Bis heute fehlt dem Genter Altar eine Tafel

75 Jahre Schatzsuche

Der Genter Altar ist der Stolz der Sint-Baafs-Kathedrale. Ein Meisterwerk, das in diesem Jahr wieder verstärkt ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken könnte.

Autor/in:
Martina Gnad
 (DR)

Denn was die Besucher in einem Seitentrakt der Kathedrale erwartet, ist nur zum Teil das Original der Gebrüder van Eyck aus dem Jahr 1432. Eine der 26 Tafeln, die "Gerechten Richter", ist eine Kopie. Die echte Tafel wurde vor 75 Jahren, in der Nacht vom 10. auf den 11. April 1934, gestohlen. Den Dieben ging es um Lösegeld: eine Million Belgische Francs - viel Geld damals. Gezahlt wurde nicht, und die Tafel blieb bis heute verschwunden. Aufgegeben haben die Genter die Suche nach ihr nie.

"Wir bekommen immer noch Mails, Briefe oder Anrufe mit Hinweisen oder Vermutungen zum Fundort", erzählt der Rektor der Kirche, Ludo Collin. "Wir leiten das dann alles an die Polizei weiter, und dort wird geprüft, ob die Hinweise ernst gemeint sind." An der Suche beteiligen sich nicht nur die Genter; viele Briefe kommen sogar aus dem Ausland. Einige Leute beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit der Tafel: "Die schreiben sogar an den Ministerpräsidenten", so Collin..

Der Altar war schon im Louvre
Dabei gleicht es eigentlich einem Wunder, dass die Kathedrale inzwischen wieder im Besitz der restlichen Tafeln ist. Der Flügelaltar, der die "Die Anbetung des Lammes" zeigt, war eine Auftragsarbeit reicher Genter, die sich in der Kathedrale eine eigene Kapelle inklusive Familienwappen im Chorumgang gönnten. Der unschätzbare Wert des Genter Altars stand von Anfang an fest. So war er auch das einzige Gemälde der Kathedrale, das vor dem Bildersturm der Protestanten 1566 in Sicherheit gebracht werden konnte.  

Später wurden die Tafeln mit Adam und Eva durch bekleidete Varianten ersetzt - die heute übrigens noch in der Kathedrale zu besichtigen sind -, Teile des Altars von den Franzosen erbeutet und einige Tafeln nach Preußen verkauft. Im Zweiten Weltkrieg beschlagnahmten deutsche Truppen das Kunstwerk. Erst 1946 kam der Altar endlich in seine Heimatstadt zurück. Und da soll er nach dem Willen des Rektors auch bleiben. "Der Altar war zwar schon im Louvre - aber er wurde für Gent gemacht."

"Die Reiseleiter haben ständig die Flügel auf- und zugeklappt"
Bis 1986 hing der Genter Altar in der Seitenkapelle seiner Stifter - völlig ungeschützt. "Die Reiseleiter haben ständig die Flügel auf- und zugeklappt", erinnert sich Collin. Das geht inzwischen nur noch mit einer Farbkopie in Lebensgröße. Das Original ist für drei Euro in einem Panzerglastresor zu besichtigen: sicher vor Diebstahl und Deckeneinsturz sowie vollständig klimatisiert. Die Touristen zahlen bereitwillig. Rund 250.000 kommen jedes Jahr - trotz fehlender Tafel.

Wenige Monate nach seinem Diebstahl bekannte sich 1934 ein Belgier namens Arsene Godertier auf dem Sterbebett zu der Tat. Den Fundort verriet er nicht, nur: Er habe die Tafel an einem Ort versteckt, von dem er sie nicht ungesehen entfernen könne. Ein Grund, warum viele die Tafel in der Kathedrale selbst vermuten - im Glockenturm oder in einem der Gräber. Doch nicht einmal der Einsatz von Wünschelrutengängern brachte bisher Erfolg.

Collin bleibt eher skeptisch: "Die Sarkophage sind zu schwer, um sie einfach zu öffnen. Außerdem: Wenn ich etwas in einer Kathedrale stehlen würde, würde ich damit ganz weit weglaufen." So darf also weiter spekuliert werden. Die Tageszeitung "De Standaard" gab ihren Lesern zu Jahresbeginn gleich acht Tipps für eine erfolgreiche Schatzsuche. Der einfachste: den Altar besichtigen. Denn eine Theorie besagt, dass alles nur eine große Verschwörung war - und die Original-Tafel schon längst wieder an ihrem Ursprungsplatz hängt.