Bundestagung der Citykirchenprojekte

"Wir sind da, wo Kirche sein muss"

Die Kirchen wollen stärker auf die Menschen zugehen, die den Gottesdiensten fernbleiben. Der Rottenburg-Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst nannte die Citykirchenprojekte "Hotspots der Seelsorge". Der evangelische württembergische Landesbischof Frank Otfried July sprach von einem "zweiten Programm für Menschen, die keine Kirchenschwelle mehr übertreten können oder wollen".

Autor/in:
Michael Jacquemain
 (DR)

Die beiden Bischöfe äußerten sich am Rande des zehnten Treffens des ökumenischen Netzwerks Citykirchenprojekte. Zwischen einer modernen Buchhandlung und einem Bankenkomplex liegt es, mitten auf einer der größten deutschen Einkaufsmeilen: Das "Haus der Katholischen Kirche" an der Stuttgarter Königstraße. Der 2009 eingeweihte fünfgeschossige braune Sandsteinbau neben der Domkirche Sankt Eberhard gehört zu den Citykirchenprojekten, von denen sich die beiden großen Kirchen erhoffen, dort auch die Menschen zu erreichen, die ansonsten mit Kirche nicht mehr viel zu tun haben wollen.



82 Citykirchenprojekte aus dem deutschsprachigen Raum haben sich zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen. Bis Freitag tagte sie in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. 45 Einrichtungen sind katholisch, 23 evangelisch, und 14 werden von den beiden Kirchen zusammen unterhalten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie niederschwellig, also ohne Berührungsängste, in den Innenstadtzentren ihre Kirche repräsentieren.



"Das Verhältnis zu den Kirchen hat sich geändert. Nur noch ein verschwindend kleiner Teil der Menschen engagiert sich in den Gemeinden vor Ort", sagt der evangelische Dortmunder Pfarrer Andreas Isenburg, einer der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft. Menschen suchten sich "ihre Orte der Anbindung heute anders", der Gang über die Schwelle eines Pfarrhauses sei für viele zu hoch. Deshalb hält er die Citykirchenprojekte für eine Möglichkeit, wo Menschen "problemlos andocken können".



Wie bei Schwester Nicola Maria. Die 51-jährige Vinzentinerin gehört zu dem Team, das am Infopoint mitten im "Haus der Katholischen Kirche" arbeitet. Drumherum ein schickes Cafe, eine Buchhandlung und, man merkt es kaum, die Außenwand des Domes. "Hier kommt alles zur Sprache", erzählt die Ordensfrau. Die Piusbrüder ebenso wie das Thema Kirche und Missbrauch. "Aber meist sind es sehr persönliche Themen, die die Menschen bewegen." Schicksalsschläge wie Tod und Trennung, die Vermittlung von Hilfsangeboten, aber auch schlicht Geldsorgen.



Kölner Domforum an der Spitze

Die Besucherzahlen in den Citykirchenprojekten sind beachtlich. Bundesweit an der Spitze liegt das Kölner Domforum, in Stuttgart, das ebenfalls zu den am meisten besuchten Häusern dieser Art gehört, schauen täglich zwischen 500 und 800 Frauen und Männer vorbei. "Das Bistum Rottenburg-Stuttgart sieht in unserer Arbeit einen seiner seelsorglichen Schwerpunkte", sagte Hermann Merkle, Geschäftsführer in der Königstraße.



Merkles Bischof Gebhard Fürst bestätigt das. Für ihn sind die Projekte "Hotspots der Seelsorge". Der evangelische württembergische Landesbischof Frank Otfried July spricht von einem "zweiten Programm für Menschen, die keine Kirchenschwelle mehr übertreten können oder wollen". July glaubt, Protestanten und Katholiken müssten auf die "Transformationsprozesse" in ihren Gemeinden reagieren und neue Wege gehen.



Merkle und Isenburg wissen, dass bei ihren Angeboten viele nach der Devise verfahren: Umschauen, hören, gehen. Zugleich legen beide Theologen wert darauf, dass auch Wege zu einem dauerhaften kirchlichen Engagement aufgezeigt würden. "Der Unterschied zwischen unserem Angebot und dem in einer Gemeinde ist, dass bei uns der Bibelkurs einen klaren Anfang und ein klares Ende hat, während der Bibelkreis in der Gemeinde auf Dauer angelegt ist." Wechsel sind möglich. Solche Projekte können nach Einschätzung Merkles und Isenburgs nur funktionieren, wenn eine Citykirche von den Gemeinden einer Stadt mitgetragen wird. Diese müssten merken, dass sie selbst davon profitierten.



Die Arbeitsplätze in den 82 Einrichtungen sind in den Bistümern und Landeskirchen beliebt. Für Isenburg nachvollziehbar: "Wo kann ein Seelsorger sonst in dieser Intensität die meist völlig entkirchlichten jungen Erwachsenen treffen? Hier begegnet man Milieus, mit denen man sonst nicht zusammenkommt. Wir sind da, wo Kirche sein muss." Oft seien diese "Schaufenster der Kirche" der erste Kontakt nach vielen Jahren.



Aber der kann sich wiederholen. Wie bei der Frau, die schwer krank ist und sich komplett aus ihrem sozialen Umfeld zurückgezogen hat. Sie schaut regelmäßig an der Infotheke in der Königstraße vorbei. Irgendwann einmal nannte sie Schwester Nicola Maria den Grund: "Sie sind die einzige, die mich immer freundlich grüßt."