Bund und Länder wollen Kinderschutz stärken - Caritas-Präsident Peter Neher im domradio

"Gesetze lösen das Problem nicht"

Mit Skepsis sieht der Deutsche Caritasverband die in Berlin beschlossenen verstärkten Anstrengungen zum Kinderschutz. Grundsätzlich seien die Bemühungen "begrüßenswert", so Caritas-Präsident Peter Neher. Gesetze müssten aktuell aber nicht geändert werden. Im domradio-Interview erklärt er, warum.

 (DR)

domradio: Warum kritisiert die Caritas die geplanten gesetzlichen Änderungen, die Jugendämter verpflichten soll schon bei geringen Anlässe Hausbesuche bei Familien durchzuführen?

Peter Neher: Alles, was dem Schutz der Kinder dient, ist unterstützenswert. Das ist das Eine. Das Andere ist: Die Regierung hat ja bereits im Jahr 2005 mit der Einführung des Kinderschutzparagraphen im Sozialgesetzbuch einen Verständigungsprozess hier gerade auch mit der Praxis ausgelöst, der noch in vollem Gange ist. Und wir meinen, dass man eigentlich erst mal die Ergebnisse dieser Gesetzesänderung von 2005 sauber auswerten muss, um dann eventuell noch mal zu schauen, wo Nachbesserungsbedarf besteht. Außerdem meinen wir, dass man mit gesetzlichen Verschärfungen allein ein Thema überhaupt nicht löst, das hier sehr grundlegend ist.

domradio: Wie können den stattdessen Verwahrlosungen von Kindern verhindert oder zumindest reduziert  werden?

Peter Neher: Ich denke, dass es notwendig ist, genügende personelle Kapazitäten bei den Jugendämtern aufzubauen - die ja überhaupt nicht da sind, um dem staatlichen Schutzauftrag besser gerecht zu werden. Außerdem arbeiten wir intensiv daran, dass gerade niederschwellige Angebote ausgebaut werden, um möglichst früh Kontakt mit Vätern und Müttern zu bekommen, die in ihrem Alltag offenbar überfordert sind - von Kindern. Dazu gehört für uns eine gute Vernetzung der Schwangerschaftsberatungsstellen, der Kinderärzte, der Geburtskliniken, der Hebammen und der Jugendämter, die praktisch damit in Kontakt und in Beziehung mit Betroffenen kommen, und so eine vertrauensvolle Atmosphäre aufbauen, um möglichst rasch und gezielt dann auch Unterstützung anzubieten.

domradio: Sie haben das niederschwellige Angebot angesprochen: Wie sieht denn in diesem Zusammenhang konkret die Arbeit der Caritas aus?

Peter Neher: Wir haben im Herbst 2007 hier mit einem eigenen Projekt "frühe Hilfen" begonnen, um eben genau auch in unseren eigenen Einrichtungen und Diensten diese Transparenz und Durchlässigkeit der Hilfesysteme zu gewährleisten. Damit gelingt es eigentlich sehr gut, möglichst frühzeitig vertrauensvolle Kontakte aufzubauen. Ein weiterer Punkt: die sogenannten Haushaltsorganisationstrainings, in denen eigentlich nichts  anderes gemacht wird, als Familien zu befähigen ihren Alltag zu gestalten und genau diese Überforderungsmomente, die ja dann auch häufig mit Kindern erscheinen, abzubauen, um die Väter und Mütter in die Lage zu versetzen, einfach ihren Haushalt zu gestallten und das positiv zu tun, bis hin zum gesunden Kochen, Einkaufen und solchen Dingen.
Also die ganz konkreten Dinge des Alltages. Im Moment wird ja das Thema Kinderarmut Kinderschutz in Deutschland groß diskutiert. Aber was kann denn so ein Kinderschutzgipfel wie gestern bei der Kanzlerin mit dem Ministerpräsidenten dann tatsächlich bringen?
Na gut, ich denke der liegt eher in einer politisch- gesamtgesellschaftlichen Bedeutung. Und zwar einfach, um deutlich zu machen, dass das Thema Kinderschutz oder besser vielleicht Kindeswohl tatsächlich bei der Politik angekommen ist. Dass die Politik auch erkannt hat, dass es einen gewissen Handlungsbedarf gibt. Aber entscheidend ist, dass so ein Gipfel vielleicht auch beitragen kann, dass wir hier in Deutschland überhaupt Wege finden, dass Kinder gelingend aufwachsen können. Und zwar in einer sozial gerechter gestalteten Gesellschaft. Denn ich denke, es darf einfach nicht sein, dass die soziale Herkunft - gerade wie in Deutschland - dermaßen stark über die Zukunft eines Kindes - über Schul- und Berufsaussichten - entscheidet. Und da kann so ein Gipfel durchaus ein wichtiges politisches Signal sein.

Bund und Länder wollen Kinderschutz verstärken
Bund und Länder wollen ihre Anstrengungen zum Schutz von Kindern vor Vernachlässigung und Misshandlung verstärken. Bis Jahresende solle ein sogenanntes Artikelgesetz für rechtliche Klarheit und bundeseinheitliche Regelungen sorgen, sagte Hessens Regierungschef Roland Koch (CDU) als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag in Berlin. Darauf hätten sich die Länder in ihrem Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verständigt.

Koch zufolge geht es um bessere Möglichkeiten für die Jugendämter zum Besuch von Problemfamilien, um einfachere Regelungen zum Datenschutz bei Informationen über Vernachlässigung oder die Verpflichtung von Kinderärzten, Verdachtsfälle von Misshandlungen zu melden. Auch soll es eine einheitliche Kostenregelung für eine bessere medizinische Betreuung von Kleinkindern geben. Koch wies darauf hin, dass sechs Länder bereits solche Gesetze erlassen hätten und in weiteren sechs entsprechende Vorlagen in der Beratung seien. Nötig sei jedoch, in bestimmten Punkten bundeseinheitliche Vorgaben zu schaffen.

Koch betonte, zwar böten gesetzliche Vorgaben keine Garantie gegen Kindesmisshandlungen oder Vernachlässigung. Doch werde sichergestellt, dass es «keine Entscheidung der Jugendämter nach Aktenlage» mehr gebe. Hier werde die rechtliche Grundlage für staatliche Eingriffe geschaffen, wo sie notwendig und geboten seien.