Bischöfliche Einwände zur britischen Oberhausreform erhoben

Machterhalt oder geistiger Grundpfeiler?

Schon die Labour-Regierung unter Tony Blair wollte 1998 das britische Oberhaus, das sogenannte "House of Lords" in seiner hergebrachten Form abschaffen. Eine verschlankte gewählte zweite Parlamentskammer sollte an seine Stelle treten.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
House of Parliament in London / © maziarz (shutterstock)
House of Parliament in London / © maziarz ( shutterstock )

Seither ist freilich nichts daraus geworden. Nun macht Ex-Premier Gordon Brown einen neuen Vorstoß.

Was ist schon ein Vierteljahrhundert in der glorreichen Geschichte des britischen Empire? Seit 1998 die Labour-Regierung von Tony Blair seine Pläne vorstellte, die zweite Parlamentskammer, das "House of Lords" radikal umzukrempeln und für das 21. Jahrhundert fit zu machen, drehen sich die Argumente und Formulierungen im Kreis.

Neuer Anlauf

Passiert ist wenig. Zum Jahresende hat nun Ex-Premierminister Gordon Brown einen neuen Anlauf für die Labour Party erstellt.

Gordon Brown, ehemaliger Premierminister von Großbritannien,  / © Danny Lawson (dpa)
Gordon Brown, ehemaliger Premierminister von Großbritannien, / © Danny Lawson ( dpa )

Einst war das "House of Lords" mächtiger als das "House of Commons", das Unterhaus. Seit dem 19. Jahrhundert haben seine Befugnisse aber immer weiter abgenommen; durchaus eine Sozialdemokratisierung der ältesten Demokratie der Welt. Heute hat das "Oberhaus" vor allem jene Gesetze zu überprüfen und zu kommentieren, die das Unterhaus erlassen hat. Immerhin: Es kann auch Änderungen oder gar neue Gesetze vorschlagen. Das Hauptargument dafür: Aufgrund der Ernennung der derzeit rund 750 "Lords" auf Lebenszeit spielten weniger tages- oder parteipolitische Überlegungen eine Rolle. Das Oberhaus bringe so mehr Weitsicht ein.

Vorschläge gehen unter

Die konservative Regierung von David Cameron legte 2011 einen Gesetzentwurf vor, nach dem die Sitze im Oberhaus auf 300 zusammengestrichen werden und 80 Prozent der Mitglieder künftig für 15 Jahre gewählt werden sollten. Doch im Polit-Gewühl um die Referenden über Schottlands Unabhängigkeit und den Brexit ging auch dieser Vorschlag unter.

Im August 2015 urteilte eine sogenannte Electoral Reform Society: Das House of Lords versammele keinesfalls Experten, sondern vielmehr Berufspolitiker; es sei eine "schockierend unzeitgemäße und nicht repräsentative Einrichtung". Mehr als die Hälfte seien über 70 Jahre alt, und fast die Hälfte habe ihren Wohnsitz in London oder im Südosten Englands.

Demografischer Wandel führt zu Glaubensvielfalt

Zudem seien Christen in Großbritannien zuletzt eine gesellschaftliche Minderheit geworden, hieß es in dem Bericht. Der Anteil der Anglikaner an der britischen Bevölkerung sei in den drei Jahrzehnten seit 1983 von 40 Prozent auf weniger als 20 Prozent gesunken. Der demografische Wandel führe zu mehr Glaubensvielfalt; der Anteil von Muslimen, Hindus und Sikhs nehme rasch zu. Binnen zwei Generationen habe sich die Gesellschaft in Bezug auf Weltanschauung und Religion "bis zur Unkenntlichkeit" verändert.

Das "House of Lords" / © Kirsty Wigglesworth (dpa)
Das "House of Lords" / © Kirsty Wigglesworth ( dpa )

Kritisiert wurde in dem Expertenbericht auch die tiefgehende Verankerung der anglikanischen Kirche in der Politik. Tatsächlich hat England bis heute verfassungsrechtlich eine Staatskirche, deren weltliches Oberhaupt der König von England ist. Nicht-Anglikaner sind von der Thronfolge ausgeschlossen, und anglikanische Bischöfe Mitglieder im britischen Oberhaus und damit auch Gesetzgeber - als einzige Religionsvertreter. Die Kommission schlug dagegen vor, dass die bislang 26 Bischöfe im Oberhaus einen Teil ihrer festen Plätze für Vertreter anderer Glaubensrichtungen räumen.

Justin Welby (vorne), Erzbischof von Canterbury / © Paul Childs (dpa)
Justin Welby (vorne), Erzbischof von Canterbury / © Paul Childs ( dpa )

"Geborene" Mitglieder und Dienstalter

Vertreten sind dort die Erzbischöfe von Canterbury und York sowie die Bischöfe von Durham, London und Winchester als "geborene" Mitglieder. Weitere 21 Plätze werden in der Reihenfolge des Dienstalters als Bischöfe vergeben. Anfang 2015 beschloss allerdings das Unterhaus, dass für eine Übergangszeit von zehn Jahren bevorzugt auch Bischöfinnen ins Oberhaus einziehen, also sozusagen ihre männlichen Amtsbrüder "überholen" sollen.

