Care-Nothilfekoordinator über die Lage in Vietnam nach Ketsana

"Das Schlimmste ist keineswegs vorbei"

Der Tropensturm Ketsana hinterlässt in verschiedenen Ländern Südostasiens eine Spur der Verwüstung. Auch über Vietnam fegte er hinweg; mehr als 40 Todesopfer wurden gemeldet. Diese Zahl könnte weiter steigen, befürchtet der Nothilfekoordinator von Care-Vietnam, Marten Mylius. Mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach er am Mittwoch in Hanoi über das Ausmaß der Schäden, erste Hilfsmaßnahmen und die Bedrohung durch weitere Regenfälle und Stürme.

 (DR)

KNA: Herr Mylius, Ketsana ist gestern über Vietnam hinweggefegt. Wie ist die Lage im Land?
Mylius: Obwohl die Behörden und Bevölkerung vorgewarnt waren, hat der Sturm eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Das liegt zum einen daran, dass er sich im letzten Moment gedreht hat und etwas weiter südlich als erwartet aufs Land getroffen ist. Auch hat der Taifun noch an Stärke zugenommen. Deshalb hat die Katastrophe eine Dimension angenommen, die man hier seit Jahrzehnten nicht gesehen hat.

KNA: Sie haben an einer Dringlichkeitssitzung der Regierung teilgenommen. Wie groß ist das Ausmaß der Zerstörung durch Ketsana?
Mylius: Die Angaben sind schon dramatisch. Mindestens 6.000 Häuser wurden zerstört, weitere 160.000 stark beschädigt. Rund 30.000 Menschen haben ihre Unterkunft verloren. Ganze Städte sind überschwemmt; in einigen steht das Wasser bis zu einen Meter hoch. Auch in den Bergregionen hat es einige Gemeinden schlimm erwischt. Sie haben vor allem mit Erdrutschen zu kämpfen. Die Infrastruktur ist stark beschädigt. Straßen wurden weggespült, Eisenbahnen können teilweise nicht fahren. Flughäfen sind geschlossen, die Stromleitungen sind zusammengebrochen. Tausende Menschen bleiben vorerst von der Außenwelt abgeschnitten. Da weite Gebiete noch nicht erreicht wurden, kann auch die Zahl der Todesopfer leider weiter steigen.

KNA: Ist angesichts der zerstörten Infrastruktur überhaupt Hilfe möglich?
Mylius: Vietnam ist oft von Stürmen betroffen. Deshalb sind die Behörden gut vorbereitet. Sie haben im Vorfeld früh Warnungen rausgegeben und viele Menschen aus der Gefahrenregion evakuiert. Auch haben sie schon im Vorfeld schweres Gerät in die betroffenen Gebiete geschafft, um schnell helfen zu können. Armee, Panzer und Boote sind also bereits vor Ort, um Schutt beiseite zu räumen und die Menschen erreichen zu können.

KNA: Was können Sie als Hilfsorganisation tun?
Mylius: Care ist natürlich darauf angewiesen, dass die Regierung schnell handelt, damit wir die Bedürftigen erreichen können. Dann schicken wir kleine Teams in die zerstörten Gebiete, um festzustellen, was am dringendsten benötigt wird. Da viele Menschen ihr Zuhause verloren haben und derzeit übergangsweise in Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden wohnen, müssen wir auf jeden Fall Notunterkünfte zur Verfügung stellen. Auch werden sicher sauberes Trinkwasser, Nahrung und Medikamente benötigt.

KNA: Die Hilfe läuft also an. Ist das Schlimmste damit überstanden?
Mylius: Das Schlimmste ist keineswegs vorbei. Der Taifun ist zwar abgezogen, aber die Regenfälle gehen weiter. Wir befinden uns ja in der Monsunzeit. Es hat vorher schon mehr geregnet als üblich, und die schlechte Wetterlage bleibt. Insofern besteht weiter die Gefahr von Überschwemmungen, Erdrutschen oder Springfluten. Zudem war Ketsana der neunte Tropensturm in diesem Jahr. Auch wenn die anderen deutlich schwächer waren, können wir doch nicht ausschließen, dass nicht noch einmal ein weiterer Taifun das Land erreicht. Die ersten bauen sich ja schon wieder auf. Von Entwarnung kann also keine Rede sein.

Das Interview führte Caroline Schulke.