Bischof Mussinghoff zum Verhältnis von Juden und Katholiken

"Von großer Offenheit und Freundschaft geprägt"

Zum Beginn der "Woche der Brüderlichkeit" hat der Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff das Verhältnis von katholischer Kirche und Juden als ausgezeichnet gelobt. "Unsere Beziehungen sind von großer Offenheit und Freundschaft geprägt", sagte der Vorsitzende der Unterkommission der Deutschen Bischofskonferenz für die religiösen Beziehungen zum Judentum.

 (DR)

KNA: Herr Bischof, seit 60 Jahren demonstrieren Christen und Juden in der "Woche der Brüderlichkeit" Gemeinsamkeiten. Wie würden Sie das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und jüdischer Gemeinschaft derzeit bewerten?

Mussinghoff: Beim Papstbesuch im vergangenen Jahr hat der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, davon gesprochen, dass sich die katholisch-jüdischen Beziehungen in den vergangenen Jahrzehnten "ganz dramatisch verbessert" haben. Diese Einschätzung teile ich. Bei den jährlichen Treffen mit den Rabbinerkonferenzen, bei den Eröffnungen der Woche der Brüderlichkeit und in vielen einzelnen Begegnungen stelle ich immer wieder fest, dass unsere Beziehungen von großer Offenheit und Freundschaft geprägt sind.



KNA: In den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg standen die Beziehungen im Zeichen des Holocaust und des Nie wieder. Inzwischen legt der Zentralrat großen Wert darauf, auch mit anderen Themen wahrgenommen zu werden. Wo sehen Sie gemeinsame Anliegen von Kirche und Judentum im heutigen Deutschland?

Mussinghoff: Es bleibt das gemeinsame Anliegen von Christen und Juden, die Erinnerung an die Shoah zu pflegen. Leider werden wir uns auch weiterhin mit antijüdischen Vorurteilen auseinandersetzen müssen, wie der Antisemitismus-Bericht der Bundesregierung zeigt.

Aber wir werden zukünftig unsere religiösen und ethischen Gemeinsamkeiten stärker öffentlich bewusst machen.



KNA: Worum geht es konkret?

Mussinghoff: Christen und Juden haben gemeinsam den Auftrag, "Licht für die Völker" zu sein, wie es beim Propheten Jesaja heißt. Der Einsatz für Religionsfreiheit, für soziale Gerechtigkeit oder für Toleranz gegenüber Minderheiten verbindet uns schon heute. Beim Treffen zwischen Kirchenvertretern und Rabbinern am kommenden Montag werden wir uns mit Fragen des Umwelt- und Tierschutzes befassen. Auch hier gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Christen.



KNA: In der Folge des Rechtsterrorismus forderten Muslime und Juden mehr Zivilcourage der Deutschen. Tut die katholische Kirche genug gegen rechtsextreme Tendenzen, insbesondere in den neuen Bundesländern?

Mussinghoff: Die Erziehung zur Zivilcourage und zu einem verständnisvollen Umgang mit Menschen anderer Religion oder Herkunft gehören zu den pädagogischen Grundprinzipien des Religionsunterrichts, der kirchlichen Kindertageseinrichtungen, der katholischen Schulen und der katholischen Kinder- und Jugendverbände. Das Ausmaß der rechtsextremen Gewalt und die Menschenverachtung, die sich darin zeigt, haben uns wohl alle schockiert und auch nachdenklich gemacht. Wir müssen uns fragen, wie wir als Christen vor allem Jugendliche davor bewahren können, in rechtsextreme Milieus zu geraten.



KNA: Die jüdischen Gemeinden verfolgen die Frage der Aufwertung der traditionalistischen Piusbruderschaft mit Argusaugen, wie Zentralratspräsident Graumann beim Papstbesuch betont hat. Glauben Sie, dass eine Einigung Auswirkungen auf das jüdisch-katholische Verhältnis haben würde?

