Bundesweite Meldestelle für antisemitische Fälle

"Eine Art Atlas"

​Immer wieder wird kritisiert, dass die offizielle Kriminalitätsstatistik nicht das wahre Ausmaß von Antisemitismus abbilde. Eine neue bundesweite Meldestelle soll nun ein genaueres Bild liefern.

Kippa, die im Mittelpunkt des antisemitischen Angriffs in Berlin stand / © Sina Schuldt (dpa)
Kippa, die im Mittelpunkt des antisemitischen Angriffs in Berlin stand / © Sina Schuldt ( dpa )

Dumme Sprüche, Beleidigungen, Drohungen, Gewalt: Wer als Opfer oder Zeuge einen antisemitisch motivierten Übergriff erlebt, kann die Tat künftig auch einer bundesweiten Meldestelle mitteilen. Ab Februar startet der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Bundesverband RIAS) in Berlin. Er solle das "wahre Ausmaß des Antisemitismus sichtbarer" machen, heißt es. Aufgenommen würden Vorfälle auch dann, wenn keine Straftat begangen worden sei.

Meldungen sind über ein Online-Formular, per E-Mail oder telefonisch möglich. Die Verantwortlichen betonen, dass dabei immer eine Kontaktmöglichkeit für Rückfragen bestehen müsse. Bei jedem gemeldeten Vorfall werde ein "akribischer Verifizierungsprozess" in Gang gesetzt - und in die Statistik würden schließlich nur überprüfte Fälle aufgenommen, heißt es.

Vorfälle mit muslimischem Hintergrund oft nicht erfasst

Der neue Bundesverband soll in diesem Jahr zunächst mit Mitteln des Antisemitismusbeauftragten, der beim Bundesinnenministerium angesiedelt ist, gefördert werden. Ziel sei, ab 2020 durch das Programm "Demokratie leben!" des Bundesfamilienministeriums gefördert zu werden. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, ist Schirmherr der neuen Meldestelle.

Experten bezeichnen die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) mitunter als fehlerhaft. So begehen Rechtsextremisten laut PKS mehr als 90 Prozent der antisemitisch motivierten Straftaten. Ein Problem ist, dass Delikte, bei denen kein Täter ermittelt wird, unter "Rechtsextremismus" eingruppiert werden. Daher bemängeln Kritiker, antisemitische Vorfälle mit muslimischem Hintergrund würden oft nicht ausreichend erfasst. Jüdische Verbände weisen darüber hinaus auf eine hohe Zahl von Vorfällen hin, die zwar nicht strafbar, aber gegen Juden gerichtet seien - auch sie würden bundesweit nicht erfasst.

Die PKS für 2017 weist jedenfalls 1.504 antisemitische Straftaten aus; das entspricht einer Steigerung um 2,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zum ersten Mal seien auch die "importierten antisemitischen Straftaten" wieder gestiegen, auf niedrigem Niveau, so Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).

Niedrigschwellige Möglichkeit, Fälle zu melden

Opfer von Antisemitismus sollen nach dem Vorbild der bestehenden Berliner RIAS-Stelle auf Landesebene künftig auch in anderen Bundesländern unterstützt werden. Solche Einrichtungen werden in Bayern und Brandenburg bereits dieses Jahr ihre Arbeit aufnehmen, wie es heißt. In weiteren Ländern ist man offenbar mit potenziellen Trägern in guten Gesprächen: Baden-Württemberg, Mecklenburg- Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen. Die Meldestellen sollen mit jüdischen Gemeinschaften kooperieren und Bürger aufklären.

"Mit der Meldestelle schaffen wir eine niedrigschwellige Möglichkeit, Fälle überhaupt zu melden", sagt Klein der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Dunkelziffer solle sinken und Antisemitismus sichtbarer gemacht werden. "So bekommen wir dann eine Art Atlas über Antisemitismus in Deutschland." 

Dieser Atlas könne Aufschluss darüber geben, in welchen Formen er sich in den einzelnen Regionen äußere. "Die Übersicht, die wir erhalten, stellt eine wichtige Grundlage für die Formulierung von Strategien im Kampf gegen Antisemitismus dar", betont Klein. "Ich erhoffe mir möglichst genaue Angaben über die Täter, um passgenau präventiv vorgehen zu können."

"Jeder Antisemit hat ein Problem mit unserer Demokratie"

Das soll konkret bedeuten: "Wenn Antisemitismus in einem Gebiet eher von Muslimen ausgeht, dann müssen wir mit Moscheegemeinden, muslimischen Organisationen und Integrationsbeauftragten ins Gespräch kommen. Wenn er eher von Rechten ausgeht, müssen wir mit unseren Maßnahmen der Extremismusprävention vorgehen, politische Bildungsarbeit leisten und Betriebe, Gedenkstätten, Jugendzentren und weitere Akteure in der Jugendarbeit wie etwa die Kirchen einbinden."

Der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, Daniel Botmann, wird im Vorstand des Bundesverbandes sein. Er betont, dass Übergriffe auf Juden ein Problem für die ganze Gesellschaft seien. Denn: "Jeder Antisemit hat ein Problem mit unserer Demokratie und unserer Gesellschaft."

Von Leticia Witte und Alexander Riedel 


Quelle:
KNA
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