Bruder Paulus zur Debatte um Pfarrer Fliege

"Er stellt sich außerhalb des christlichen Handelns"

Einst war er Vorzeigepfarrer, jetzt scheint er zum "enfant terrible" der evangelischen Kirche zu werden: Jürgen Fliege. Nun soll er indirekt zum Kirchenaustritt aufgerufen haben. Medienbeobachter Bruder Paulus Terwitte zeigt sich im domradio.de-Interview erstaunt über die Vorgänge bei den Glaubensschwestern- und brüdern.

 (DR)

domradio.de: Jürgen Fliege ist "nur" der Herausgeber des "Fliege."-Magazins. Muss er dann geradestehen für diesen Artikel?

Bruder Paulus Terwitte: Ein Herausgeber ist selbstverständlich verantwortlich dafür, was in seinem Magazin erscheint. Wir hatten letztens schon mit dem evangelischen Magazin "Chrismon" das Problem, dass die Herausgeber gesagt haben, das was die betreffende Autorin da über die katholische Kirche geschrieben hat, das hat sie erzählt, dafür stehen wir Herausgeber nicht gerade. Aber ich finde: Wofür gibt es Herausgeber? Sie stehen für ein Magazin und letztendlich verantworten sie auch, was in diesem Magazin erscheint.



domradio.de: Was ist davon zu halten, wenn in Flieges Magazin Schritt für Schritt der Weg zum Kirchenaustritt erklärt wird?

Terwitte: Wenn das als journalistische Leistung erklärt wird, dass man einfach einmal den Weg zeigen will, wie ein Kirchenaustritt funktioniert, dann ist dagegen gar nichts zu sagen. Es kommt aber darauf an, in welchem Umfeld das gezeigt wird. Und gerade in diesem Fall, in diesem Artikel ging es ja wohl darum, auch davon zu sprechen, dass Kirchenaustritt möglich ist. Und jeder, der dann diese sogenannte Information gelesen hat, musste sie natürlich als eine Aufforderung entgegennehmen, sich verstärkt darüber Gedanken zu machen, ob jetzt nicht der Zeitpunkt gekommen sei, auszutreten.  



domradio.de: Anfang Oktober hatte die evangelische Landeskirche ein Disziplinarverfahren gegen Pfarrer Fliege eingeleitet. Anlass war die kolportierte Äußerung Flieges, Gott und Kirche seien - Zitat -"erst mal scheißegal". Glauben Sie, die Anleitung zum Kirchenaustritt könnte ein erweitertes Disziplinarverfahren rechtfertigen?

Terwitte: Ich glaube, dass Pfarrer Fliege, so lange er als Pfarrer der evangelischen Kirche gelten will, sich auch im Kreis der evangelischen Kirche bewegen muss. Und es ist Aufgabe der evangelischen Kirche, sich zu fragen: Wie weit lassen wir Menschen die Freiheit, die ja für die evangelischen Christen so wichtig ist. Und da könnten wir als katholische Journalisten und als katholische Christen der evangelischen Kirche sagen: Zeigt doch einmal, dass Eure Freiheit nicht nur meint, dass alles möglich ist, sondern dass nur das möglich sein darf, was respektvoll ist, was den Werten des Evangeliums entspricht, was - mit Verlaub gesagt - einfach anständig ist.  



domradio.de: Jürgen Fliege war ein beliebter Moderator mit eigener Show in der ARD und beachtlicher Quote. Man kann aber den Eindruck bekommen, dass er etwas abgedreht ist. In der Kritik steht zum Beispiel seine Fliege-Essenz: eine Flüssigkeit, die von Jürgen Fliege angeblich mit Gebeten und Handauflegen bereichert wurde. 75 Milliliter für 40 Euro. Seine Begründung: Nichts anderes verkauft die katholische Kirche als Weihwasser. Würden Sie das genau so sehen?

