Der Bundestag hat am Donnerstag an das Ende des Parlamentarismus und den Beginn der nationalsozialistischen Diktatur vor 75 Jahren erinnert. Den Nachgeborenen müsse vor Augen geführt werden, wo es ende, wenn die Menschenrechte mit Füßen getreten und einem sogenannten Führer Allmacht zugebilligt werde, sagte der ehemalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel in seiner Ansprache.
Die Demokratie heute sei nicht in ähnlicher Weise in Gefahr wie 1933, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Aber eine Wiederbelebung nationalsozialistischer Anschauungen gebe es durchaus, betonte der 82-Jährige mit Blick auf rechtsextreme Parteien. "Wer wegsieht oder nur die Achseln zuckt, schwächt die Demokratie."
Eine Demokratie müsse von Bürgern getragen werden, die sich selbst für die Bewahrung der demokratischen Grundregeln verantwortlich fühlten, mahnte Vogel. Das sei die wichtigste Lehre aus der deutschen Geschichte. Die sinkende Wahlbeteiligung, die Politikverdrossenheit und die zunehmende Empörung über das Fehlverhalten von Managern "sollten uns gemahnen", sagte der SPD-Politiker.
Vogel gedachte vor allem der Opfer des Nationalsozialismus und der Menschen, die sich widersetzten, wie die 94 sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, die 1933 gegen das "Ermächtigungsgesetz" stimmten. "Lassen Sie uns ihrer gedenken und damit das Versprechen verbinden, dass wir ihres Vermächtnisses stets eingedenk bleiben ... bis in unsere tägliche Arbeit hinein", appellierte Vogel an die im Reichstagsgebäude versammelten Abgeordneten, Minister und Ehrengäste.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erinnerte daran, dass am Ende der Weimarer Republik die jeweiligen Parteiinteressen größer waren als die gemeinsame Verantwortung für stabile Verhältnisse. In einer beispiellosen Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung sei die Missachtung des Reichstages zu einer Parlamentsverachtung breiter Bevölkerungsschichten ausgewachsen.
Auch heute sei der Parlamentarismus nicht unangefochten, sagte der Bundestagspräsident. Aber er erweise sich als robuster und vitaler als gemeinhin vermutet, wenn auch nicht immer so selbstbewusst, wie er sein sollte.
Die Zustimmung des Reichstags zum "Ermächtigungsgesetz", das der Regierung erlaubte, ohne Zustimmung des Parlaments Gesetze zu erlassen, sei die Selbstaufgabe des Parlaments gewesen, so Lammert.
"Es ist das historische Verdienst der verbliebenen SPD-Abgeordneten, mit großem persönlichen Mut der Repression widerstanden zu haben." Lammert drückte all denen seinen "dankbaren Respekt" aus, die während und nach der Zerstörung der ersten deutschen Demokratie den "politischen, sozialen und moralischen Wiederaufbau unseres Landes möglich gemacht haben".
Bundestag gedenkt der Zerstörung der Demokratie 1933
Das Ende der Demokratie
In einer Gedenkstunde erinnerte der Bundestag heute an die "Zerstörung der Demokratie in Deutschland vor 75 Jahren" durch die Nationalsozialisten. Dabei haben Bundestagspräsident Lammert und der frühere SPD-Partei- und Fraktionschef Vogel an die Ereignisse in den ersten Monaten nach der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 erinnert. Auf der Veranstaltung sind auch der Originalton mit Passagen der Rede des Sozialdemokraten Otto Wels vom 23. März 1933 eingespielt worden, in der er sich im Namen der SPD gegen das sogenannte Ermächtigungsgesetz und damit gegen die Entmachtung des Parlaments ausgesprochen hatte.
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