Bischöfe und Theologen zu Missbrauchsgipfel

Hoffnungen auf Kehrtwende in Kirche

Wenige Tage vor Beginn des Missbrauchsgipfels im Vatikan setzen Bischöfe und Theologen auf eine Kehrtwende in der katholischen Kirche. Die Missbrauchskrise sei nach Worten von Kirchenhistoriker Hubert Wolf größer "als das, was in der Reformation passiert ist".

Frost überzieht ein Wegkreuz / © Felix Kästle (dpa)
Frost überzieht ein Wegkreuz / © Felix Kästle ( dpa )

Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, erhofft sich einen Bewusstseinswandel. Es wäre wichtig, wenn Papst Franziskus es schaffe, die Bischöfe zu verpflichten, sich dem Thema Missbrauch opferorientiert zu stellen und "nicht das Ansehen der Kirche an die erste Stelle zu setzen", sagte der Trierer Bischof am Sonntag im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Eine weltweite Verpflichtung zur Präventionsarbeit wäre gut."

Zwar seien kulturelle Unterschiede zu beachten, doch diese dürften nicht "als Entschuldigung dafür herhalten, im Bereich Kinderschutz wenig oder nichts zu tun", so Ackermann. Aus deutscher Sicht seien auch Veränderungen im Kirchenrecht notwendig, "unter anderem im kirchlichen Straf- und Prozessrecht".

Kardinal Rainer Maria Woelki erteilt eine klare Absage an Versuche "jetzt selber eine neue Kirche zu erfinden" und den "Heiligen Geist spielen zu wollen". In einem Interview mit dem katholischen Fernsehsender EWTN warnt der Erzbischof von Köln davor, angesichts der Kirchenkrise eine Abkehr von der Lehre und Tradition zu propagieren.

"Es gibt Stimmen, die jetzt denken, dass es an der Zeit ist, alles das, was bisher war, über Bord zu werfen. Es sind die alten Zeiten, die jetzt nicht mehr existieren sollen", skizzierte Woelki die eine Seite, von der er sich distanziere. Denn: Die Kirche stehe gerade auch für das Überzeitliche. Sie sei keine "Manövriermasse, die uns in die Hände gegeben ist", betont Kardinal Woelki. Aufgabe der Bischöfe sei vielmehr, den Glauben zu bewahren und verkünden.

Der Jesuit Hans Zollner erwartet, dass der Gipfel "eine Lawine auslöst, die man nicht mehr stoppen kann". "Der Schutz vor Missbrauch, die Aufarbeitung des Missbrauchs ist für die Kirche existenziell", sagte der Leiter des Kinderschutzzentrums an der Päpstlichen Universität Gregoriana der "Süddeutschen Zeitung" (Samstag).

Zollner unterstrich, dass weltweit ganz unterschiedliche Traditionen bestünden, etwa im Umgang mit Sexualität und täglicher Gewalt oder bei der Rolle der Priester. "Wir dürfen nicht einfach unsere Maßstäbe allen überstülpen", betonte der Jesuit. "Es muss aber auch klar sein, dass es keine Toleranz gegenüber Missbrauch geben darf."

Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn erhofft sich vom bevorstehenden Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan "weltweit gleiche Standards in der katholischen Kirche" beim Kampf gegen sexuelle Gewalt. "Nur wenn allen bewusst ist, was Missbrauch ist, warum es dazu kommt und was dagegen zu tun ist, können wir weltweit gemeinsame Standards einführen", sagte Schönborn der österreichischen Presseagentur Kathpress.

Er wies darauf hin, dass der Vatikan schon unter Papst Benedikt XVI. (2005-2013) präzise Regeln zum Umgang mit Missbrauch gesetzt habe, die längst alle Bischofskonferenz hätten umsetzen müssen. In Österreich sei man diesen Weg mit Entschiedenheit gegangen, so der Kardinal. Dies sei jedoch in vielen Ländern der Welt noch nicht der Fall. "Papst Franziskus möchte deshalb nicht nur einen gemeinsamen Bewusstseinsstand erreichen, sondern dass die Umsetzung der klaren und auch sehr strengen Richtlinien auch wirklich von allen ernst genommen wird", so Schönborn.

Überall auf der Welt müsse der Grundsatz gelten, "dass die Opfer an erster Stelle stehen und nicht die Institution bzw. der Ruf der Institution". Es gelte, "den Opfern eine Stimme zu geben".

