Bonner Museum zeigt Bildikonen deutscher Geschichte

Bilder im Kopf

Schlüsselbilder der jüngeren deutschen Geschichte zeigt das Bonner "Haus der Geschichte" seit Mittwoch in einer neuen Ausstellung. Die bis zum 11. Oktober zu sehende Schau präsentiert Bildikonen wie den Sprung in die Freiheit eines DDR-Bereitschaftspolizisten über die gerade im Bau befindliche Mauer in Berlin, die Hissung der Sowjetflagge auf dem Reichstag 1945, den Kniefall von Willy Brandt in Warschau 1970 oder das Foto des entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)



Ostverträge, Aussöhnung mit Polen, Willy Brandt in
Warschau: Kaum hat man diese Worte gelesen, stellt das Gedächtnis schon das passende Bild dazu bereit. Der Kanzler und frühere Emigrant kniet vor dem Mahnmal des Warschauer Ghetto-Aufstandes und bittet damit stellvertretend für die Deutschen um Entschuldigung.

Ein Foto, das sich ins Gedächtnis einer ganzen Generation eingebrannnt und der Welt den Versöhnungswillen der Deutschen vor Augen geführt hat. Bildern wie diesem gelingt es, bedeutende und hoch komplexe Vorgänge auf den Punkt zu bringen und Identität zu stiften. Eine am Mittwoch zum 60. Geburtstag der Bundesrepublik und zum 20. Jahrestag des Mauerfalls im Bonner «Haus der Geschichte» eröffnete Ausstellung analysiert einige dieser Bildikonen der deutschen Geschichte: Etwa die Hissung der Sowjetflagge auf dem Reichstag 1945, den symbolischen Händedruck zwischen den Parteiführern Pieck (KPD) und Grotewohl (SPD) auf dem Gründungsparteitag der SED 1946 oder das Foto des entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer.

Dabei zeigt die Schau bis zum 11. Oktober nicht nur Originalfotos, sondern fragt auch, warum sie zu Ikonen der Zeitgeschichte wurden, und welche Wirkungsgeschichte sie in Medien, Kunst und Alltagskultur entfalteten. Der Kniefall Brandts etwa wird eingeordnet in eine lange Bildtradition: die Heiligen Drei Könige kniend vor der Krippe, der mittelalterliche König Heinrich IV. kniend vor Papst Gregor VII.
in Canossa oder das Denkmal «Trauernde Eltern» von Käthe Kollwitz für ihren in Belgien gefallenen Sohn. Deutlich wird, dass Bilder niemals nur Realität abbilden und Fotografen oft keine unschuldigen Beobachter sind. Ob bewusst oder unbewusst: Die Fotos enthalten immer schon eine Botschaft.

Beispielsweise der Schnappschuss des Fotografen Peter Leibing, der den 19-jährigen DDR-Bereitschaftspolizisten Conrad Schumann an der Bernauer Straße in Berlin beim Sprung über den provisorisch ausgerollten Stacheldraht in den Westen eingefangen hat. Leibing gelang es, Schumann genau im Augenblick des Sprungs abzubilden. Ein dramatischer Übergang zwischen Diktatur und Demokratie, zwischen Gefängnis und freier Welt. Die Bundeswehr nutzte diese Ikone, als sie zwischen 1961 und 1972 mit Hilfe von Luftballons DDR-Soldaten zur Fahnenflucht aufforderte. Mittlerweile findet sich das Motiv auch - ganz unpolitisch - auf Streichholzbriefchen, Telefonkarten und Werbung.

Immer wieder werden solche Fotos auch bewusst manipuliert, wie die Ausstellung zeigt. Etwa die vom 2. Mai 1945 stammende Aufnahme des Fotografen Jewgeni Chaldej von der Hissung der Sowjetflagge auf dem zerschossenen Reichstag. Eine Ikone des Sieges ging um die Welt. Und ein Foto, das bewusst an die Bildkomposition des amerikanischen Fotografen Joe Rosenthal «Die Hissung der amerikanischen Siegesfahne auf der Pazifikinsel Iwo Jima» anknüpfte.

Sowohl Rosenthals als auch Chaldejs Foto war inszeniert. Denn bereits am 30. April 1945 waren Soldaten der Roten Armee zum Reichstag vorgedrungen, ohne dass dabei Fotografen anwesend waren.
Auch musste Chaldej die kunstvoll geplante Aufnahme vor der Veröffentlichung retuschieren: Ein auf dem Bild zu sehender Soldat trug an jedem Handgelenk mehrere Armbanduhren. Doch Plünderungen durften nicht dokumentiert sein.

Wie sehr Fotos ein Eigenleben entfalten, zeigt die berühmte Aufnahme des «Tags von Potsdam», an dem sich Hitler und Hindenburg im März
1933 die Hand reichten und damit die Versöhnung des alten Preußen mit der NS-Bewegung demonstrierten. Glaubt man den Ausstellungsmachern, ist dieses Foto von der NS-Propaganda kaum eingesetzt worden. «Seine eigentliche Wirkung entfaltet das Bild erst nach dem Zweiten Weltkrieg», heißt es im Ausstellungskatalog.
In Schulbüchern und Medien der Bundesrepublik habe es dann zur Untermauerung der These gedient, dass Hitler das Volk durch Berufung auf ehrwürdige Traditionen getäuscht habe. In der DDR belegte das Bild demgegenüber die Vereinnahmung Hitlers durch Großgrundbesitzer, Militär und Industrie.