Bischof aus Sri Lanka bittet um Hilfe für Zivilbevölkerung

Krieg ohne Zeugen

Im Norden Sri Lankas leben nach Angaben des katholischen Bischofs von Mannar, Rayappu Joseph, an die 250.000 Menschen unter äußerst prekären Bedingungen auf der Flucht vor dem Krieg. Im KNA-Interview fordert er nun die Regierung Sri Lankas auf, den Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleisten und die Hilfe durch internationale Nichtregierungsorganisationen wieder zuzulassen.

Autor/in:
Norbert Zonker (
 (DR)

KNA: Bischof Joseph, wie ist die humanitäre Lage im Wanni-Gebiet?
Joseph: Das Wanni ist ein Gebiet, das von der LTTE kontrolliert wird und aus Teilen der Bezirke Mannar und Vavuniya sowie den Bezirken Kilinochchi und Mullaitivu besteht. Hier leben etwa 350.000 Menschen. Fast 250.000 von ihnen sind durch den verheerenden Krieg vertrieben worden. In diesem Augenblick ist die ganze Zivilbevölkerung mit ihren wenigen Habseligkeiten unterwegs auf der Suche nach sichereren Gegenden östlich und nordöstlich der Straße A 9, der Hauptverbindungsstraße zum Norden Sri Lankas.

KNA: Gibt es denn überhaupt noch sichere Gegenden?
Joseph: Nein. Kilinochchi, die größte Stadt in dieser Region, wird ununterbrochen von den Sicherheitskräften der Regierung bombardiert.
Nach jüngsten Berichten wurde das "Friedenssekretariat" der LTTE - die politische Abteilung - in Kilinochchi einem Flächenbombardement unterworfen - ein klares Zeichen dafür, dass kein Gebäude und kein Geschäftszentrum in dieser einst bevölkerungsreichen Stadt ausgespart wird. Dabei ist zu bedenken, dass das größte Krankenhaus in der Gegend und alle zivilen Behörden und humanitären Einrichtungen ebenso wie Schulen und Gebetsstätten in und um Kilinochchi gelegen sind.

KNA: Und wohin rettet sich die Bevölkerung?
Joseph: Hunderte, ja Tausende von vertriebenen Zivilisten, die oft nur noch die Kleider besitzen, die sie am Leib tragen, suchen nach Zufluchtsmöglichkeiten. Ein nicht endender Zug von Männern, Frauen und Kindern, deren ängstliche Gesichter mehr sagen als Worte, bewegt sich östlich und nordöstlich der Straße A 9. Alle suchen nach einem Dach über dem Kopf. Aber angesichts des unterschiedslosen Flächenbombardements, Artilleriefeuers, der Kanonenboot- und Minenattacken, denen die unbewaffneten Zivilisten ausgesetzt sind, gibt es keine andere Zuflucht als die Bäume und den offenen Himmel.
Tote und Verletzte sind an der Tagesordnung, und am schlimmsten sind Kinder und Frauen betroffen. Die Genfer Konvention über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten scheint ihren Sinn und ihre Schlagkraft verloren zu haben.

KNA: Haben Hilfsorganisationen Zugang zu den Flüchtlingen?
Joseph: Fatalerweise hat die Regierung alle humanitären Organisationen - sowohl internationale als auch einheimische - aufgefordert, die Gebiete im Belagerungszustand zu verlassen.
Offiziell heißt es, dass dies um der Sicherheit der betroffenen Organisationen willen sein müsse. Zweifellos soll damit erreicht werden, dass der Krieg geführt werden kann, ohne dass Beobachter die immer barbarischeren Akte wider die Menschlichkeit wahrnehmen. Er ist zu einem Krieg ohne Zeugen geworden, weil die unschuldigen Zivilisten nicht überleben und die Geschichte dieser unmenschlichen Tragödie nicht berichten können.

KNA: Was hält die Zivilbevölkerung davon ab, in die von der Regierung kontrollierten Regionen zu gehen?
Joseph: Bekanntlich würde dies dem Anspruch der LTTE zuwiderlaufen, diesen Krieg für das Volk zu führen. Außerdem sind die Menschen angesichts einer Vielzahl von "Verschwundenen" aber auch besorgt, ob sie den Versprechungen der Sicherheitskräfte trauen können, wenn sie in sogenannte Sicherheitszonen gehen würden, in denen ihnen keine internationalen Nichtregierungsorganisationen Beistand leisten können.

KNA: Was müsste die Regierung nach Ihrer Ansicht tun?
Joseph: Es ist von großer Dringlichkeit, dass die Regierung Sofortmaßnahmen beschließt, um Sicherheitszonen für Zivilisten in den Gebieten einzurichten, in denen sich die Vertriebenen jetzt befinden. Den internationalen Nichtregierungsorganisationen muss sie erlauben, wiederzukommen, um für die Sicherheit, das Überleben und den Schutz der Zivilbevölkerung im Wanni sorgen zu können. Außerdem ist geboten, dass die Regierung Nichtregierungsorganisationen und Mitarbeitern der Caritas erlaubt, Lebensmittel und Hilfsgüter ohne jede Einschränkung zu den Vertriebenen zu bringen.

KNA: Ist der ethnische Konflikt in Sri Lanka militärisch zu beenden?
Joseph: Krieg und Gewalt werden nur zunehmen und niemals den langandauernden Konflikt des Landes lösen. Das ist die Auffassung aller klar denkenden Menschen. Aber ein Krieg mit allen Mitteln wird weiterhin gegen einen Teil des Volkes in diesem Land geführt, in erster Linie um des politischen Überlebens der Regierung willen.
Alle Arten von Propaganda werden eingesetzt, um die Köpfe der Mehrheit zu verwirren, damit sie alle Opfer zum Zweck der "Befreiung des Landes von der LTTE" akzeptieren. Eine dauerhafte Lösung kann aber nur durch politische Verhandlungen erreicht werden, die mit aller Aufrichtigkeit und Liebe für das Land und seine Leute geführt werden. Jede Bemühung um wirkliche politische Verhandlungen muss von der politischen Realität des Landes ausgehen, und die ist vielfältig. Auf dieser Grundlage müssen alle Verhandlungen den Anforderungen der Gerechtigkeit und Fairness für alle Bürger genügen, um zu einem dauerhaften und würdigen Frieden zu führen, der in der Verfassung des Landes garantiert wird.

KNA: Wollen die Tamilen einen eigenen Staat?
Joseph: Die Singhalesen und die Tamilen sind zwei verschiedene ethnische Gruppen oder Nationalitäten, mit jeweils eigener Kultur, Tradition und Geschichte. Beide haben sie das Recht auf Selbstbestimmung. Dies sind grundlegende Tatsachen, die keine militärische Macht außer Kraft setzen kann. Aber es muss kategorisch festgehalten werden, dass die Tamilen nicht einen separaten Staat für sich anstreben. Das ist auch die Position der LTTE-Führung. Die Forderung des tamilischen Volkes ist, dass es als Volk anerkannt wird und sein Recht auf innere Selbstbestimmung verfassungsmäßig garantiert wird. Um dies zu erreichen, ist eine maximale Teilung der Macht auf der Grundlage von Demokratie und Menschenrechten nötig - innerhalb eines Staates. Sie sollen sich in ihren traditionellen Siedlungsgebieten im Norden und Osten der Insel selbst verwalten und entwickeln und in vollem Umfang am Aufbau eines vereinigten Sri Lanka mitarbeiten können.