Terwitte: Das ist unprofessionell, so zu reden, weil es einfach nicht der Wahrheit entspricht, das müsste der Theologe Jürgen Fliege eigentlich wissen, der hoffentlich auch die katholische Theologie studiert hat. Weihwasser ist ein gesegnetes Wasser, das im Rahmen des Gottesdienstes gesegnet wird, und erinnert an die Taufe. Dass es von Menschen mit nach Hause gebracht wird und manche es auch als magisch verstehen, das stimmt, aber das gehört nicht zur Lehre der Kirche.



Und jetzt anzufangen, 75 Milliliter für 40 Euro zu verkaufen, so viel Selbstbewusstsein müsste ich erst einmal haben! Also ich würde es unverschämt finden, einfach Leuten ein Wässerchen nach Hause zu schicken und zu sagen: Ich habe darüber gebetet, das rechtfertigt den Preis. Ich glaube, dass Jürgen Fliege schlecht beraten ist, sich in dieser Weise auf dem Markt zu zeigen. Er stellt sich damit außerhalb des christlichen Handelns.



Das Interview führte Pia Klinkhammer.



Hintergrund

Dem ehemaligen Fernsehpfarrer Jürgen Fliege droht offenbar weiterer Ärger mit der Evangelischen Kirche im Rheinland. Das Disziplinarverfahren, das die Landeskirche gegen ihn eingeleitet hat, könnte einem Zeitungsbericht zufolge ausgeweitet werden.



Grund sei ein Artikel in der aktuellen Ausgabe seiner Zeitschrift "Fliege", in dem Tipps zum Kirchenaustritt gegeben würden. Allerdings sei der Beitrag nicht von dem 64-Jährigen selbst verfasst, berichtet die in Düsseldorf erscheinende "Rheinischen Post" in ihrer Samstagsausgabe.



Unter dem Titel "Ich glaube an Gott, aber nicht an die Kirche" werde in dem Magazin, als dessen Herausgeber Fliege firmiert, eine neue Serie über Kirchenaustritte angekündigt. In einem Infokasten würden praktische Tipps für den Austritt gegeben - von der zuständigen Stelle bis zu erforderlichen Unterlagen.



Bei der Landeskirche in Düsseldorf ist der Text bekannt, der Vorgang werde juristisch geprüft, zitiert die "Rheinische Post" einen Kirchensprecher. Wenn sich neue Vorwürfe oder Vorgänge ergeben, sei es möglich, ein eingeleitetes kirchliches Disziplinarverfahren zu erweitern, sagte Sprecher Jens-Peter Iven dem epd. Ein Zeitpunkt für eine solche Entscheidung sei noch nicht absehbar.



Fliege ist Ruhestandspfarrer der rheinischen Kirche. Vor zwei Wochen war bekanntgeworden, dass die Landeskirche ein Disziplinarverfahren gegen den umstrittenen Theologen eingeleitet hat. Zu den konkreten Vorwürfen machte die Kirche mit Verweis auf "schutzwürdige Interessen" indes keine Angaben. Das evangelische Kirchenrecht sieht ein Disziplinarverfahren vor, wenn ein Pfarrer seine "Amtspflicht vorsätzlich oder fahrlässig verletzt", unabhängig davon, ob er im aktiven Dienst oder bereits im Ruhestand ist. Am Ende des Verfahrens können unter anderem ein Verweis, eine Kürzung der Bezüge oder gar die Entfernung aus dem Amt stehen.



Fliege ist mehrfach in Konflikt mit der evangelischen Kirche geraten. Vor wenigen Wochen hatte er Unmut ausgelöst, indem er eine angeblich von ihm spirituell aufgeladene Fliege-Essenz bewarb und vertrieb. Außerdem soll Fliege nach einem Bericht der Tageszeitung "Die Welt" im Gespräch mit einem Brautpaar über dessen Trauung gesagt haben, Gott und Kirche seien "erst mal scheißegal", es komme auf die Seele an.



Fliege war Pfarrer in Düsseldorf, Essen und Aldenhoven bei Aachen, bevor er 1994 in der ARD mit einer nach ihm benannten Talkshow auf Sendung ging. 2005 wurde das Format eingestellt.