Bundespräsident besucht zum 70. Wannsee-Jahrestag Gedenkstätte

Erinnerung an NS-Gräuel als "nationale Aufgabe"

Bundespräsident Christian Wulff hat zum 70. Jahrestag der Wannsee-Konferenz die dauerhafte Erinnerung an die Gräueltaten der NS-Zeit als "nationale Aufgabe" bezeichnet. Bei der Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an den Beginn des Völkermordes an den Juden Europas im Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin bekräftigte Wulff am Freitag zugleich die unverbrüchliche Treue Deutschlands zu Israel. Auch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem wurde an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte mit einer Kranzniederlegung erinnert.

Autor/in:
Jürgen Heilig
 (DR)

In Berlin äußerte Wulff in seiner Ansprache zugleich "Scham und Zorn" über das Versagen von Polizei und Verfassungsschutzbehörden angesichts der lange unentdeckten rechtsterroristischen Verbrechen in jüngster Vergangenheit. Angesichts der jüngst bekanntgewordenen Neonazi-Mordserie sagte der Bundespräsident, gerade am Ort der Wannsee-Konferenz gelte es, den Familien der Opfer dieser "Bande von rassistischen Mördern" zu versprechen, alles zu unternehmen, damit Terror und "Hass auf Fremde und Fremdes in Deutschland nie mehr Platz haben".



Die Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 gilt als entscheidende Wegmarke für den Holocaust. Bei der Zusammenkunft in einer Villa im Südwesten Berlins hatten die 15 Spitzenbeamten die organisatorische Umsetzung des Völkermords besprochen. In dem damaligen Gästehaus der SS wurde vor 20 Jahren eine Gedenkstätte eröffnet, die Wulff am Freitag zusammen mit dem israelischen Minister Yossi Peled besuchte. Wulff sagte, der Ort der Wannsee-Konferenz sei ein "Ort deutscher Schande".



In der Vergangenheit habe es einige gegeben, die vor dem wachsenden gewalttätigen Rechtsextremismus gewarnt haben, fügte Wulff hinzu und wandte sich damit an den ebenfalls anwesenden Generalsekretär des Zentralrates der Juden, Stephan Kramer. "Das habe ich damals für übertrieben gehalten", sagte Wulff. Heute aber müsse die Frage gestellt werden, "ob Sie damit nicht recht hatten". Wulff nutze seine Ansprache zu einer Solidaritätserklärung. Wenn Juden verfolgt würden oder in Gefahr seien, fühle Deutschland sich ihnen nah und verbunden, sagt er. Und er fügte hinzu: "Deutschland steht unverbrüchlich an der Seite Israels."



Der israelische Minister Yossi Peled stellte sich als kleiner Junge vor. Als Jeffke Mendelevich. So war sein Name bei der Geburt. Am Freitag hat der 72-jährige Minister zusammen mit Bundespräsident Christian Wulff in Berlin das Haus der Wannsee-Konferenz besucht. Dort sprach er bei einer Gedenkfeier - 70 Jahre, nachdem an dem idyllischen Ort die Schoah geplant wurde. "Ich fühle noch wie der zum Tode verurteile Junge."



Sein Vater habe ihn nie in den Arm nehmen können, erzählt er. Ermordet in einer Gaskammer in Auschwitz. Als Kind habe ihn die Angst verfolgt, auch "als Rauch durch die Schornsteine" zu gehen, sagte er. Peled hat den Holocaust versteckt in einem katholischen Kloster in Belgien und durch eine christliche Adoption überlebt.

"Ich habe alle christlichen Gebete auswendig gelernt, um nicht aufzufallen", erzählt er. Um den Hals trug er damals ein Kreuz. "Keiner durfte merken, dass ich anders bin."



Mitschuld von "Christen und Kirchen, die keinen Widerstand leisteten"

Wie stark die Aussöhnung zwischen Deutschland und Israel inzwischen ausgeprägt ist, machte diese Begegnung von Peled und Wulff deutlich. Mit "liebe Freunde" sprach der Minister die Deutschen an. Es sei ein wichtiges Zeichen, dass der Bundespräsident anwesend sei. "Wir leben alle immer im Schatten des Holocaust", war seine Botschaft. Nach der Befreiung sei er nach Israel gegangen, dort habe er in der Armee Karriere gemacht. Der Tag seiner Einberufung sei ihm ein Fest gewesen, sagt er. Die Waffe in der Hand habe ihm das Gefühl gegeben, nicht mehr wehrlos zu sein, wie so viele Juden in Europa. Dies gelte bis heute. Überall dort, wo Juden verfolgt würden, werde Israel alles, was Recht ist, unternehmen, um Antisemitismus und Rassismus "an der Wurzel" zu bekämpfen.



Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, warnte in einem Gastbeitrag für die "Bild"-Zeitung (Freitagsausgabe), Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit vergifteten auch heute noch zu viele Menschen, "die in den braunen Sumpf von Menschenhass hineineingezogen werden und unterzugehen drohen". Immer noch "gibt es Faschisten, die nicht nur grölend durch die Straßen ziehen, sondern mordend das Land in Schrecken versetzen", schrieb er.



Claudia Roth und Cem Özdemir, Bundesvorsitzende der Grünen, erklärten in Berlin, die aktuellen Ereignisse machten deutlich, dass Aufklärung und weitere Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen nach wie vor akut und von wichtigster Bedeutung sei: "Jahrelang konnte eine rechtsradikale Terrorzelle eine Blutspur durch Deutschland ziehen, ohne dass überhaupt der Verdacht auf rechtsradikale Ideologien als Tathintergrund aufkam."



Kirchenvertreter gedenken in Jerusalem Wannsee-Konferenz

Mit einer Kranzniederlegung in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem haben am Freitag Kirchenvertreter aus Deutschland und Österreich in Jerusalem des 70. Jahrestages der Wannsee-Konferenz gedacht. Initiator der Gedenkveranstaltung war die "Internationale Christliche Botschaft" in Jerusalem.



An die Mitschuld von "Christen und Kirchen, die keinen Widerstand leisteten", erinnerte Propst Uwe Gräbe von der deutschsprachigen evangelischen Erlöserkirche in Jerusalem. Dieses Erbe stelle die "gesamte Theologie und den Glauben bis heute in Frage", sagt der Theologe.



Die Wannsee-Konferenz sei eine Warnung, nicht der Illusion zu verfallen, dass allein Erziehung ein Rezept sein könne, "gegen die ansteckende Krankheit Judenhass". Kritik an der israelischen Politik sei durchaus zulässig, sagte Gräbe. Dennoch sei Vorsicht geboten, wenn immer nur eine Nation verantwortlich gemacht werde für alles Böse in der Welt. Bei der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 hatten Spitzenbeamte und NS-Parteifunktionäre die organisatorische Umsetzung der Ermordung der europäischen Juden eörtert.



Auch Jürgen Bühler vom Leitungsgremium der proisraelisch ausgerichteten Christlichen Botschaft erinnerte an die Versäumnisse von Christen in der NS-Zeit. Das "betäubende Schweigen der Kirchen" fordere dazu auf, auf dem Weg der Buße weiter zu gehen. Christen in Deutschland hätten da noch einiges aufzuarbeiten. Die Internationale Christliche Botschaft wurde vor 30 Jahren von christlichen Gruppen gegründet, um ihre Solidarität mit dem jüdischen Volk und dem Staat Israel zum Ausdruck zu bringen.