Bundestag gedenkt der Opfer des Holocaust

"Kein Betriebsunfall der deutschen Geschichte"

Der Bundestag hat am Freitag der Millionen Opfer der nationalsozialistischen Terrorherrschaft gedacht. In der Gedenkstunde in Berlin rief Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) zu ständiger Wachsamkeit gegen nationalsozialistisches Gedankengut auf. "Nach den bitteren Erfahrungen des letzten Jahrhunderts dulden wir keine Form von Extremismus, Rassismus und Antisemitismus - nirgendwo in der Welt, und in Deutschland schon gar nicht", sagte er.

Autor/in:
André Spangenberg
 (DR)

Lammert betonte, der 30. Januar 1933 sei weder ein "Betriebsunfall der deutschen Geschichte" noch unausweichlich gewesen. Da der Weg in die Diktatur "keine Zwangsläufigkeit" gewesen sei, bleibe er eine "beständige Mahnung an alle demokratischen Kräfte". Deutschland sei vor solchen Anfeindungen nach wie vor nicht geschützt, sagte der Bundestagspräsident. Es sei "beschämend", dass jüdische Einrichtungen in Deutschland durch ständige Polizeipräsenz vor Angriffen geschützt werden müssten.

Als Ehrengast der Gedenkstunde war die tschechische Schriftstellerin Lenka Reinerová eingeladen, die aus gesundheitlichen Gründen aber nicht nach Berlin kommen konnte. Ihre Rede wurde von der Schauspielerin Angela Winkler verlesen. Lammert unterstrich, die Weitergabe authentischer Erfahrungen sei "unverzichtbar für eine Erinnerungskultur, die lebendig bleiben muss".

In der Ansprache erinnerte Reinerová eindrucksvoll an die vielen Deutschen, die nach 1933 aus ihrer Heimat flüchteten, aber auch an die unvorstellbaren Grausamkeiten während der NS-Zeit und die gezielte Vernichtung der Juden. Ihre gesamte jüdische Familie - 11 Menschen - wurde im KZ ermordet. Reinerová unterstrich, heute gebe es eine neue Gefahr: "Jetzt geht es darum, das neue Unheil, den Terrorismus, zu bekämpfen."

Reinerová wurde 1916 in einer deutschsprachigen jüdischen Familie in Prag geboren. 1939 floh sie zunächst nach Frankreich, dann nach Mexiko. 1948 kehrte sie nach Prag zurück, wurde Anfang der 50er Jahre für 15 Monate inhaftiert und zeitweise mit Berufsverbot belegt.

An der Veranstaltung nahmen unter anderen Bundespräsident Horst Köhler, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesratsvizepräsident Harald Ringstorff (SPD) teil. Unter den Zuhörern waren auch dutzende junge Menschen aus Deutschland, Frankreich, Polen und Tschechien, die seit dem 21. Januar an der Jugendbegegnung des Bundestages zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus teilnehmen.

Der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 wurde 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zum "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" erklärt. Lammert beklagte, dass die Gedenkveranstaltung erneut nicht im Hauptprogramm von ARD und ZDF übertragen wurde.