War die spätantike Pest nicht so verheerend wie angenommen?

Blockierter Sensenmann

Bisher war klar: Die Justinianische Pest hat Millionen Menschen getötet und indirekt die Spätantike beendet. Doch jetzt hegen Forscher Zweifel an dieser Theorie, die einen Schlüsselmoment der Menschheitsgeschichte darstellte.

Autor/in:
Christoph Arens
Symbolbild Sensenmann / © zef art (shutterstock)

Millionenfaches Elend, entvölkerte Landstriche, beschleunigter Untergang des weströmischen Reichs - die sogenannte Justinianische Pest sorgte von 541 bis 750 nach Christus für Millionen von Todesopfern im Mittelmeerraum und Europa und einen Rückfall in ein dunkles Zeitalter - so jedenfalls die bislang gängige Forschungsmeinung.

Doch jetzt hegen Wissenschaftler Zweifel daran, ob diese Seuche, die nach dem damals regierenden byzantinischen Kaiser Justinian I. (482-565) benannt wurde, wirklich ein Schlüsselmoment der Menschheitsgeschichte war. Schließlich soll der Sensenmann in dieser Zeit zwischen einem Drittel bis zur Hälfte der Mittelmeerbevölkerung getötet haben.

Dass Yersinia pestis, so der Name des Pesterregers, im 6. bis 8. Jahrhundert in Europa und den Anrainerstaaten des Mittelmeers umging, bezweifeln der israelische Wissenschaftler Lee Mordechai und das internationale Forscherteam um Wissenschaftler der Universität Maryland nicht. Erst im Juni 2019 hatten Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena den Pesterreger erneut in menschlichen Überresten nachgewiesen, die von 21 spätantiken Fundorten in Mittel- und Westeuropa stammten - bis hin nach Großbritannien.

Ausmaß der Pestwelle bislang falsch beurteilt

Allerdings sind die Forscher um Historiker Mordechai überzeugt, dass das Ausmaß der Pestwelle bislang falsch beurteilt wurde. Die Forschergruppe untersuchte zeitgenössische Inschriften, Münzen, Papyrusdokumente, Pollenproben, Pollengenome und wertete Leichenarchäologie aus. Das Fazit ihrer Studie, die Mitte Dezember in den "Proceedings of the National Academy" (PNAS) erschien: Für einen krassen Bevölkerungsrückgang in der Mittelmeerwelt oder Europa finden sich kaum Belege.

Ausbrüche der Seuche könnten höchstens regional größere Auswirkungen gehabt haben. "Unsere Studie geht nicht davon aus, dass die Pest die Welt verändert hat", erklärt die beteiligte Wissenschaftlerin Merle Eisenberg. "Und wir fanden keinen Grund zur Annahme, dass die Pest das Leben von mehreren zehn Millionen Menschen forderte", ergänzt Koautor Timothy Newfield.

Die bisherige Beurteilung der Justinianischen Pest beruhe vor allem auf wenigen antiken Texten, so die Wissenschaftler. Ausführliche Schilderungen bei spätantiken Autoren wie Prokopios von Caesarea und Johannes von Ephesus seien auch auf andere Regionen übertragen worden, bemängelt die internationale Forschergruppe. Zahlen- und Mengenangaben seien zudem bei vielen antiken Autoren skeptisch zu beurteilen; sie hätten damit häufig ganz andere Absichten verfolgt.

So gibt es etwa in Texten aus Ägypten, wo die Seuche als erstes aufgetreten sein soll, keinen Hinweis auf einen dramatischen Bevölkerungsrückgang und größere unbesiedelte Gebiete. Auch die Bestattungsriten hätten sich nicht verändert - die Zahl der Massengräber habe sich nicht signifikant erhöht. Viel mehr Aufmerksamkeit als der Pest hätten die Autoren der Spätantike Naturkatastrophen wie Erdbeben gewidmet - auch das spricht nicht für eine dramatische Katastrophe.

Drei großen Pandemien

Das Forscherteam griff auch auf Pollenanalysen zurück. Ein starker Bevölkerungsrückgang hätte zu einem Rückgang an Kulturpflanzen und einer Verwilderung der Landschaft führen müssen, so die Annahme der Wissenschaftler mit Blick auf die mittelalterliche Pest. Eine großflächige Ausbreitung wilder Pflanzen lasse sich aber nicht nachweisen.

Insgesamt geht die Forschung seit Christi Geburt von drei großen Pandemien in der Geschichte der Menschheit aus, die vom Pesterreger Yersinia pestis verursacht wurden. Die sogenannte Justinianische Pest hatte sich ab dem Jahr 541 von Ägypten her im Mittelmeerraum und Europa ausgebreitet. Seit dem 8. Jahrhundert gibt es dann keine Berichte mehr über Ausbrüche.

Im 14. Jahrhundert kehrte der Sensenmann in einer zweiten Pandemie nach Europa zurück; der "Schwarze Tod" forderte Millionen von Menschenleben und entvölkerte große Gebiete. Die dritte Pestwelle tötete seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Millionen Menschen in Süd- und Ostasien. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Epidemien, die von Zeitgenossen als Pest bezeichnet wurden, möglicherweise aber andere Ursachen hatten.


Quelle:
KNA