Biographie Rainer Barzels

Der Beinahe-Kanzler

Er war ein begeisterter Bergwanderer. Mit steilen Aufstiegen und tragischen Abstürzen wurde Rainer Barzel jedoch auch in seinem politischen und privaten Leben konfrontiert. Minister in mehreren Bundeskabinetten, Fraktionsvorsitzender im Bundestag, CDU-Parteivorsitzender und Bundestagspräsident: Als dramatischer Wendepunkt erwies sich der 27.

 (DR)

Er war ein begeisterter Bergwanderer. Mit steilen Aufstiegen und tragischen Abstürzen wurde Rainer Barzel jedoch auch in seinem politischen und privaten Leben konfrontiert. Minister in mehreren Bundeskabinetten, Fraktionsvorsitzender im Bundestag, CDU-Parteivorsitzender und Bundestagspräsident: Als dramatischer Wendepunkt erwies sich der 27. April 1972, als der gebürtige Ostpreuße beinahe Bundeskanzler Willy Brand (SPD) gestürzt hätte und selber Kanzler geworden wäre. Beim ersten konstruktiven Misstrauensvotum in der Geschichte der Bundesrepublik scheiterte er jedoch an zwei fehlenden Stimmen - zwei Stimmen, die vermutlich, die Stasi gekauft hatte. Am Samstag ist der Katholik im Alter von 82 Jahren in München an Krebs gestorben.

Brücken zwischen der CDU und der katholischen Kirche
Politische Könnerschaft und rednerische Brillanz auf der einen, Verletzlichkeit sowie berufliche und private Nackenschläge auf der anderen Seite: Der am 20. Juni 1924 geborene Sohn eines Oberstudienrats aus dem ostpreußischen Braunsberg wuchs in Berlin auf und war im Zweiten Weltkrieg bei den Marinefliegern. "Seither weiß ich, was Angst heißt", hat er in einem seiner 20 Bücher verraten. Nach dem Krieg studierte er Jura und schrieb mit 23 Jahren sein erstes Buch über "Die geistigen Grundlagen der Parteien".

Von Beginn seiner politischen Karriere an schlug Barzel Brücken zwischen der CDU und der katholischen Kirche. Geprägt von der katholischen Jugendarbeit im Bund Neudeutschland, orientierte der ehemalige Jesuitenschüler seine Politik an der katholischen Soziallehre. "Sich an die Stelle des anderen fühlen", so hat er in den vergangenen Jahren eines seiner Prinzipien umschrieben. 1960 wurde Barzel von Kanzler Konrad Adenauer beauftragt, sich um die Beziehungen der Union zu den Kirchen zu kümmern.

1962 war er als "Benjamin" im fünften Kabinett Adenauer Minister
Er konnte allerdings nicht verhindern, dass sich die Katholiken nach und nach mehr zu den übrigen Parteien öffneten und die Union ihr Monopol im katholischen Bevölkerungsteil verlor. Wegen seiner engen Bindung an die Kirche war er häufig Zielscheibe von Spott. Zu seinem 80. Geburtstag würdigte ihn der Münchener Kardinal Friedrich Wetter deshalb mit den Worten, jenseits eines "engstirnigen Konfessionalismus" habe sich Barzel immer offen zu seinen katholischen Grundsätzen bekannt und dafür oft Häme auf sich genommen.

Seine politische Karriere startete Barzel zunächst als Redenschreiber und Beamter in Nordrhein-Westfalen, wo er später auch den Wahlkreis Paderborn im Parlament vertrat. 1957 zog der Senkrechtstarter als Youngster in den Bundestag ein. Ab Dezember 1962 war er als "Benjamin" im fünften Kabinett Adenauer Minister für Gesamtdeutsche Fragen zuständig. 1963 wurde der promovierte Jurist dann Fraktionschef und galt ab 1966 als einflussreiche Schaltstelle in der Großen Koalition hinter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und Außenminister Willy Brandt. Große Verdienste erwarb sich Barzel dabei, die CDU in den Wirren der Nach Adenauer-Phase organisatorisch und programmatisch zu erneuern. Als SPD und FDP dann 1969 erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine Bundesregierung ohne Beteiligung der Union bildeten, organisierte er eine schlagkräftige Opposition. Gegen Helmut Kohl setzte er sich 1971 als neuer CDU-Vorsitzender durch.

Schicksalsschläge privat und politisch
Nach dem gescheiterten Misstrauensvotum und der im Zeichen der Ostverträge verlorenen Bundestagswahl von 1972 geriet Barzel mehr und mehr ins politische Abseits. Als Fraktionschef im Bundestag trat er 1973 zurück, nachdem die Union sich gegen seine Empfehlung auch der Zustimmung zum Beitritt der Bundesrepublik in die UNO verweigert hatte. Bei den Wahlen zum Parteivorsitzenden ließ er Kohl den Vortritt. Nach einer zwischenzeitlichen Anwaltstätigkeit in Frankfurt am Main kehrte Barzel Ende der 70er Jahre in die aktive Politik zurück. 1980 übernahm er den Vorsitz des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und trat nach dem Machtwechsel 1982 kurzzeitig als Bundesminister für gesamtdeutsche Beziehungen ins Kabinett Kohl ein.

Ein Jahr später wurde Barzel Bundestagspräsident. Unter dem Druck der Flick-Parteispendenaffäre gab er das Amt jedoch nach kurzer Zeit wieder auf. Seit Anfang der 90er Jahre betätigte sich der Jurist, der seine eher weichen Gesichtszüge jetzt durch einen Bart veränderte, als bisweilen scharfer Kritiker seiner Parteiführung und des politischen Tagesgeschäfts.

Auch Barzels privater Weg war von Schicksalsschlägen begleitet. Seine erste Frau Kriemhild starb 1980 an Krebs. Seine 1949 geborene einzige Tochter Claudia nahm sich 1977 das Leben. Und Helga Henselder, die Barzel 1982 heiratete, wurde Ende 1995 bei einem Autounfall getötet. 1997 heiratete Barzel die 23 Jahre jüngere Regisseurin und Schauspielerin Ute Cremer, mit der er bis zuletzt in München lebte.
(KNA/Christoph Arens)