Botanikerin zählt Friedhöfe zu artenreichsten Flächen 

"Ökologische Zeitkapseln"

Friedhöfe gehören nach Worten der Botanikerin Corinne Buch zu den artenreichsten Flächen in Städten. Die Vegetation auf manchen Friedhöfen ähnele derjenigen vor 150 Jahren, sagte sie am Mittwochabend bei einem Online-Vortrag.

Autor/in:
Paula Konersmann
Friedhöfe sind Heimat vieler Tier- und Pflanzenarten / © Beatrice Tomasetti (DR)
Friedhöfe sind Heimat vieler Tier- und Pflanzenarten / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die Flächen im westlichen Ruhrgebiet, die Buch im Rahmen eines laufenden LVR-Projekts untersucht, hätten die Weltkriege, die Industrialisierung und den Strukturwandel überstanden. Friedhöfe seien damit "ökologische Zeitkapseln", sagte die Bochumer Wissenschaftlerin.

Auf insgesamt 138 Friedhöfen habe sie fast 700 verschiedene Pflanzenarten nachgewiesen, erklärte Buch. In ganz Nordrhein-Westfalen gebe es etwa 2.000 Pflanzenarten. Dass ein Drittel von ihnen auf Friedhöfen vorkomme, übertreffe die Erwartungen der Forschung. Etwa 60 dieser Pflanzen stünden zudem auf der Roten Liste, seien also gefährdet. Positiv wirke sich diese Vielfalt auch auf Tiere wie Wildbienen oder Schmetterlinge aus. Darüber hinaus zeigten sich positive Effekte für das städtische Klima oder die Bodenqualität.

Rückzugsräume für seltene Tier- und Pflanzenarten

Ihr sei es ein Anliegen, für diese Funktion von Friedhöfen als Rückzugsräume für seltene Tier- und Pflanzenarten zu sensibilisieren, sagte die Botanikerin. Durch einen Wandel in der Bestattungskultur stünden viele Städte und Kommunen vor der Frage, was mit frei werdenden Flächen geschehen solle. Um zu verhindern, dass daraus Parkplätze oder Industriegebiete würden, sei die Bevölkerung gefragt. Oft erlebe sie Begeisterung darüber, "welche Schätze man vor Ort hat", betonte sie. Dabei gehe es nicht um prachtvolle Blumen, sondern beispielsweise um eine "Mini-Heidelandschaft" auf dem Friedhof Oberhausen-Sterkrade.

Das Stichwort: Friedhofskultur

Die Friedhofskultur in Deutschland ist seit 2020 "immaterielles Kulturerbe". Auf Empfehlung der Deutschen Unesco-Kommission beschloss die Kultusministerkonferenz im März 2020 die Aufnahme in das bundesweite Kulturerbe-Verzeichnis.

Das immaterielle Erbe Friedhofskultur bezieht sich dabei "auf das, was Menschen auf dem Friedhof tun - trauern, erinnern und gedenken" sowie auf das Gestalten, Pflegen und Bewahren. Es sind also nicht die Friedhöfe selbst, die zum Unesco-Welterbe ernannt wurden, das wäre quasi materielles Erbe.

Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz (KNA)
Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz ( KNA )

Die wichtigste Maßnahme für die Förderung der Artenvielfalt sei der Erhalt von Flächen, betonte Buch. Die bisherige Pflege und Nutzung von Friedhöfen habe zu dieser positiven Entwicklung beitragten. Dazu gehöre insbesondere der Erhalt von waldartigen Strukturen, Gehölzen und Alleen. Auch Streuobstwiesen trügen zur Biodiversität bei. Zudem dürften Mauern und alte Grabanlagen als Lebensraum nicht unterschätzt werden.

Grabgestaltung ohne Kies und Kunstrasen

Auch eine "naturnahe Grabgestaltung" sei empfehlenswert, erklärte die Expertin. Dazu zähle die Vermeidung von Kies, Glassteinen oder Kunstrasen. Sinnvoller sei, heimische Arten für eine ganzjährige Bepflanzung zu nutzen - von Frühblühern bis zu Heidekraut. Orientieren könne man sich an den Arten, die auch für Naturgärten empfohlen würden.

Die Pflanzen, die sich auf Friedhöfen fänden, ermöglichten auch historische Erkenntnisse, fügte Buch hinzu. So fänden sich dort verwilderte Nachkommen von Kulturpflanzen, die eine Bindung an die ehemalige Kultur behalten und historische Anpflanzungen noch nach vielen Jahrzehnten und Jahrhunderten belegen. Darunter seien alte Pflanzenarten wie Krokusse oder Schneeglöckchen, aber auch gärtnerische Modeerscheinungen wie das Balkan-Windröschen oder der Einblütige Frühlingsstern. Zu dem Vortrag hatte das Kuratorium Immaterielles Erbe Friedhofskultur eingeladen.

Quelle:
KNA