Bistum Speyer übernimmt Richtlinien der Bischofskonferenz

Ende eines Sonderwegs

Das Bistum Speyer gibt seinen Sonderweg bei der Aufarbeitung der Fälle sexuellen Missbrauchs auf und übernimmt die Richtlinien der Bischofskonferenz. Bislang war allein das mutmaßliche Opfer Herr des Verfahrens. Nun gilt die Meldepflicht.

Autor/in:
Michael Jacquemain
 (DR)

Die Opfer stehen an erster Stelle. So hieß die Botschaft des Bistums Speyer, als Mitte März erläutert wurde, wie mit den Männern und Frauen umgegangen werden soll, die von kirchlichen Amtsträgern sexuell missbraucht wurden. Die zentralen Sätze der Erklärung: "Alles, was dem Rechtsanwalt in der Funktion als Ombudsmann anvertraut wurde, unterliegt uneingeschränkt seiner Berufsverschwiegenheit. Diese gilt auch gegenüber dem Bistum."



Im Hintergrund geht es um einen Konflikt zwischen zwei sinnvollen, sich aber widersprechenden Interessen. Einerseits die Bereitschaft, allein das mutmaßliche Opfer zum Herrn des Verfahrens zu machen. "Informationsbeherrschungsautonomie" heißt das schöne Wort, mit dem der Ludwigshafener Rechtsanwalt Rüdiger Weidhaas, der die Ombudsmann-Funktion übernommen hatte, den Speyerer Ansatz beschreibt. Dem stehen die Ziele der bestmöglichen Täterverfolgung und Transparenz gegenüber.



Verschwiegenheitspflicht konnte nur das Opfer aufheben

Speyer entschied sich auf dem Höhepunkt des Missbrauchsskandals bewusst, als Anlaufstelle einen Ombudsmann statt eines ehrenamtlichen Ansprechpartners zu berufen. Ähnlich verfuhren die Jesuiten. Beauftragt wurde von der südwestdeutschen Diözese ein Strafrechtsanwalt, der nicht der katholischen Kirche angehört. An ihn konnten sich seitdem Opfer, Zeugen und Täter wenden. Auch unabhängig von der Frage, ob sie Kirchenmitglied oder dort beschäftigt sind. Der Charme der Lösung bestand in der absoluten, berufsständisch festgelegten Verschwiegenheitspflicht des Juristen. Die konnte nur der Hilfesuchende selbst aufheben. Und nur falls gewünscht, vermittelte Weidhaas Kontakte zu kirchlichen und staatlichen Stellen. Seine Rechnung schickte er an Generalvikar Franz Jung, der das Modell gemeinsam mit Bischof Karl-Heinz Wiesemann verantwortet hatte.



Dieses Modell lässt sich nun aber nicht mit den im Sommer von der Bischofskonferenz verabschiedeten Richtlinien vereinbaren, wie Jung betonte. Die Verschwiegenheit sei nicht mehr gewährleistet, da jetzt der Bischof über jeden Fall informiert werden müsse und die Letztverantwortung trage. Umstritten war, ob es bei den neuen Richtlinien eine generelle Pflicht geben sollte, bei jedem begründeten Verdacht die Staatsanwaltschaft einzuschalten.



Umstrittene Meldepflicht

Viele, darunter Psychologen, Juristen und Opferschutzverbände, wandten sich gegen einen Automatismus. Ohne eine bedingungslose Anzeigepflicht hätte aber wieder der Vertuschungsvorwurf im Raum gestanden. Aus dieser Problematik retteten sich die Bischöfe mit einem Kompromiss: Liegen Anhaltspunkte für einen Missbrauchsverdacht vor, bekommen die Strafverfolgungsbehörde die Informationen. Diese Pflicht entfällt, wenn dies dem Wunsch des Opfers entspricht und schriftlich dokumentiert wird.



Der scheidende Ombudsmann berichtete davon, dass die meisten Menschen, die mit ihm gesprochen hätten, "einfach nur ihr Herz ausschütten" wollten. Um Geld sei es fast nie gegangen. In einem Fall habe er vermittelt, dass sich Jung im Namen der katholischen Kirche bei einem Opfer für erlittenes Unrecht entschuldigte. Die Übergriffe, so das Ergebnis des Rechtsanwalts, seien durch die Gewissheit begünstigt worden, dass die Opfer weder bei staatlichen noch bei kirchlichen Stellen Gehör gefunden hätten. Das Wissen um diese Hilflosigkeit habe bei Opfern zu Verzweiflung und Resignation und bei Tätern zu einem "zynischen Verhalten" geführt.



Ansprechpartner des Bistums entsprechend den neuen Richtlinien wird nun der stellvertretende Ludwigshafener Polizeipräsident Franz Leidecker. Auch bei ihm sollen die Opfer im Vordergrund stehen.