Bundestagsvizepräsident Thierse zu Gesprächen im Vatikan

"Kardinal Koch hat mich über Piusbrüder beruhigt"

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse ist während eines viertägigen Rombesuchs mit ranghohen Vertretern des Vatikan zusammengetroffen. Im Interview berichtet der katholische SPD-Politiker über ein beruhigendes Gespräch über die Piusbrüder und ein "eher positives Interesse" des Vatikan am Zentralkomitee der deutschen Katholiken.

 (DR)

KNA: Herr Thierse, Sie haben unter anderem den Leiter des Vatikan-Ministeriums für interreligiösen Dialog, Kardinal Jean-Louis Tauran, getroffen. Spielte in dem Gespräch die jüngste Koranverteilung der Salafisten in deutschen Städten eine Rolle?

Thierse: Die Salafisten habe ich nur kurz erwähnt, Gegenstand unseres Gesprächs war, dass der Vatikan auch bei einigen aktuellen Schwierigkeiten im Dialog mit dem Islam in seinen Anstrengungen nicht nachlassen will. Kardinal Tauran hat das in die schöne Formulierung gekleidet: "Es ist gelungen, den Kampf der Kulturen zu verhindern, jetzt muss man den Kampf der Vorurteile verhindern". Er sagt, dass es in der islamischen Welt ausgesprochen viel Unwissen über das Christentum gäbe und dass auch die christliche Welt ihre Kenntnisse über den Islam verbessern müsse.



KNA: Um Dialog geht es auch dem Präsidenten des päpstlichen Kulturrates, Kardinal Gianfranco Ravasi, der das Gespräch der katholischen Kirche mit der säkularen Welt sucht. Nach Veranstaltungen mit Nichtglaubenden unter anderem in Paris, Budapest und Palermo soll es auch Planungen für Berlin geben...

Thierse: So eine mehrtägige Dialogveranstaltung ist bei mir auf große Sympathie gestoßen und wir haben über konkrete Ideen gesprochen. Denn Berlin ist ein Ort, der nicht atheistisch ist, aber in dem die katholische Kirche eine Minderheit ist und wo alle anderen Religionen und Weltanschauungen vertreten sind. Es ist als eine sehr säkulare und multireligiöse Stadt ein besonders spannender Ort, an dem die Kirche sich dem Gespräch mit den anderen Weltanschauungen stellt. Die Idee ist, das Treffen im Jahr 2013 hinzubekommen.



KNA: Haben Sie mit dem vatikanischen Ökumeneminister Kardinal Kurt Koch den Deutschlandbesuch des Papstes analysiert?

Thierse: Es war ein besonders spannendes Gespräch, weil Kardinal Koch ausdrücklich dem Eindruck widersprochen hat, dass für Papst Benedikt XVI. die Ökumene mit den evangelischen Christen sekundär sei. Im Gegenteil sei das für den Papst besonders wichtig, auch im Hinblick auf das Reformationsgedenken im Jahr 2017.



KNA: Mit Spannung wird in Deutschland auch die Entscheidung des Vatikan über die Zukunft der traditionalistischen Piusbrüderschaft erwartet...

Thierse: Ich habe natürlich auch danach gefragt und - wenn ich das so sagen darf - Kardinal Koch hat mich beruhigt. In Deutschland gab es schon Gerüchte, dass der Vatikan den Piusbrüdern "nachgegeben" hätte und Kardinal Koch sagte, dem sei nicht so. Es bleibe dabei, dass die Piusbrüder die Autorität des Lehramtes und damit des Zweiten Vatikanischen Konzils anzuerkennen haben. Und in zwei besonders sensiblen Punkten, dem Verhältnis zum Judentum und dem Bekenntnis zur Religionsfreiheit, gäbe es kein Zittern und Zaudern seitens des Vatikan. Er sagte, der Vatikan könne nicht global für Menschenrechte und Religionsfreiheit eintreten und dann eine Gemeinschaft in den eigenen Reihen anerkennen, für die im Zentrum die Bekämpfung der Religionsfreiheit steht. Das seien Essentials, bei denen der Vatikan nicht nachgeben werde.



KNA: Welche besonderen Begegnungen stehen bei ihrem viertägigen Besuch noch an?

Thierse: Was mich sehr freut, ist ein Gespräch mit Andrea Riccardi, der Minister der derzeitigen Experten-Regierung und Gründer der katholischen Gemeinschaft Sant"Egidio ist. Da werden wir einerseits über die Entwicklung der Parteien-Demokratie in Italien reden, aber ich will ihn auch fragen, ob Sant"Egidio, die durch Geheimdiplomatie schon Fantastisches bewegt hat, nicht auch etwas in Nigeria tun kann. Mit dem afrikanischen Kurienkardinal Peter Turkson habe ich sehr ausführlich über Nigeria und die gewalttätige Gruppe Boko Haram gesprochen und über die Schwierigkeit, den Christen dort von außen Hilfe zu leisten. Die katholische Kirche ist an ihren Grenzen, die afrikanische Gemeinschaft und die Vereinten Nationen müssten sich dort stärker engagieren. Man müsste ohnehin erreichen, dass sich die Vereinten Nationen allgemein mit der Verfolgung von christlichen Minderheiten befassen, als eine der verfolgten Minderheiten in der Welt.



KNA: Müssen Sie als Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken für diese Laienvertretung im Vatikan noch die Werbetrommel rühren?

Thierse: Nein, das ZdK ist hier inzwischen nicht nur dem deutschen Papst als lebendige und tatkräftige Laienorganisation bekannt. Aber natürlich muss man immer wieder erklären, dass der deutsche Katholizismus viel reicher strukturiert ist und die Laien viel aktiver sind, als in anderen Teilen der Welt. Das stößt eher auf positives Interesse als auf Widerspruch, da der Vatikan weiß, dass es der Laien bedarf, wenn es um soziale und gesellschaftliche Fragen geht. Es ist allgemein wichtig, dass die Kirche als Diskussionspartner auftritt. Ich habe zum Beispiel Kardinal Turkson für seine Stellungnahme zur Finanzkrise gedankt. Ich finde es hochsympathisch, dass sich die Kirche aus solchen Debatten nicht heraushält. Nur seelsorgerliche Äußerungen aus dem Vatikan reichen nicht aus in dem Moment, wo die Weltpolitik mit der Bewältigung einer riesigen Krise beschäftigt ist.



Das Interview führte Agathe Lukassek.