"Brot für die Welt" kritisiert Politik der Bundesregierung

"Ein deprimierendes Jahr"

Statt Fluchtursachen zu bekämpfen, ging es nur um Flüchtlingsabwehr. Dies ist einer der Kritikpunkte der Präsidentin von "Brot für die Welt" an der Politik der Bundesregierung. Im Interview zieht sie eine ernüchternde Jahresbilanz.

"Brot für die Welt" / © Jörg Sarbach (epd)
"Brot für die Welt" / © Jörg Sarbach ( epd )

domradio.de: Im vergangenen Jahr ist viel passiert. Die Migration nach Europa reißt nicht ab, Naturkatastrophen weltweit, Kriege im Nahen Osten: War es ein außergewöhnlich schlechtes Jahr?

Pfarrerin Cornelia Füllkrug-Weitzel (Präsidentin von Brot für die Welt): Es war ein Jahr, in dem man viel Hoffnung brauchte, um nach vorne zu blicken. Es gab viele Krisen und viele Menschen waren zur Flucht gezwungen. Allerdings gab es im vergangenen Jahr nicht ganz so viele große Katastrophen, zumal sich die Hungerkatastrophe in Ostafrika vor einem Jahr schon angekündigt hatte. Es war also leider ein normales Jahr; in Zeiten des Klimawandels und in Zeiten verstärkter Militarisierung. Angesichts dessen, was aber möglich gewesen wäre, war es ein deprimierendes Jahr. 

domradio.de: Mit Blick auf die ablaufende Legislaturperiode: Hat die aktuelle Bundesregierung genug getan, um die Fluchtursachen weltweit wirkungsvoll zu bekämpfen?

Füllkrug-Weitzel: Die Bundesregierung hat extrem viel davon gesprochen, dass sie Fluchtursachen bekämpfen möchte. De facto hat sie sich damit sehr wenig beschäftigt. Sonst hätte man sich nämlich bemüht, in den sehr armen Herkunftsländern und in den Kriegsgebieten, aus denen die Menschen gezwungen sind, zu fliehen, langfristige Bedingungen für auskömmliche Lebensverhältnisse und friedliche Konfliktaustragung zu schaffen. Das ist aber im Vergleich zu den Vorjahren nicht in gesteigertem Maße geschehen.

Stattdessen wurde unter dem Stichwort "Fluchtursachenbekämpfung" einerseits die Bekämpfung von Flüchtlingen finanziert, damit sie nicht über die Grenzen nach Europa kommen. Das heißt, es wurden Abkommen mit Transitstaaten getroffen und mit Entwicklungsgeldern erkauft, um Flüchtlinge abzuhalten. Politisch kann man das so oder so einschätzen, aber faktisch hat das nichts mit der Bekämpfung von Fluchtursachen zu tun, denn die Menschen sind ja schon geflohen.

Außerdem wurde aus dem entsprechenden Mehr an Mitteln, das dem Entwicklungsministerium (BMZ) zur Verfügung gestellt wurde, speziell auch Maßnahmen im Inland zur Integration und zur Aufnahme von Flüchtlingen finanziert. Fluchtursachenbekämpfung hat sehr wenig stattgefunden. Der Hauptfokus ist die Abwehr von Flüchtlingen. 

domradio.de:  Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?

Füllkrug-Weitzel: Ich erwarte, dass sie echte Fluchtursachenbekämpfung macht. Das würde zu Recht mit Mitteln des Entwicklungsministeriums laufen, die dann nicht weiter in Maßnahmen zur Migrationskontrolle gesteckt werden müssten. Es sollten vor allen Dingen auch die Fluchtursachen in den Herkunftsländern entschiedener angepackt werden. Außerdem sollte endlich auch ein Rüstungsexportgesetz auf den Weg gebracht werden, um sicherzustellen, dass wir nicht weiter in Spannungsgebieten für Waffenzufuhr sorgen.

Es ist ein Skandal, dass Saudi-Arabien weiterhin Waffen bekommt, obwohl sie zu den Hauptkriegstreibern im Jemen und in Syrien gehören. Wir sind zudem der Meinung, dass es doppelte klimapolitische Anstrengungen braucht, um eine echte Energiewende herbeizuführen. Denn das gegenwärtig ins Auge gefasste Ziel der Reduktion auf maximal zwei Grad Erderwärmung braucht noch viel mehr Anstrengung. Wir fallen gerade zurück, wir emittieren mehr.

domradio.de:  Auch wenn das vielleicht schwer zu sagen ist, welches Land, welche Region hat Ihrer Meinung nach aktuell Hilfe am dringendsten nötig?

Füllkrug-Weitzel: Ich denke, wir müssen uns mehr um die Länder kümmern, die aktuell unter der großen und gewaltigen Dürre leiden. Sie sind Opfer des Klimawandels. Das passiert auch jetzt nicht nur einmal, sondern die Dürre und die ungleichmäßigen Regenfälle werden wiederkommen. Betroffen davon sind zugleich auch Gebiete, in denen viele Konflikte ausgetragen werden. Die Länder stehen trotzdem nicht im Fokus der Bundesregierung.

Das Interview führte Tobias Fricke.


"Brot für die Welt"-Präsidentin Cornelia Füllkrug-Weitzel (dpa)
"Brot für die Welt"-Präsidentin Cornelia Füllkrug-Weitzel / ( dpa )
Quelle:
DR
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