Bischof Luiz Flavio Cappio

Prophet, Hirte und Wanderer

Für den brasilianischen Bischof Cappio ist es wichtig, den ständigen Kontakt zu seinen Gemeinden zu halten. Was bei der Größe der Diözese Barra nicht so einfach ist. Größer als die Schweiz ist sie, wobei die gut 250.000 Menschen, die hier im Westen des Bundesstaates Bahia leben, über viele hundert Ortschaften verteilt sind. Wochen lang ist Cappio oft unterwegs, denn er will präsent sein.

Autor/in:
Thomas Milz
 (DR)

Müde wirkt Bischof Luiz Flavio Cappio an diesem Morgen. Die letzten Tage war er wieder einmal mit dem Bus unterwegs, wobei es sich hierbei keineswegs um ein komfortables Fahrzeug handelt. Den ganz normalen klapprig-rostigen Linienbus nimmt der 64-Jährige, dem man sein Alter eigentlich nicht ansieht. Doch ab und zu zwicke es ihn dann doch schon mal hier und da, gesteht er ein. Besonders nach den langen Reisen.



Einsatz gegen Drogen trotz Drohungen

Die Gemeindearbeit auch in den entlegenen Gebieten sei höchst wichtig. Denn "dort, wo die Kräfte des Guten ankommen, weicht das Böse zurück", so sein Motto. "Das Böse" - es kann in vielen Verkleidungen daherkommen. Derzeit erscheint es in Form von Drogendealern, die auf den Marktplätzen der Kleinstädte des "Interior", des Landesinneren, ihre Unheil bringenden Produkte verkaufen. Allen voran Crack, gestrecktes Kokain, das in kleinen Pfeifen geraucht wird. Aufgrund der Unreinheit der Droge, die oft mit Zement oder Backpulver vermischt wird, damit man mehr Volumen bekommt und folglich mehr verkaufen kann, hält der euphorisch anmutende Drogenrausch lediglich 12 bis 15 Sekunden an. Danach dürstet es die Abhängigen sofort nach mehr. Ein schier auswegloser Kreislauf hat begonnen. "Hört auf, euer Gift an unsere Kinder zu verkaufen", ruft Bischof Cappio über das kircheneigene Radio den Dealern dort draußen zu. Vor Gott müssten sie sich verantworten, prophezeit er ihnen. Und sie drohen zurück.



Drohungen erhalte er in letzter Zeit vermehrt, so Bischof Cappio, doch das halte ihn nicht davon ab, für das Heil seiner Mitmenschen einzutreten. In den Großstädten, wo die Drogen schon seit Jahren ihr Unheil anrichten, verfüge die öffentliche Hand über Mittel, um den Abhängigen zu helfen. In Kleinstädten wie Barra, seinem Bischofssitz, sei man den Dealern ausgeliefert. "Selbst die Polizei hat Angst vor ihnen", meint Bischof Cappio. Er auch, aber so sei das nun einmal. Auf Polizeischutz verzichtet er, das würde lediglich die Kommunikation mit den Gläubigen erschweren. So reist er alleine, den kleinen Lederkoffer in der Hand, von Dorf zu Dorf. Immer unterwegs.



Das war schon immer so im Leben des Luiz Flavio Cappio. Allerdings ging er früher lieber zu Fuß. Halb Brasilien hat er so bereist, als er noch einfacher Franziskanermönch war, damals in den 70er und 80er Jahren. Er wollte sehen, wie die Menschen leben, wollte erfahren, was sie bedrückt, wollte herausfinden, wie man ihnen helfen kann. Tausende armselige Hütten hat er auf seinen Wanderungen betreten, genausovielen Lebensgeschichten gelauscht. Er weiß, was die einfachen Menschen bedrückt, weiß, dass sie die Befreiung aus ihrer Armut möchten, dass sie ihr eigenes Stück Land bebauen wollen, als freie und unabhängige Menschen. Reichtum ist nicht das Ziel, Menschenwürde ist es! Besonders angetan auf seinen Wanderungen hat es ihm das Volk des São-Francisco-Flusses, des großen, symbolträchtigen Urflusses der brasilianischen Geschichte.



In den Fußstapfen des heiligen Franz von Assisi

Zu dem Fluss hat der Bischof eine ganz spezielle, weit in seine Kindheit zurück reichende Verbindung. So ist der Fluss nach dem heiligen Franz von Assisi benannt, an dessen Namenstag Luiz Flavio Cappio geboren wurde. Und der Name scheint bei ihm auch stets Programm zu sein. Schon als Jugendlicher entschloss er sich zu einem geistlichen Leben unter einfachsten Bedingungen, wobei es ihn zuerst an die Peripherie der Millionenstadt São Paulo zog. Dort lebte er unter Müllsammlern am Rande einer Deponie. Danach begann er seine Wanderungen, mit nichts weiter als seiner Kleidung am Körper. Ganz Franziskaner, ganz im Geiste des heiligen Franz.



Im Jahre 1997 wurde Luiz Flavio Cappio zum Bischof der Diözese Barra ernannt, die an den Ufern des São Francisco gelegen ist. Hier erschien dem Bischof das Böse in Form eines alten Regierungsplanes zur Umleitung von Wasser aus dem São Francisco in das trockene Hinterland des brasilianischen Nordostens. Weit über die Grenzen seiner Diözese berühmt wurde Cappio durch seinen hartnäckigen Kampf gegen das von der Lula-Regierung wieder zum Leben erweckte Projekt. Zweimal, 2005 und 2007, trat er dafür sogar in den Hungerstreik. In ganz Brasilien bangten Millionen Gläubige dabei um sein Leben, Fernsehteams übertrugen live die Treffen des geschwächten Bischofs mit Regierungsvertretern. Geholfen hat es nichts, das Milliarden Dollar teure Großprojekt wird mittlerweile gebaut.



Sein Ziel: Menschen vor Unheil bewahren

Doch Bischof Cappio wettert weiter. Zu teuer sei es, und dabei löse es nicht mal das Problem vieler über die riesige Region verstreut lebender Familien und Kleinbauern, die unter der ständigen Dürre leiden und aus dem Projekt keinen Tropfen Wasser erhalten würden. Mit dem für den Staudamm vorgesehenen Geld könnte man Millionen von Regenwasserzisternen und Brunnen bauen, die die Wasserversorgung der Bauernfamilien garantieren würden. "Wir würden dem Projekt ja zustimmen, wenn damit der Durst der Menschen gestillt würde", gibt Bischof Cappio zu bedenken. "Aber bei diesem Regierungsprojekt geht es darum, der industriellen Landwirtschaft und denen zu dienen, die mit dem Wasser Geschäfte machen wollen. Und das im Angesicht des Mangels, unter dem die Bevölkerung hier leidet."



Die Menschen zu verteidigen, sie vor Unheil zu bewahren - rastlos ist Bischof Cappio für diese Aufgabe im Einsatz. Alleine könnte er die Aufgabe trotz allem nicht bewältigen. So kann er mittlerweile auf ein Netzwerk aus über 1.000 Laien zurückgreifen, die hauptsächlich im Dienst der Katechese tätig sind. Adveniat fördert seit Jahren die Arbeit der Katecheten in der Diözese Barra. Auf Einladung des Lateinamerika-Hilfswerkes wird Bischof Cappio im Dezember Deutschland besuchen.