Bischof Dieser äußert sich zu Missbrauchsskandal und Kirche

"Die Institution hat als Ganze versagt"

Bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals steht die katholische Kirche in Deutschland nach Ansicht von Bischof Helmut Dieser nicht mehr am Anfang. Gegenüber der "Kölnischen Rundschau" sieht Dieser besorgt auf das Kölner Erzbistum.

Helmut Dieser, Bischof von Aachen, 2020 / © Julia Steinbrecht (KNA)
Helmut Dieser, Bischof von Aachen, 2020 / © Julia Steinbrecht ( KNA )

"Wir sind intensiv dran", sagte der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz der "Kölnischen Rundschau" (Dienstag). "Unsere Aufarbeitung orientiert sich nicht an der Institution, sondern an den Betroffenen. Und ich bekomme auch von Betroffenen die Rückmeldung, dass diese Arbeit wirksam ist", so der Aachener Bischof.

Dieser bekräftigte, dass auch der Staat seine Verantwortung bei der Aufarbeitung stärker wahrnehmen müsse. "Eine staatliche Instanz kann helfen, allgemeinverbindliche Regeln und Standards zu setzen, an die sich die aufarbeitenden Institutionen halten müssen und deren Einhaltung überprüft werden kann."

Noch mehr Enthüllungen befürchtet

Wohnhaus des verstorbenen Priesters Edmund Dillinger / © Oliver Dietze (dpa)
Wohnhaus des verstorbenen Priesters Edmund Dillinger / © Oliver Dietze ( dpa )

Dieser berichtete von Hinweisen Betroffener, nach denen der mutmaßliche Missbrauchstäter Edmund Dillinger aus dem Bistum Trier und ein weiterer Priester aus dem Bistum Aachen zusammengewirkt haben könnten. Beide seien viel im Ausland gewesen. "Ich fürchte, dahinter steckt noch viel mehr an Kriminalität, als uns bisher klar geworden ist", sagte Dieser. Näheres müsse staatlich untersucht werden.

Kritik an Zollitsch

Als "entsetzlich" bewertete Dieser die Erkenntnisse über die Rolle des früheren Freiburger Erzbischofs und ehemaligen Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch. "Man kann nur rätseln, wie ein Mensch so verschiedene Gesichter haben kann: Öffentlich etwas einfordern, es im eigenen Verantwortungsbereich aber nicht tun." Der Umgang von Zollitsch und auch des früheren Papstes Benedikt XVI. mit Missbrauchsgutachten sei enttäuschend. "Wer eine Diözese leitet oder gar als Papst an der Spitze steht, kann doch nur sagen: Ja, die Institution hat als Ganze versagt. Dafür bin ich verantwortlich, und ich hätte auch die Macht gehabt, einzuschreiten."

Missbrauch gehe ganze Gesellschaft an

Dieser betonte, die ganze Gesellschaft müsse sich fragen, wie sie den Betroffenen mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen könne. "Missbrauch ist ein Thema nicht nur der Kirche, sondern der ganzen Gesellschaft. Aber wir sind die einzige gesellschaftliche Institution, die das systematisch aufklärt. Wenn man uns deswegen kritisiert, ist das nicht ganz fair."

Erzbistum Köln durchlebt schwere Zeit

Rainer Maria Kardinal Woelki / © Maximilian von Lachner (SW)
Rainer Maria Kardinal Woelki / © Maximilian von Lachner ( SW )

"Das Erzbistum Köln durchlebt eine schwere Zeit, und ich weiß nicht, was wir da noch tun sollen", sagte Dieser im Interview der "Kölnischen Rundschau" weiter. Der Bischof antwortete auf die Frage, ob nach den heftigen Auseinandersetzungen um den Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki ein Neuanfang geboten sei: "So etwas kann überall passieren, wo Menschen zusammenarbeiten. Bestimmte Zusammenstellungen sind einfach erschöpft."

Nach Worten Diesers haben die katholischen Bischöfe aus Deutschland die Situation vor Papst Franziskus angesprochen. "Der Ball liegt beim Papst." Es sei zu hoffen, dass es für Köln bald eine gute Klärung gebe.

Papst-Entscheidung zu intransparent

Das Erzbistum Köln befindet sich vor allem wegen seiner Missbrauchsaufarbeitung in einer Vertrauenskrise. Papst Franziskus verlangte im Februar vergangenen Jahres ein Rücktrittsgesuch von Kardinal Woelki, über das er aber bislang nicht entschieden hat.

Laut Dieser handelt ein Bischof im Letzten in Gemeinschaft mit dem Papst. Daher sei bei einem Bischofsrücktritt auch der Papst die entscheidende Stelle. "Aber nach welchen Kriterien er Rücktritte annimmt oder nicht, das ist mir zu wenig transparent", so der Bischof. "Es müsste einen klaren Kriterienkatalog geben." Bislang ist als einziger deutscher Bischof nur Franz-Josef Bode aus Osnabrück wegen Fehlern im Umgang mit Missbrauchsfällen zurückgetreten.

Bistum Aachen

Die Spitze des Aachener Doms / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Die Spitze des Aachener Doms / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

Das Bistum Aachen mit einer Fläche von 4.022 qkm liegt im Westen von Deutschland. Es erstreckt sich von der Nordeifel (Mechernich, Schleiden) bis zum Niederrhein (Krefeld). Die angrenzenden Diözesen sind Köln, Münster, Essen, Trier, Lüttich (Belgien) und Roermond (Niederlande).

Das Bistum Aachen umfasst insgesamt 57 Kommunen. In den drei Großstädten Aachen, Mönchengladbach und Krefeld leben 383.319 von 1.037.352 Katholikinnen und Katholiken, die anderen in den 54 weiteren Kommunen.

Quelle:
KNA