Caritas Georgien stellt sich auf viele Abschiebefälle ein

"Die Menschen sind wirklich wütend"

Seit 2023 gilt Georgien als sicherer Herkunftsstaat. Im vergangenen Jahr gab es aus Deutschland über 1.600 Abschiebungen dorthin. Doch die Reintegration gestaltet sich alles andere als einfach, wie ein Projekt der Caritas zeigt.

Autor/in:
Elena Hong
Symbolbild Abschiebeflug / © Sebastian Gollnow (dpa)
Symbolbild Abschiebeflug / © Sebastian Gollnow ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie betreiben in der Hauptstadt Tiflis eine Beratungshotline und ein Hilfsprogramm für georgische Rückkehrer. Wie machen sich die gestiegenen Zahlen der Abschiebungen dort bemerkbar?

Die Wohnung von Anahit Mkhoyan liegt mitten auf dem Gelände des georgischen Caritas-Zentrums in Tiflis / © Elena Hong (DR)
Die Wohnung von Anahit Mkhoyan liegt mitten auf dem Gelände des georgischen Caritas-Zentrums in Tiflis / © Elena Hong ( DR )

Anahit Mkhoyan (Direktorin der Caritas Georgien): Seit letztem Jahr haben wir sehr viel mit Rückkehrern aus verschiedenen europäischen Ländern zu tun. Wir kooperieren da mit der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Es geht bei der Rückführung darum, die Georgier und Georgierinnen in die Gesellschaft zu reintegrieren. Manche von ihnen kehren freiwillig zurück, aber ohne finanzielle Mittel, sehr viele werden abgeschoben. 

Die Nachfrage ist zuletzt stark gestiegen: Waren es 2023 noch 150 Rückkehrer, kamen letztes Jahr über 500 zu uns. Alleine in den letzten drei Monaten sind es nun schon 600.

DOMRADIO.DE: Wie viele Rückkehrer davon kommen aus Deutschland? 

Mkhoyan: Deutschland ist auf Platz vier, direkt nach Griechenland, Zypern und Polen. 

DOMRADIO.DE: Wie ist es für diese Menschen, in ihre alte Heimat zurückzukehren? 

Anahit Mkhoyan

"Die Integration von älteren Leuten ist einfacher, es ist ja ihr Land. Aber für Kinder, die in anderen Ländern geboren wurden, ist es ein Desaster."

Mkhoyan: Das hängt davon ab, wie lange sie aufs Asyl gewartet haben. Wenn sie ein oder zwei Jahre gewartet haben, macht es keinen großen Unterschied. Sie haben immer noch gute Kontakte zu ihrer Familie. Die georgische Kultur ist sehr familienzentriert. Man hilft einander. 

Aber in Fällen, in denen die Menschen sieben, acht, neun Jahre auf ihr Asyl gewartet haben, ist es schwieriger. Manche haben Kinder, die überhaupt kein Georgisch sprechen. Das ist ein Problem. Die Integration von älteren Leuten ist einfacher, es ist ja ihr Land. Aber für Kinder, die in anderen Ländern geboren wurden, ist es ein Desaster. 

DOMRADIO.DE: In Europa hofften viele auf ein gutes Leben. Dann kommen sie zurück und haben kaum Perspektiven. Das ist psychologisch nicht ganz einfach, oder?

Caritas-Mitarbeiterin Tatjana Tata Topadze am Eingang des georgischen Rückkehr- und Reintegrationszenters in Tiflis / © Elena Hong (DR)
Caritas-Mitarbeiterin Tatjana Tata Topadze am Eingang des georgischen Rückkehr- und Reintegrationszenters in Tiflis / © Elena Hong ( DR )

Mkhoyan: Absolut. Eine Sache, die ich Ihnen sagen kann, ist, dass die Menschen, die zurückkommen, wirklich wütend sind. Die Mitarbeiter am Empfang unseres Rückkehr- und Wiedereingliederungsservices werden extra darin geschult, mit wütenden Menschen zu arbeiten. Und dann, nach unserer Arbeit, beruhigen sie sich langsam und akzeptieren die Lage, aber letztendlich sind sie in einer verzweifelten Situation. 

Besonders schlimm ist es bei Menschen, die eigentlich eine medizinische Behandlung bräuchten. Wir haben Leute hier, die den Übergangszeitraum nicht überleben. Sie sterben, ehe wir alle Papiere fertig haben. Über so etwas ärgere ich mich unglaublich. Braucht es dieses Trauma am Ende des Lebens wirklich, nur weil die medizinische Versorgung fehlt? Da hat Europa aus meiner Sicht nicht immer die richtigen Informationen. Die Regierung macht sich nicht immer ein realistisches Bilder von der tatsächlichen Notlage. 

Erst heute habe ich wieder eine Nachricht aus Deutschland von einer deutschen Familie bekommen, die sagt: Wir kümmern uns gerade um eine Familie, die bald abgeschoben wird. Sie sind alt und nicht sehr aktiv. Wir wissen nicht, wie sie in Georgien leben werden. Außerdem haben sie ein 30-jähriges Kind mit Down-Syndrom. Bei solchen Fällen fällt es mir schwer, diese Entscheidungen zu verstehen. Die Frontex-Assistenz sagt: Drei Rückführungen zu organisieren, kostet maximal 3.000 Euro oder 4.000 Euro. Aber das wird gerade mal für ein, zwei, drei Monate reichen. Wir arbeiten also mit schwierigen Fällen, aber uns bleibt keine Wahl. 

