Blinde Wallfahrer besuchen Benedikt XVI.

Mit Lupe und Tandem zum Papst

Herbstlich leuchtete das Laub, als sie auf ihren Rädern die Zentralschweiz durchquerten, und hinter dem Tessin mit seinen gleißenden Schneefeldern öffnete sich Italien: staubig-grüne Felder bis zum Horizont, dann die schlanken dunklen Zypressen der Toscana und der tiefblaue Mittelmeerhimmel. Von alledem nahmen viele der Fahrer nichts wahr. Es waren 30 sehbehinderte, teils blinde Sportler, die mit ebenso vielen sehenden Co-Piloten auf Tandemrädern von Deutschland nach Rom fuhren. Am Mittwoch wohnten sie der Generalaudienz des Papstes bei, dem Ziel der ungewöhnlichen Pilgerfahrt.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)


Zehn Tagesetappen dauerte die Tour, die am 13. September in Mainz mit dem Segen von Weihbischof Werner Guballa begonnen hatte. Die Teams, begleitet von Versorgungsfahrzeugen und eskortiert von der Polizei, strampelten rund 1.500 Kilometer ab, bewältigten 10.200 Höhenmeter. Einmal ging es acht Stunden am Stück durch Regen, und die Pässe hinter Einsiedeln und im Apennin brachten manche an den Rand ihrer Kräfte. Dass sie es geschafft haben, ist für den Tourverantwortlichen Horst Schwerger (70) und seine Weggenossen aus sechs europäischen Ländern wie ein Symbol, dass Behinderte und Nichtbehinderte im gleichen Tandemverfahren auch andere Probleme stemmen könnten.

Mit ihrer «Euro-Tandem-Tour 2008» - der zehnten dieser Art - verbindet der veranstaltende Verein «Pro Retina Deutschland» genau dieses Ziel: Die Selbsthilfegruppe von Menschen, die an Netzhauterkrankungen leiden, wollte auf dem Weg nach Rom nicht nur auf die Problematik der Altersbedingen Makuladegeneration (AMD) hinweisen, eine Krankheit, die jeden Vierten über 60 betrifft; sie wollte auch konkrete Möglichkeiten der Solidarität zeigen. Immer wieder machten die Radler gemeinsam mit Vertretern italienischer Partnerorganisationen an Rathäusern unterwegs halt, um bei Kommunalpolitikern für eine bessere Integration von Nichtsehenden zu werben. «Es wäre besser, Behinderte zu integrieren, statt sie nur zu finanzieren», sagt Schwerger.

Laut Christina Fasser, Präsidentin der Organisation «Retina International», liegt bei Diagnose und Behandlung von Netzhauterkrankungen noch vieles im Argen. Manche erfolgversprechende Therapien seien sehr teuer, die Kassen zahlten oft unwillig oder gar nicht. Dabei, so die Schweizerin, sei der Kampf gegen die Erblindung durchaus kein Verlustgeschäft für die Solidargemeinschaft. Die Retinis pigmentosa etwa treffe meist Menschen im Berufsalter. «Wenn sie den Verlauf der Krankheit nur um 10 Prozent verlangsamen, heißt das sieben bis zehn Jahre länger im Beruf bleiben», sagt Fasser.

Für ihre Anliegen suchen die Sehbehinderten Verbündete über Ländergrenzen hinweg. So begleitete die Dachorganisation italienischer Selbsthilfeverbände «Retina Italia» die Fahrer auf ihrer Kampagnentour. Auch die Truppe selbst vereinte Deutsche und Schweizer, Luxemburger, Italiener, Franzosen und Belgier. Und immer ging es nicht darum, schneller zu sein als die anderen, sondern gemeinsam voranzukommen - auch wenn sie sogar eine Runde auf der Ferrari-Rennstrecke von Maranello drehen durften.

Mit Rom haben die Sehbehinderten der Tandem-Tour mit ihrem Anliegen zumindest symbolisch ein Etappenziel erreicht. Bei der Generalaudienz saßen sie ganz vorne in ihren grellgelben Trikots zwischen Ordensleuten und Pilgern in gedeckten Farben. Die Begegnung mit dem Papst, so erklärten sie, sollte ihnen Mut und Ausdauer geben auf ihrem Weg der aktiven Selbsthilfe. Auch ein Geschenk hatten sie Benedikt XVI. mitgebracht: eine Lupe aus Kristallglas. An diesem Donnerstag brechen die Fahrer wieder in ihre Heimatländer auf - dann allerdings, so Schwerger, mit dem Auto.