Bundestag hört Sachverständige zu Pharmatests an schwer Dementen

Grenzen der freien Zustimmung

Das Gesundheitsministerium will Forschung auch an schwer Demenzkranken erlauben, wenn sie vorab in bewusstem Zustand eingewilligt haben. Es bleibt umstritten, ob das mit der Menschenwürde vereinbar ist. In Berlin kamen jetzt Experten zu Wort.

Autor/in:
Christoph Scholz
Medikamente, Arzneimittel, Tabletten, Pillen (dpa)
Medikamente, Arzneimittel, Tabletten, Pillen / ( dpa )

Die rechtlichen Hürden für Arzneimittelforschung am Menschen sind hoch - und noch höher, wenn Probanden selbst nicht mehr bewusst einwilligen können. Dies gilt etwa für schwer Demente oder Menschen mit Behinderung. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde verbietet es, den Mensch zu verzwecken. Gerade aufgrund der Menschenversuche unter der Nazi-Diktatur ist das Thema hierzulande besonders sensibel.

Erlaubt ist eine solche Forschung unter engen Rahmenbedingungen nur, wenn sie dem Probanden selbst nutzt. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will künftig unter bestimmten Bedingungen auch Tests an Probanden erlauben, die keinen unmittelbaren Nutzen aus der Forschung ziehen.

"Schutzwürdige Personengruppe"

Die beiden großen Kirchen in Deutschland hatten in einer gemeinsamen Stellungnahme bereits "erhebliche Bedenken" geäußert. Durch die geplanten Änderungen werde eine "besonders schutzwürdige Personengruppe", so argumentieren sie, „schwerwiegenden Gefahren und Missbrauchsrisiken ausgesetzt“.

Am Mittwoch hörte der Gesundheitsausschuss des Bundestags Experten aus Ethik, Recht und Medizin zur "Gruppennützigen Forschung an nicheinwilligungsfähigen Patienten" an - wie es im Fachjargon heißt. Diese hatten ihre Positionen vorab in schriftlichen Stellungnahmen ausführlich dargelegt.

Entscheidung soll am 9. November fallen

Gegenstand der Anhörung waren drei Anträge von fraktionsübergreifenden Gruppen. Der Bundestag will am 9. November abschließend über den Gesetzentwurf entscheiden. Eigentlich hatte er sich noch 2013 einstimmig gegen eine "fremdnützige" Forschung an Behinderten oder nicht-einwilligungsfähigen Erwachsenen ausgesprochen. Und daran soll sich nach dem Antrag der Abgeordneten Ulla Schmidt (SPD) und Uwe Schummer (CDU) auch nichts ändern.

Der SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach und der CDU-Abgeordnete Georg Nüßlein treten hingegen im Sinne der Vorlage aus dem Gesundheitsministerium dafür ein, dass Personen nach ärztlicher Aufklärung und noch im Zustand der Einwilligungsfähigkeit ihre Bereitschaft zur späteren Teilnahme an Forschungsvorhaben in einer Verfügung erklären können sollen. Der dritte Antrag sieht ebenfalls eine solche Verfügung, aber keine verpflichtende ärztliche Aufklärung vor.

Dabrock: "Teilnahme an Forschung muss möglich sein"

Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, sah ebenso wie der Vorsitzende des Arbeitskreises Medizinischer Ethikkommissionen, Joerg Hasford, im Entwurf von Lauterbach keine Gefahr der "Verzweckung". Im Gegenteil müsse es Personen ermöglicht werden, aus altruistischen Gründen an einer späteren klinischen Forschung teilzunehmen, führte Dabrock aus.

Auch der Heidelberger Medizinrechtler Jochen Taupitz mahnte ein "Recht auf Teilnahme" an Tests an. Im Zweifelsfall solle ein Betreuer oder Bevollmächtigter "ausgerichtet am individuellen Wohl des Betroffenen" unter strengen Rahmenbedingungen entscheiden. Zusätzlich wachten darüber die Bundesoberbehörde und Ethikkommissionen.

Lob-Hüdepohl: "Schutzniveau muss beibehalten bleiben"

Der Berliner Ethiker Andreas Lob-Hüdepohl, ebenfalls Mitglied des Deutschen Ethikrats, stellte demgegenüber grundsätzlich infrage, ob eine Vorausverfügung die Anforderungen an eine selbstbestimmte und informierte Zustimmung erfüllt. Diese verlange vorab eine genaue Kenntnis des konkreten Forschungsvorhabens. Dasselbe gelte nach der Rechtslogik der Patientenverfügung auch für einen Vertreter oder Betreuer. Bei unvorhersehbaren Testanordnungen sei dies aber faktisch unmöglich. Deshalb sei die Beibehaltung des Schutzniveaus ethisch geboten.

Was aber sagt die Forschung? Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA) hatte bereits vorher erklärt, dass er keine Änderung benötige. Der Frankfurter Demenzforscher Johannes Pantel schloss sich dem in seiner Expertise an. Nach seinen Ausführungen sind Vorabverfügungen auch deshalb fragwürdig, weil sich viele teils schwerwiegende Nebenwirkungen neuer Arzneimittel erst in späteren Testphasen zeigten. Zudem benötige evidenzbasierte Medizin eine relativ hohe Probandenzahl.

Der Experte für Ethik und klinische Prüfungen der Unionsfraktion, Hubert Hüppe (CDU), kritisierte, dass einige Sachverständige, "erschreckend viel weiter" gingen als der strittige Gesetzentwurf. Er warnte vor einem "Türöffner für fremdnützige Forschung an Menschen mit geistiger Behinderung". Angesichts der Probleme von Vorausverfügungen gehe es langfristig offenbar darum, diese "abzuschaffen und die Tür ganz zu öffnen".


Quelle:
KNA