Jeden Tag strömen durchschnittlich 25.000 Besucher aus aller Welt durch die vatikanischen Museen. Sie recken in der Sixtinischen Kapelle ihre Hälse um die Erschaffung des Adam, so wie sie Michelangelo sie sich vorstellte, live zu sehen. Man geht von mehr als zehn Millionen Besuchern aus, die jedes Jahr über den Petersplatz streifen. Christen aus allen Erdteilen dieser Welt feiern hier große beeindruckende Gottesdienste – oder lassen sich vom Papst da oben am Fenster wenigstens eine gute Mittagspause wünschen.
Die 364 stimmberechtigten Teilnehmer der "Weltbischofs-Laien-inklusive Frauen Synode" sind da nur eine verschwindend kleine Gruppe von Christen. Aber sie haben natürlich auch eine Mittagspause. Diese Zeit ist kostbar. Wer sie nicht für das verdiente Mittagsschläfchen nutzt – die Synodentage sind lange und harte Sitzungstage – der telefoniert mit seiner Heimat. Oder erledigt den nötigen Mailverkehr. Die Geschäfte zu Hause müssen natürlich auch weiterlaufen. Wer kann sich schon eine vierwöchige Auszeit leisten? Es gibt aber auch einige, die spazieren nicht nur durch die Vatikanischen Gärten, sondern stürzen sich hinein in das römische Getümmel. Mitten in das Leben. Spätestens ab der Engelsbrücke über den Tiber reduziert sich der kirchliche Kitsch und Römerinnen und Römer, mehr aber noch die Millionen von Touristen beherrschen das Stadtbild. Klar, es gibt viele Kirchen und Kapellen. Pater Pio oder Maria zieren viele Häuserfassaden. Aber nahezu alle hier wissen nicht, was da in diesen Tagen gerade in der Synodenaula hinter den vatikanischen Mauern passiert. "Weltsynode? Nö, nie gehört – aber wir wollen noch den Papst gucken - braucht man dafür eigentlich eine Karte?" Ja – oder man wurde vom Papst zur Synode eingeladen ...
Immer wenn der Papst in der großen Audienzhalle an den Sitzungen teilnimmt, gibt es dementsprechend genügend huldvolle Ergebenheitsadressen. "Aber es ist schon viel besser geworden – manche verzichten auf diese Form des Klerikalismus und sagen klipp und klar, was Sache ist", verrät ein deutschsprachiger Bischof lächelnd.
Im römischen Stadtbild wird auch an jeder Ecke gelächelt. Hier wird posiert und gepostet, was das Zeug hält. Vor dem Trevibrunnen ist jeder Anita Ekberg. Im Selfie-Zeitalter kann mit KI-Unterstützung auch jeder mal für ein Foto Papst spielen. Schöne neue Welten mit flachen Hierarchien. Klerikalismus ohne Kleriker...
Eine Frage aber stellt sich dem unvoreingenommenen Beobachter: Hat das, was da in der Synode besprochen und ggf. später vom Papst irgendwann mal entschieden wird, überhaupt in dieser Welt noch eine Relevanz? Interessiert sich jemand dafür? Oder bleibt die Kirche da doch nur in ihrer eigenen Blase? Ich habe in dieser Woche mit Kirchenleuten in Deutschland telefoniert, die ebenfalls überhaupt nicht mitbekommen hatten, was hier in Rom gerade läuft ...
Das muss ja kein schlechtes Zeichen sein ;-)
In diesem Zusammenhang darf man an den Auftrag Jesu erinnern: "Geht hinaus in alle Welt und verkündet allen Menschen die Frohe Botschaft!" Dies ist der Maßstab, an dem sich die Synode und der Papst werden messen lassen müssen.
Wenn man dann am späten Abend auf der Spanischen Treppe sitzt, dann, wenn einen die eifrigen Ordnungshüter mit ihren schrillen Pfeifen nicht mehr das Sitzen verbieten, wie sie es den ganzen Tag tun, dann sieht man auf der anderen Seite des Tibers nur noch das Kreuz und die hell erleuchtete, alles überragende Kuppel von St. Peter. Nebenan hat einer seine Gitarre rausgeholt. Dann beginnt hier auf den Stufen auch eine Weltsynode. Die vorwiegend jugendlichen Treppensitzer aus jedem Winkel der Erde brauchen keine Einladung vom Papst. Keine Bischofsmitra. Kein Amt. Kein Rederecht – ja nicht einmal eine Simultanübersetzung. Ich bin mir ganz sicher, auch sie sind dem Himmel dann ganz nahe:
"Hey Jude – don't be afraid" kann jeder traurig-hoffnungsvoll mitsummen. Und "Give Peace a chance!" singen dann auf der Spanischen Treppe in Rom alle laut mit, die in diesen Tagen ihre ganze Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde setzen, in denen die Gerechtigkeit zu Hause ist.
Ingo Brüggenjürgen
z.Zt. im "Romeoffice"