Bundestag hebt alle "Kriegsverräter"-Urteile der NS-Justiz auf

Wiederherstellung der Ehre

Der Bundestag hat am Dienstag in Berlin alle Urteile der NS-Militärjustiz gegen sogenannte Kriegsverräter aufgehoben. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries erklärte, mit der Rehabilitierung werde die Ehre einer lange vergessenen Gruppe von Opfern der NS-Justiz wiederhergestellt: "Wir erkennen damit den Widerstand der einfachen Soldaten an, denn sie waren am häufigsten Opfer dieser Vorschrift."

 (DR)

Der FDP-Innenexperte Max Stadler sprach von einem wichtigen Zeichen. Die Linksfraktion, die die Initiatorin der Rehabilitierung der "Kriegsverräter" war, unterstützte auf Drängen der Union nicht den gemeinsamen Gesetzentwurf aller anderen Fraktionen, sondern stimmte für einen wortgleichen eigenen Entwurf.

Der Straftatbestand des Kriegsverrats war unter der NS-Herrschaft verschärft worden. Der Paragraf 57 des einstigen Militärstrafgesetzbuchs wurde zu einem Willkürinstrument, um politisch missliebiges Verhalten mit dem Tode zu bestrafen. Unter Kriegsverrat fielen beispielsweise Kontakte von Soldaten zu Kriegsgefangenen, Hilfen für Juden, Schwarzmarkthandel oder kritische Äußerungen über den Krieg. Verurteilt wurden zumeist einfache Soldaten, höhere Dienstgrade blieben verschont.

Der Bundestag hatte 1998 alle Unrechtsurteile der NS-Militärjustiz aufgehoben. 2002 beschloss das Parlament auch die pauschale Rehabilitierung von Deserteuren. Nur für Urteile nach dem Kriegsverrats-Paragrafen galt noch die Einzelfallprüfung. Faktisch war sie aber nicht mehr möglich. Nach Angaben der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz wurden rund 30.000 Deserteure, Verweigerer und «Kriegsverräter» durch NS-Richter zum Tode verurteilt. Etwa 20.000 wurden hingerichtet.

Mit der Rehabilitation der «Kriegsverräter» als letzter Opfer-Gruppe beschäftigte sich das Parlament schließlich in einer Anhörung 2008. SPD und Union konnten sich aber nicht auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen. Grüne, Linke, ein Teil der SPD-Abgeordneten sowie einzelne Parlamentarier von Union und FDP brachten daraufhin den Gruppenantrag ein, der nun in der letzten Sitzung des Bundestags vor der Wahl am 27. September mit den Stimmen aller Fraktionen verabschiedet wurde.

Nach Angaben des Justizministeriums stellen die Staatsanwaltschaften eine Bescheinigung darüber aus, dass ein NS-Kriegsverratsurteil aufgehoben ist. Zuständig ist die Staatsanwaltschaft an dem Ort, an dem auch die Verurteilung erfolgte. Liegt der Ort im Ausland, ist der Wohnsitz des Betroffenen maßgeblich. Da es keine Überlebenden der Kriegsverräter-Urteile mehr gibt, können Verwandte den Antrag stellen, um einen Verurteilten posthum zu rehabilitieren.