Mussinghoff: Mit der Konzilserklärung Nostra aetate hat die katholische Kirche, wie der Papst bei seinem Besuch der römischen Synagoge 2010 betont hat, "einen unwiderruflichen Weg des Dialogs, der Brüderlichkeit und der Freundschaft" mit dem jüdischen Volk eingeschlagen. Dies gilt, wie er bei seinem Deutschlandbesuch hinzugefügt hat, für "die katholische Kirche als Ganze". Wenn die Piusbruderschaft sich wirklich mit der katholischen Kirche versöhnen will, dann wird sie diesen Weg der Kirche mitgehen müssen - und zwar nicht nur äußerlich, sondern aus echter innerer Überzeugung. Man kann nicht katholisch sein und das von Gott erwählte Volk Israel verachten.



KNA: Ist der Dialog auf Ebene des Vatikan und internationaler jüdischer Instanzen seit dem Streit um die Piusbrüder vorangekommen?

Oder ist da eher eine Ruhepause eingekehrt?

Mussinghoff: Von einer Ruhepause kann keine Rede sein. Papst Benedikt XVI. setzt den Weg des Dialogs und der Versöhnung konsequent fort. Denken Sie nur an die Besuche in Synagogen und die zahlreichen Begegnungen mit Vertretern der jüdischen Gemeinschaft auf seinen Reisen. Wie es dem intellektuellen Profil seines Pontifikates entspricht, bewegen ihn vor allem die theologischen Fragen. Sehr überzeugend hat er im zweiten Band seines Jesus-Buches die alte These von der Kollektivschuld der Juden am Tod Jesu widerlegt und jeder Form von "Judenmission" eine klare Absage erteilt. Wiederholt hat er es als unsere heutige Aufgabe bezeichnet, dass die christliche und die jüdische Schriftlektüre miteinander in Dialog treten müssen, um Gottes Willen und Wort recht zu verstehen.



Die Bedeutung, die der Papst damit der rabbinischen Theologie zuspricht, ist bislang noch gar nicht richtig wahrgenommen worden.

Die Gespräche zwischen dem Oberrabbinat in Israel und dem Vatikan laufen exzellent.



KNA: Auch eine mögliche Seligsprechung Papst Pius XII. wird von den Juden sehr kritisch gesehen. Sehen Sie Bestrebungen und Möglichkeiten, dass man zu einer gemeinsamen Bewertung dieses Papstes kommt? Oder zumindest zu einer Lösung, mit der beide Seiten leben können?

Mussinghoff: Der Vatikan wird in den nächsten Jahren das gesamte Archivmaterial über Papst Pius XII. für die Forschung zugänglich machen. Zudem ist zu hoffen, dass die gemeinsame Arbeit von jüdischen und katholischen Historikern wieder aufgenommen und intensiviert wird. Ob es dann am Ende zu einer gemeinsamen Bewertung der Person Papst Pius XII. und seines Pontifikates kommt, kann ich schwer voraussehen. Wir sollten uns aber nach Kräften darum bemühen.



Das Interview führte Christoph Arens.



Hintergrund

Seit 60 Jahren beteiligen sich die Kirchen und die jüdische Gemeinschaft an der jährlichen "Woche der Brüderlichkeit", die diesmal am Sonntag in Leipzig eröffnet wird. Sie richtet sich gegen weltanschaulichen Fanatismus und religiöse Intoleranz und wird von den Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Deutschland organisiert. In allen Teilen des Landes werden aus diesem Anlass Veranstaltungen durchgeführt, um auf die Zielsetzung der Gesellschaften und auf ihr jeweiliges Jahresthema hinzuweisen. Das Jahresthema 2012 ist: "In Verantwortung für den Anderen - 60 Jahre Woche der Brüderlichkeit".



Der Deutsche Koordinierungsrat vertritt als bundesweiter Dachverband die mehr als 80 Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Deutschland auf nationaler und internationaler Ebene. Er ist größtes Einzelmitglied im Internationalen Rat der Christen und Juden (ICCJ), in dem 32 nationale Vereinigungen für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit vertreten sind.



Seit 1968 verleiht der Deutsche Koordinierungsrat der 83 Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit während der Eröffnungsfeier zur Woche der Brüderlichkeit die Buber-Rosenzweig-Medaille. Ausgezeichnet werden Personen, Institutionen oder Initiativen, die sich insbesondere um die Verständigung zwischen Christen und Juden verdient gemacht haben. Die Medaille wird in Erinnerung an die jüdischen Philosophen Martin Buber und Franz Rosenzweig verliehen.