Anahit Mkhoyan

"Wir als Caritas hatten also die Wahl, entweder das Datenschutzgesetz zu brechen oder das neue Transparenzgesetz."

DOMRADIO.DE: Seit den Parlamentswahlen im Oktober 2024 hat die Partei "Georgischer Traum" das Ruder an sich gerissen und fährt einen prorussischen Kurs. Inwiefern beeinflusst die politische Situation Ihre Arbeit? 

Mkhoyan: Das Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme, das letztes Jahr in Kraft getreten ist, hat uns große Sorgen bereitet. Alle ausländisch finanzierten NGOs mussten sich als "ausländische Agenten" registrieren. Aber es wird glücklicherweise nicht vollständig umgesetzt, denn sonst hätten wir schon eine Strafe bekommen. Denn wir haben uns nicht registriert. 

Die Informationen, die dort abgefragt werden, sind sehr persönlich und sensibel. Wir als Caritas hatten also die Wahl, entweder das Datenschutzgesetz zu brechen oder das neue Transparenzgesetz. Wir haben uns natürlich dafür entschieden, uns nicht als Agenten zu registrieren. Nun soll bei dem Gesetz aber wohl nachgesteuert werden – nach dem Modell des amerikanischen FARA-Gesetzes (Foreign Agents Registration Act). Wir hoffen, dass das aktuelle Gesetz damit ersetzt wird. Wegen des Finanzierungsstopps konnten wir einige Projekte, die wir geplant hatten, nicht angehen, etwa Projekte in Zusammenarbeit mit der slowakischen oder polnischen Botschaft. 

Kinder auf dem Gelände des Caritas-Zentrum in der georgischen Hauptstadt Tiflis / © Elena Hong (DR)
Kinder auf dem Gelände des Caritas-Zentrum in der georgischen Hauptstadt Tiflis / © Elena Hong ( DR )

Und dann wurden auch noch die Hilfen von USAID gestrichen, viele Projekte wurden beendet und jene Bedürftigen kamen plötzlich zu uns. Dadurch entstand eine gesellschaftliche Spannung. Auf der einen Seite ist das Fundraising aufgrund der politischen Situation schwieriger geworden und gleichzeitig stehen viele Menschen ohne Hilfe und sozialen Unterstützung da. Zum aktuellen Zeitpunkt weiß ich nicht, wie wir diese Situation bewältigen sollen. 

DOMRADIO.DE: Sie arbeiten als katholische Organisation in einem mehrheitlich orthodoxen Land. Was bedeutet das? 

Mkhoyan: Es bedeutet eine Menge Verantwortung, denn wir müssen der katholischen Kirche damit ein Profil geben. Alles was wir tun, schlägt sich in der Reputation der katholischen Kirche nieder – positiv wie negativ. Wir haben aber vor der Regierung schon zig mal bewiesen, dass die Kirche durch die Arbeit der Caritas keine Konvertierung zum Katholizismus beabsichtigt, sondern dass sie durch die katholische Soziallehre motiviert ist. Am Anfang hatten wir es da nicht leicht. 

DOMRADIO.DE: Was motiviert Sie persönlich für diese Arbeit? 

Caritasdirektorin Anahit Mkhoyan  / © Elena Hong (DR)
Caritasdirektorin Anahit Mkhoyan / © Elena Hong ( DR )

Mkhoyan: Ich mag die Vision der Einrichtung und es passt zu meiner Vorstellung von humanitärer Arbeit. Ich habe davor auch in anderen sozialen Organisationen gearbeitet. Ich bin gerne hier.

DOMRADIO.DE: Sie hören Tag für Tag von schlimmen Schicksalen, auch aus den anderen Bereichen Ihrer Einrichtung: Gewalt, Missbrauch, prekäre Lebensbedingungen. Verliert man da irgendwann die Empathie für das Gegenüber? 

Mkhoyan: Das ist die Gefahr, auf jeden Fall. Denn wenn man man die ganze Zeit unter Stress steht, stumpft man ab. Also muss man sehr vorsichtig sein. Und sobald ich das fühle, gehe ich für ein oder zwei Jahre raus. 

Wissen Sie, man sieht überall hässliche Dinge. Und jeder Mensch muss verstehen, dass wir zu dem Schlechten genauso viel beitragen können wie zu der Schönheit. Hier gibt es ja auch viel Gutes. Wenn man über das Gute nachdenkt, lohnt es sich immer auch dafür zu kämpfen. Man hat eben die Wahl, wofür man kämpft.

Information der Redaktion: Das Interview führte die Journalistin und DOMRADIO.DE-Redakteurin Elena Hong in Zusammenarbeit mit anderen JournalistInnen. Es entstand während einer Reise mit dem Osteuropahilfswerk Renovabis, wurde aus dem Englischen übersetzt und stark eingekürzt.

Quelle:
DR

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