Kardinal Gerhard Ludwig Müller widersprach der These, eine Ursache für sexuellen Missbrauch liege im Klerikalismus. Dafür gebe es keine Belege, sagte er dem "Spiegel". Die Ursache liege im verdorbenen Charakter der Täter.

Der längjährige Leiter der Glaubenskongregation bekräftigte seine These von einem Zusammenhang von Missbrauch und Homosexualität. Weit über 80 Prozent der Opfer sexuellen Missbrauchs Jugendlicher in der Kirche seien männlich. "Bei dem Missbrauchsgipfel aber sollen diese Daten unvernünftigerweise keine Rolle spielen", kritisierte der Theologe.

Der katholische Kirchenhistoriker Hubert Wolf sieht den sexuellen Missbrauch als Teil einer Systemkrise in der Kirche. Die Bischöfe müssten mit grundlegenden Änderungen beginnen, sagte er am Sonntag im Deutschlandfunk.

Es gehe nicht nur um den Zölibat, sondern auch um den Zugang zum Priesteramt, die Auswahl der Bischöfe und die Beteiligung der Gemeinden. "Ich halte diese Krise für größer als das, was in der Reformation passiert ist", fügte der Geistliche hinzu. Die Kirche lebe vom Glauben und von ihrer Glaubwürdigkeit. "Eine Religion, die keine Glaubwürdigkeit hat, ist am Ende."

Der an der Uni Münster lehrende Priester betonte, es gehe nicht nur um den Zölibat. Es gehe auch um Fragen wie den Zugang zum Priesteramt, die Auswahl der Bischöfe und die Beteiligung der Gemeinden. Auch brauche die Kirche eine Verwaltunsgerichtsbarkeit. "Der Zölibat ist Teil eines Systems. Und der Zölibat ist ein Risikofaktor für den Missbrauch", sagte Wolf. "Deshalb darf man das Thema nicht länger aussitzen oder in einer Entschuldigungsrhethorik vertuschen."

Mit Franziskus habe ein Papst erstmals auch die sexuelle Gewalt an Nonnen öffentlich gemacht, sagte der Kirchenhistoriker. Die Erwartungen an ihn seien jetzt hoch. Alle Dinge müssten auf den Tisch, insbesondere alle Quellen zugänglich gemacht werden. Denn: "Es geht nicht nur um die Täter, sondern auch um die, die die Täter gedeckt heben. Es geht um die, die von diesen Vorgängen in Klöstern und mit Kindern wussten. Es geht um die, die solche Pfarrer versetzt haben und sie wieder auf Kinder und Jugendliche losgelassen haben."

Der Wiener Religionssoziologe Paul Zulehner nennt den Missbrauchsskandal in der Kirche unterdessen eine "Fußfessel" für Papst Franziskus. An ein Scheitern der internationalen Missbrauchskonferenz in Rom und damit verbunden ein Scheitern von Papst Franziskus glaubt der Mitinitiator der Kampagne "Pro Pope Francis" nicht. Schon aus "Vernunftgründen" müsse die Konferenz, die am 21. Februar in Rom beginnt, ein Erfolg werden, sagte er der "Südwestpresse" (Montag).

"Der Reformprozess von Papst Franziskus wird sich nicht aufhalten lassen", so Zulehner. Die positive Bewältigung des Missbrauchsthemas könne neuen Schwung bei Reformen bringen.


Bischof Stephan Ackermann  / © Harald Tittel (dpa)
Bischof Stephan Ackermann / © Harald Tittel ( dpa )

Rainer Maria Kardinal Woelki während der ZdK-Herbstvollversammlung / © Marius Becker (dpa)
Rainer Maria Kardinal Woelki während der ZdK-Herbstvollversammlung / © Marius Becker ( dpa )

Hans Zollner / © Romano Siciliani (KNA)
Hans Zollner / © Romano Siciliani ( KNA )

Christoph Kardinal Schönborn (KNA)
Christoph Kardinal Schönborn / ( KNA )

Kardinal Gerhard Ludwig Müller / © Lena Klimkeit (dpa)
Kardinal Gerhard Ludwig Müller / © Lena Klimkeit ( dpa )

Hubert Wolf, deutscher Historiker, in der Diözesanbibliothek Münster.  / © Andreas Kühlken (KNA)
Hubert Wolf, deutscher Historiker, in der Diözesanbibliothek Münster. / © Andreas Kühlken ( KNA )

Paul Zulehner, Pastoraltheologe / © Lukas Ilgner (KNA)
Paul Zulehner, Pastoraltheologe / © Lukas Ilgner ( KNA )
Quelle:
KNA