Soweit der Status quo. Als nun vor Weihnachten Gordon Brown erneut eine stark verkleinerte und gewählte Zweite Kammer vorschlug, antwortete postwendend Alan Smith, Bischof von St. Albans und "Convener" (Sprecher) der Lords Spiritual im Oberhaus. Er sprach, sehr britisch, von "einer Reihe mutiger und ehrgeiziger Ideen, von denen viele ernsthafte Aufmerksamkeit verdienen, einige nicht".

Regierung zur Rechenschaft ziehen

Der Bischof bemüht den alten Design- und Architekturleitsatz "form follows function" (die Form muss immer der Funktion folgen), um dann festzustellen, dass die Zweite Kammer eine besonders wertvolle Funktion erfülle: Gesetze zu überprüfen, die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen und "gelegentlich das gewählte Haus zu bitten, noch einmal nachzudenken".

Mängel räumt er zwar ein, etwa eine "übermäßige Größe des Hauses" und einen "Mangel an geografischer Vielfalt". Wenn eine künftige Regierung dies nicht in den Griff bekomme, "könnten Amtszeitbeschränkungen oder ein obligatorisches Rentenalter einen genaueren Blick wert sein".

Stimmen von Minderheiten einbringen

Die grundsätzliche Aufstellung verteidigt der 65-jährige Bischof aber und argumentiert: "Die Lords-Mitgliedschaft kommt aus vielen verschiedenen Berufen und Teilen der Zivilgesellschaft, was Unabhängigkeit und Fachwissen in die Debatten einbringt." Es gebe keine "eingebaute Regierungsmehrheit", so Smith.

Eine Regierung müsse oft "die Peitsche einsetzen", um einen Streit zu gewinnen und den eigenen Willen durchzusetzen. Die Bischöfe im Oberhaus versuchten dagegen neben der Perspektive des Glaubens auch die Stimmen von Randgruppen in die Debatten einzubringen; darunter Flüchtlinge und Asylsuchende, Familien, die um Sozialleistungen kämpfen, Opfer der Glücksspielindustrie oder Personengruppen, die im Ausland unter Menschenrechtsverletzungen litten. Diese Perspektive sei "in den Sorgen und Erfahrungen der Menschen verwurzelt, aus denen unsere Gemeindenetzwerke bestehen", schreibt Smith.

"Getrennte, aber komplementäre Komponenten"

Er macht in dem Brown-Bericht einen "grundlegenden Fehler" aus: Dieser betrachte "Wahlen als die einzig wertvolle Legitimität"; und er betrachte die beiden Parlamentskammern als zwei nebeneinander stehende Einheiten statt als "getrennte, aber komplementäre Komponenten" des parlamentarischen Systems. Dieses System, so der Bischof, habe seine Legitimität durch die Überordnung seines gewählten und die Unterordnung des beratenden, nicht gewählten Teils. Zwei gewählte Kammern, so argwöhnt er, schüfen "einen Wettbewerb darum, wer die größte Legitimität hat".

Und noch ein Versäumnis attestiert Smith - das die Bischöfe noch mehr besorgen muss: Auf 155 Seiten und in 40 Empfehlungen werde weder die Rolle des Glaubens noch die der Zivilgesellschaft für das politische Leben erwähnt; ebenso wenig die historischen Verbindungen zwischen Krone, Kirche und Parlament, die "so viel von unserer lebendigen Verfassungsordnung ausmachen". Dies seien "schwerwiegende Auslassungen".

Wie es weitergeht ist offen. Der diskutierte Reformplan stammt von der oppositionellen Labour-Partei. Die Regierungsmehrheit im Unterhaus halten noch die zuletzt gebeutelten Konservativen unter ihrem Vorsitzenden und Premierminister Rishi Sunak - einem bekennenden Hindu.

Kirche von England

Die anglikanische Kirche entstand zur Zeit der Reformation in England. König Heinrich VIII. brach 1533 mit dem Papst, weil dieser sich weigerte, die Ehe des Königs zu annullieren. Als Oberhaupt einer neuen Staatskirche setzte Heinrich VIII. 1534 sich selbst ein. In Glaubensfragen blieben die Anglikaner zunächst bei der katholischen Lehre. Später setzten sich protestantische Einflüsse durch. 1549 erschien das erste anglikanische Glaubensbuch, das "Book of Common Prayer".

Bischöfe der Church of England / © Nigel Roddis (dpa)
Bischöfe der Church of England / © Nigel Roddis ( dpa )
Quelle:
KNA