Bischof Hinder zur westlichen Politik in arabischen Ländern

"Das frisst an der Glaubwürdigkeit"

Wenige Tage nach den blutigen Ausschreitungen in Kairo wertet der Bischof des Apostolischen Vikariates Arabien, Paul Hinder, die westliche Politik in den arabischen Regionen als nicht glaubwürdig. Ein Interview zur Lage im Jemen, für das er als Bischof auch zuständig ist.

 (DR)

KNA: Herr Bischof, Papst Benedikt XVI. hat nach den Unruhen in Kairo zum Schutz der christlichen Minderheit in Ägypten aufgerufen. Finden seine Worte in der arabischen Welt Gehör?

Hinder: Die Stimme des Papstes wird gehört. Wie weit das aber Frucht trägt, ist eine andere Frage. Der Papst fährt eine sehr konsequente Linie, steht mutig zu den Prinzipien und richtet sich nicht opportunistisch nach dem Wind. Dass er hier deutlich spricht, begrüßen wir. Wobei es hier sehr wichtig ist zu sehen, dass er nicht einfach von den Christen gesprochen hat, sondern überhaupt von Minderheiten. Er mahnt gemeinsame Standards für Menschenrechte an.  Und dazu gehört auch die Religionsfreiheit, denn da gibt es große Mängel gerade in den arabischen und muslimisch geprägten Ländern.



KNA: Werden auch Appelle westlicher Politiker, die sich zur Lage in Ägypten und in den anderen arabischen Ländern äußern, gehört?

Hinder: Mahnende Stimmen können auch kontraproduktiv wirken. Das ist eher das Problem der westlichen Demokratien, die in gewissen Momenten den Mund voll nehmen, aber in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich sprechen. Die Gefahr der sogenannten westlichen Politik ist die, dass sie selektiv ist, dass sie in einem Fall mehr oder weniger konsequent im Vertreten gemeinsamer Prinzipien ist, aber umgekehrt, wenn es um knallharte Interessen geht, durchaus Flexibilität zeigt. Das frisst gleichsam an der Glaubwürdigkeit.



KNA: Wie könnte man das vermeiden?

Hinder: Man soll dann wenigstens sagen, dass es um die Kunst des Machbaren geht und um Interessenpolitik. Das wäre ehrlich. Nicht aber, wenn man in einem Fall so tut, als ob man mit dem Evangelium in der Hand eine Lektion erteilen will, weil man weiß, dass die andere Seite sich nicht genügend wehren kann. Und in anderen Fällen schließt man die Augen, obwohl man weiß, dass es grausam zugeht. Da wünschte ich mir etwas mehr Augenmaß, Balance und Gerechtigkeit.



KNA: In der Konferenz berichteten die neun Bischöfe aus verschiedenen Regionen. Was haben Sie über die Lage der Katholiken im Jemen berichtet?

Hinder: Das möchte ich nicht so an die große Glocken hängen. Es geht hier um eine verschwindende Minderheit, deren Leben, das ohnehin schon sehr schwer und gefährdet ist, ich nicht noch mehr erschweren möchte. Sie sind nicht notwendigerweise gefährdet, weil sie Christen sind, sondern weil die generelle Sicherheit im Land nicht mehr existiert. Ich musste meine Reise dorthin schon zweimal verschieben, hoffe aber, noch dieses Jahr wenigstens in die Hauptstadt Sanaa reisen zu können, um meine Brüder und Schwestern stärken zu können. Wie andere Bevölkerungsteile leben sie in Angst und können wegen Aufruhrs in den Straßen und der eingeschränkten Reisefreiheit nicht immer zu Gottesdiensten kommen.



KNA: Ihr Kollege Bischof Giorgio Bertin aus Mogadischu hat von einer ganz anderen Situation berichtet, der Hungerkatastrophe am Horn von Afrika.

Hinder: Ja, seine Themen waren nicht nur Dürre und Hunger, sondern auch die Migration und die Piraterie. Die Möglichkeiten der Kirche, in Somalia gegen den Hunger selbst zu helfen, sind eher beschränkt; das läuft über internationale Organisationen. Aber es gibt sehr viele geografische Randbereiche, in denen das möglich ist und wo diskret über Kanäle geholfen wird. So habe ich auch meine Gemeinden in Arabien zu Spenden aufgerufen, mit denen man kleine Hilfen leisten kann.



KNA: Wie sehen Sie die Zukunft der christlichen Minderheit nach dem "arabischen Frühling"?

Hinder: Da sieht es in jedem Land anders aus. Bei der Frage, wie es mit den Christen weitergeht, muss man betonen, dass es nicht nur um sie geht. Es geht um alle Minderheiten, andere islamische Konfessionen oder Stammesunterschiede. Wenn man die absoluten Opferzahlen ansieht, haben viel mehr Muslime mit ihrem Leben bezahlt als Christen. Das zeigt, dass diese destruktiven Kräfte einfach wahllos zuschlagen. Sie sind eigentlich der gemeinsame Feind aller. Wie man das unter Kontrolle bekommt, ist die große Frage. Wie der sogenannte Krieg gegen den Terror sinnvoll geführt werden kann und ob er zum Ziel führt, weiß offenbar niemand. Am Ende geht es darum, ob sich der einzelne Mensch bekehrt. Damit sind alle gemeint. Auch gläubige Muslime sehen darin Handlungsbedarf.



Hintergrund: Der gebürtige Schweizer war bis Freitag in Rom und nahm an der Versammlung der "Konferenz der Lateinischen Bischöfe in den arabischen Regionen" teil.



Das Gespräch führte Agathe Lukassek.