Caritas International mahnt zu Waffenruhe im Gazastreifen

"Versorgung sollte höchste Priorität haben"

Aktuell ist vor allem Rafah im Gazastreifen das Ziel der israelischen Armee im anhaltenden Nahost-Krieg. Die Situation ist höchst dramatisch für die Zivilbevölkerung, sagt Patrick Kuebart von Caritas international.

 Ein Lager in Rafah für vertriebene Palästinenser in der Nähe der Grenze zu Ägypten. / © Omar Ashtawy/APA Images via ZUMA Press Wire (dpa)
Ein Lager in Rafah für vertriebene Palästinenser in der Nähe der Grenze zu Ägypten. / © Omar Ashtawy/APA Images via ZUMA Press Wire ( dpa )

DOMRADIO.DE: Das Militär meldet gestern 100 getötete Extremisten in Rafah. Die Kehrseite dieser Erfolgsmeldung ist das Leid der Zivilbevölkerung. Was wissen Sie über die Situation dort?

Patrick Kuebart, Referatsleiter Nahost und Nordafrika bei Caritas international / © B. Stachowske
Patrick Kuebart, Referatsleiter Nahost und Nordafrika bei Caritas international / © B. Stachowske

Patrick Kuebart (Referatsleiter Nahost und Nordafrika bei Caritas international): Die Situation im gesamten Gazastreifen ist schon seit Monaten kritisch. Wir warnen schon lange vor der dramatischen Situation. Die ist natürlich jetzt noch mal schlimmer geworden durch das, was gerade in Rafah schon passiert und bevorsteht. Es sind über 600.000 Menschen, die sich jetzt ganz konkret in dieser Situation wieder auf die Flucht begeben haben, die Rafah verlassen müssen. 

Rafah war der Standort, an den die Menschen bisher geflohen sind, als sie den Norden Gazas verlassen haben. Es ist der Standort, an dem Hilfsorganisationen ihre Basen hatten. Von dort aus haben wir gearbeitet. Es kommen keine Hilfen mehr über die Grenzen. Das ist einfach eine sehr dramatische Situation.

Patrick Kuebart

"Weil keine Hilfen über die Grenzen kommen, ist die Versorgungslage sehr, sehr schlecht."

DOMRADIO.DE: Das heißt, Ihre lokalen Partnerorganisationen können noch ein bisschen helfen, um das Leid irgendwie zu lindern?

Kuebart: Ja, in ganz geringem Maße. Weil keine Hilfen über die Grenzen kommen, ist die Versorgungslage sehr schlecht. Der eine Grenzübergang in Kerem Schalom wurde zwar wieder geöffnet. Der andere in Rafah ist komplett geschlossen. Und natürlich sind auch die Mitarbeitenden selber direkt betroffen. Auch sie sind schon mehrmals geflohen. 

Sie sind absolut am Ende ihrer Kräfte, müssen sich jetzt schon wieder auf den Weg machen und haben auch vorher schon unter extrem schwierigen Bedingungen in einem Konfliktgebiet gearbeitet.

DOMRADIO.DE: Was bedeutet dann die Offensive Israels für die Geiseln, die sich noch in der Gewalt der Hamas befinden? Laut deren Angaben sollen ja auch schon viele umgekommen sein.

Palästinenser inspizieren die Trümmer eines zerstörten Hauses. / © Abed Rahim Khatib (dpa)
Palästinenser inspizieren die Trümmer eines zerstörten Hauses. / © Abed Rahim Khatib ( dpa )

Kuebart: Das ist für uns natürlich sehr schwierig zu sagen. Ich habe darüber keine konkreten Angaben. Aber letztlich schafft Israel es momentan nicht, diese Geiseln weder durch Verhandlungen noch durch ihre Kriegshandlungen freizupressen. Ich denke, das wäre nun wirklich für Israel das Allerwichtigste.

DOMRADIO.DE: Die Überlegenheit der israelischen Streitkräfte ist unbestritten. Ist für Sie ein militärischer Sieg absehbar?

Kuebart: Nachdem, wie sich die Situation derzeit darstellt, nicht. Man hatte ja gehofft auf israelischer Seite, dass der Einmarsch in den Norden dort letztlich die Kriegshandlungen beenden würde. Deswegen fokussiert man sich jetzt auf Rafah, aber gleichzeitig flammen die Kämpfe im Norden des Gazastreifens auch wieder auf. Das heißt, die Hamas ist anscheinend nicht so geschwächt, dass sie nicht mehr agieren kann.

Auch deswegen bedarf es dringend eines Waffenstillstandes, einer Waffenruhe, damit wir die Zivilbevölkerung versorgen können. Denn sie ist das, was für uns als Caritas international natürlich absolut im Fokus steht.

Patrick Kuebart

"Es muss einfach von beiden Seiten jetzt die oberste Priorität sein, die Zivilbevölkerung in den Blick zu nehmen."

DOMRADIO.DE: Sie fordern natürlich ein Ende der Kämpfe, um das Leid zu beenden und die Geiselnahmen auch zu beenden. An wen richten sich Ihre Forderungen?

Kuebart: Letztlich an alle Kriegsparteien. Wenn wir von Verhandlungen sprechen, dann müssen das natürlich die Israelis sein, aber es muss genauso die Hamas sein. Alle müssen sich darauf einigen. Wir sehen ja, dass anscheinend miteinander gesprochen wird, aber beide Parteien es nicht schaffen, zu einer Einigung zu kommen. 

Es muss einfach von beiden Seiten jetzt die oberste Priorität sein, die Zivilbevölkerung in den Blick zu nehmen und deren Leiden zu lindern und letztlich auch zu beenden.

DOMRADIO.DE: Tut die internationale Gemeinschaft genug?

Kuebart: Das ist eine schwierige Frage. Ich denke schon. Man sieht ja auch, dass die Außenministerin Baerbock sich sehr stark für die Zivilbevölkerung einsetzt. Auch sie sagt, dass die Versorgung jetzt an oberster Stelle stehen muss. 

Trotzdem ist unsere Staatsräson, an der Seite Israels zu stehen. Es ist sicherlich nicht einfach, hier auf diplomatischem Weg eine Lösung zu finden.

Das Interview führte Tobias Fricke. 

Caritas international

Caritas International arbeitet eng mit den weltweit 165 nationalen Caritas-Organisationen zusammen. Von seinem Hauptsitz in Freiburg aus unterstützt das katholische Hilfswerk jährlich etwa 1.000 Hilfsprojekte in aller Welt. In den Projekten gewährleisten die Kompetenz und das Engagement der einheimischen Caritas-Mitarbeiter den dauerhaften Erfolg vor Ort.

Die Caritas gibt es in über 160 Ländern / © Karolis Kavolelis (shutterstock)
Die Caritas gibt es in über 160 Ländern / © Karolis Kavolelis ( shutterstock )
Quelle:
DR