Bischofskonferenz in Würzburg: Kardinal Lehmann zieht Bilanz

"Wir sind im Kern stärker geworden"

Nach mehr als 20 Jahren tritt Kardinal Karl Lehmann von seinem Amt als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz zurück. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur zog der Mainzer Bischof eine Bilanz seiner Arbeit.

 (DR)

KNA: Herr Kardinal, was werden wohl Kirchenhistoriker eines Tages über diese Epoche der katholischen Kirche in Deutschland für erwähnenswert halten?

Lehmann: Bei allen Änderungen ist die Kirche auf den Spuren des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Gemeinsamen Synode der Bistümer geblieben. Dies war und ist im Einklang mit der Bibel und der großen Überlieferung unserer Kirche eine verlässliche Orientierung, gerade wenn der gesellschaftliche Pluralismus und der Zeitgeist stärker auch an die Türe der Kirche klopfen.

Wir sind aus vielen Gründen zahlenmäßig weniger, aber im Kern zugleich stärker geworden. Wenn wir Christen gemeinsam sprechen, werden wir aufmerksamer gehört. Wir haben aber auch den Mut nicht verloren, wenn es nötig ist, unsere eigene katholische Stimme deutlich zum Ausdruck zu bringen, ohne dass wir in den Fundamentalismus abgleiten dürfen. Offene Entschiedenheit tut not.

KNA: Sie haben wie kein Vorsitzender vor Ihnen die Medien genutzt.
Welche Auswirkungen hat das gewachsene Medieninteresse auf Arbeit und Ausstrahlung der Bischofskonferenz und auch des künftigen Vorsitzenden?

Lehmann: Es gab dafür gewisse Zwänge, wie beispielsweise die stärker gewordene Mediengesellschaft. Die Mitglieder der Kirche suchen mit Recht nach mehr Information. Die Vielfalt der Medien verlangte im Lauf der Jahre Präsenz auf allen Kanälen. Dies hat viel Arbeit mit sich gebracht, aber auch dem Vorsitzenden nach innen und außen den Rücken gestärkt. Die Medienarbeit ist ein beträchtliches Feld in seinem täglichen Aufgabengebiet. So können wir auch viele Glieder unserer Kirche ansprechen, die sich zurückgezogen haben. Nicht wenige lassen sich neu gewinnen. Mit den Medien können wir heute an die Hecken und Zäune gehen, wie das Evangelium es von uns verlangt. Jeder neue Vorsitzende wird diese Situation auf seine Weise gestalten.

KNA: Sie selbst haben vom Generationswechsel unter den deutschen Bischöfen gesprochen. Wie unterscheidet sich die Generation der «Kinder des Konzils», also die Generation der heute etwa 50-Jährigen, von Ihrer Generation, die den Epochenbruch der 60er Jahre als Priester und Theologen miterlebt hat?

Lehmann: Ich bin nicht sicher, ob sich die Generationen stark voneinander abheben und differenzieren lassen. Zunächst gibt es die immer kleiner werdende Gruppe, die zwar nicht mehr Konzilsteilnehmer war, aber doch noch Erfahrungen in der Konzilszeit, zum Teil auch in Rom, gemacht hat. Unter den noch im Amt befindlichen Bischöfen sind das wohl nur Bischof Reinhard Lettmann, der in der Konzilsaula Unterlagen verteilt hat und die Atmosphäre kennenlernte, und ich als Helfer und später Assistent Karl Rahners, so dass ich ein wenig Zaungast sein konnte beim Konzil. Sonst waren wir ja nach dem Konzil alle angewiesen auf die großen Bischöfe beim Konzil, wie etwa die Kardinäle Frings, Döpfner, Jaeger, Volk und auf die Konzilstheologen wie Joseph Ratzinger, Karl Rahner, Alois Grillmeier und Otto Semmelroth.

Papst Benedikt ist der einzige, der gewissermaßen als Garant für das Konzil heute noch lebt und wirkt. Viele Theologieprofessoren in der nachkonziliaren Zeit haben manches an Begeisterung weitergegeben.
Aber wo solche Erfahrungen ganz fehlten, blieb zunächst nur Papier übrig. Freilich konnte man auch durch die Buchstaben hindurch auf den Geist des Konzils kommen. Aber dies hing bis heute sehr vom Einzelnen ab. Insofern glaube ich nicht sehr an eine Generationendifferenzierung der Nachgeborenen.

KNA: Nach Ihrem Rücktritt haben nur noch zwei herausragende deutsche Theologen international ausstrahlende Kirchenämter inne, beide sitzen im Vatikan - der eine als Ökumene-Minister, der andere als Papst. Was bedeutet das für das Verhältnis zwischen Rom und der Kirche in Deutschland?

Lehmann: Wir sind zunächst froh und dankbar, dass die Weltkirche den Petrusdienst und die Verantwortung für die Ökumene jeweils Mitbrüdern aus unserem Land und unserer Bischofskonferenz anvertraut hat.
Deshalb müssen wir auch für beide und ihre jeweilige Aufgabe Sensibilität haben, die sich im Verständnis und in Unterstützung zum Ausdruck bringen muss. Wir dürfen auch gewiss sein, dass beide auf ihre Weise die Erfahrungen aus unserem Land in ihren weltweiten Dienst einbringen. Aber dies vollzieht sich alles weitgehend unscheinbar und geräuschlos. Deswegen sollten wir es nicht vergessen.
Darüber hinaus gibt es keine Sonderstellung Deutschlands.

KNA: Sie wollen sich auch künftig zu Wort melden, vor allem zur Ökumene. Warum gerade bei diesem Thema?

Lehmann: Ich stehe als Bischof von Mainz der Deutschen Bischofskonferenz gerne weiter zur Verfügung. Dies kann in Kommissionen, Arbeitsgruppen oder Gremien sein. Dies muss die Konferenz entscheiden. Dies hängt auch etwas vom neuen Vorsitzenden ab. Hier ist nichts festgelegt. Ich bin nur Mitglied der Glaubenskommission, aber ich werde mich natürlich auch außerhalb der Bischofskonferenz, vor allem im Blick auf philosophisch-theologische sowie gesellschaftliche Grundfragen zu Wort melden, wo ich etwas Fruchtbares beisteuern kann. Dabei ist mir die Ökumene wichtig. Ich bin ja seit fast 40 Jahren Mitglied des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen und habe über 30 Jahre darin Mitverantwortung getragen als Wissenschaftlicher Leiter von katholischer Seite und bin seit dem Tod von Kardinal Volk 1988 Leiter für die katholische Seite. Diese ökumenische Grundsatzarbeit liegt mir nach wie vor am Herzen. Sie ist auch der Motor für echten Fortschritt.

Interview: Ludwig Ring-Eifel (KNA)