kompromiss, denn Hartz IV muss reformiert werden. Das sieht jetzt auch die Union ein. Was sollte denn aus Ihrer Sicht bei dem veränderten Vorschlag berücksichtigt werden?

Christoph Humburg (Direktor des Caritasverbandes Wuppertal/Solingen)

"Ich glaube auch das ist der Punkt der Motivation, die wir haben, wo wir ganz viele Menschen erreichen werden."

Humburg: Die Situation der Menschen. Das heißt, letztendlich muss in der Reform deutlich werden, dass das Geld, das Bürgergeld beispielsweise, einen angemessenen Betrag hat. Was auch wichtig natürlich ist, dass man nicht vergisst, dass man den Menschen die Möglichkeit einer beruflichen Reintegration gibt. Das heißt, es müssen wirklich Fördergelder auch in Weiterentwicklung gesteckt werden. Das heißt, wirklich in die Möglichkeit zum Beispiel eine Ausbildung zu machen oder einen Job zu finden oder zumindest partiell integriert zu werden in den Arbeitsmarkt. Das sind ja Projekte, die die Jobcenter teilweise jetzt auch schon machen. Die müssen ausgebaut werden.

Ich glaube auch das ist der Punkt der Motivation, die wir haben, wo wir ganz viele Menschen erreichen werden. Ich habe auch persönlich viele Menschen kennengelernt, die in Krisensituationen sind, die sagen, dass sie so gerne aus dieser Arbeitslosigkeit, aus dieser Situation rauskommen möchten. Aber es scheitert an 1000 Hürden, die behördlich gegeben sind in unserem System. Da müssen wir ran. Und das muss eine Reform angemessen berücksichtigen.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Stichwort: Bürgergeld

Der Bundestag stimmt an diesem Donnerstag über das geplante Bürgergeld ab. SPD, Grüne und FDP werden das Gesetz voraussichtlich mit ihrer Mehrheit beschließen - gegen den Widerstand der Opposition. Die Union, auf deren Zustimmung die Ampel später aber im Bundesrat für eine endgültige Verabschiedung des Bürgergelds angewiesen ist, hat den angepeilten Wechsel weg vom bisherigen Hartz-IV-System in den vergangenen Wochen immer wieder scharf kritisiert und droht mit einer Blockade in der Länderkammer.

Streit ums Bürgergeld / © Christin Klose (dpa)
Streit ums Bürgergeld / © Christin Klose ( dpa )
Quelle:
DR