Bingener blickt auf Synodalen Weg im Spiegel der Weltkirche

"Was macht ihr da eigentlich in Deutschland?"

Der Synodale Weg wird von der Weltkirche nicht unbedingt als notwendiger Schritt gesehen. Manche glauben, Deutschland würde einen Sonderweg oder gar einen Irrweg einschlagen. Missio-Präsident Dirk Bingener sieht Potential im Diskurs.

Dirk Bingener / © Julia Steinbrecht (KNA)
Dirk Bingener / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Warum ist es missio, ein großes Anliegen, dieses Symposium "Der Synodalen Weg im Spiegel der Weltkirche" zu veranstalten?

Dirk Bingener (Pfarrer und Präsident von missio Aachen): Ich glaube, der Synodale Weg verhandelt wichtige Fragestellungen für die Kirche. Wir gehen gemeinsam auf die Weltsynode zu, und wir haben gemerkt, dass es Austausch und Zeit braucht, um diese wichtigen Fragen zu diskutieren. Wenn man in der Weltkirche diskutiert, dann haben die Menschen unterschiedliche kulturelle Hintergründe. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen und sie haben auch unterschiedliche kirchliche Erfahrungen.

Und um die auszutauschen, um sich wirklich zu verstehen und um die Dinge differenziert zu betrachten, braucht es Austausch. Missio ist prädestiniert dafür, weil wir natürlich aus unserer Tradition heraus als Missionswerk immer schon gute Kontakte in afrikanische Länder oder beispielsweise in asiatische Länder haben.

DOMRADIO.DE: Wer oder was ist denn überhaupt in diesem Kontext die Weltkirche?

Bingener: Für diese Frage bin ich sehr dankbar, weil es deutlich macht, dass man nicht über die Weltkirche sprechen kann, sondern dass man differenziert auf die jeweiligen Lebenswirklichkeiten schauen muss.

Es gibt natürlich ganz unterschiedliche Ortskirchen, die gemeinsam die katholische Kirche bilden. Die Weltkirche gibt es nicht, es ist wichtig, genau zu schauen: Wie ist die Ortskirche aufgestellt? Welche Fragestellungen gibt es an anderen Orten der Welt und wie kommen wir miteinander in Kontakt?

DOMRADIO.DE: Ein Brief von 74 Bischöfen hat für Aufsehen gesorgt. Insbesondere wurde er von Bischöfen aus den USA, aber auch von einigen afrikanischen Bischöfen unterzeichnet. Da wurde dem Synodalen Weg vorgeworfen, einen Sonderweg oder vielleicht auch einen Irrweg einzuschlagen. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Bingener: Ich würde dazu sagen, dass das Stimmen aus der Weltkirche sind. Es gibt, glaube ich, etwas über 5.000 Bischöfe in der Weltkirche. Insofern kann man auch sehen, in welchem Verhältnis das steht.

Und ich glaube, wir haben durch diese Rückmeldungen auch gelernt, dass die Fragestellungen und die Ergebnisse des Synodalen Wegs in die Weltkirche transportiert werden müssen, beziehungsweise mit den Menschen in der Weltkirche diskutiert werden müssen.

Es war auch ein Weckruf dafür, die internationale Dimension nochmal starker in der Fragestellung zu sehen. Die Fragen, die wir auf dem Synodalen Weg diskutieren, das ist vollkommen unbestritten, sind die Fragen, die sich in der Weltkirche stellen. Das haben jetzt auch die Rückmeldungen im Hinblick auf die Synode ergeben.

DOMRADIO.DE: Es gibt eigenständige missio Hilfswerke weltweit, in jedem Land eins. Haben Sie mit Kolleginnen und Kollegen sprechen können, sich austauschen können, wie die zum Synodalen Weg stehen?

Bingener: Ich bin seit drei Jahren missio-Präsident. In den vergangenen zwei Jahren war es nicht möglich, sich zu treffen. Das erste Mal, wo sich die 120 Nationaldirektorinnen und -Direktoren getroffen haben, war jetzt in Lyon zur Seligsprechung von Pauline Jarico. Da stand das Thema nicht offiziell auf der Tagesordnung, weil man sich zunächst einmal zum generellen Austausch getroffen hat. Aber natürlich wird man angefragt: "Was macht ihr da eigentlich in Deutschland?"

Das zeigt einmal mehr, dass man miteinander in den Dialog treten muss und dass man dafür Zeit braucht. Die National-Direktoren bestätigen natürlich auch das, was ich eben schon gesagt habe. Die Fragen, die wir im Synodalen Weg diskutieren, sind die Fragen, die sich die Weltkirche stellt. Mal mehr tabuisiert, mal weniger.

Ob die Antworten, die auf diese Fragestellung gegeben werden die gleichen sind wie hier bei uns in Deutschland, das sei mal dahingestellt. Aber das miteinander herauszufinden, ist ja spannend.

DOMRADIO.DE: Missio fühlt sich der Weltkirche verbunden. Da bekommen Sie sicher einen ganz guten Eindruck, wieso in den verschiedenen Ländern auf einzelne Themen geschaut wird. Auch wie auf brisante Themen, wie zum Beispiel die Sexualmoral geschaut wird.

Bingener: Das ist ein Thema, das in vielen Ortskirchen sehr stark tabuisiert wird. Beispielsweise das Thema Missbrauch an Ordensfrauen. Das sind Themen, die sehr stark tabuisiert sind und wo wir als missio Foren schaffen, um darüber ins Gespräch zu kommen und dann konkrete Maßnahmen zu ergreifen.

Ich stelle in vielen Ortskirchen fest, dass die Machtgefälle viel stärker sind als in Deutschland, weil auch die wirtschaftliche Abhängigkeit größer ist. Dann gibt es natürlich viele Themen, die darüber hinausgehen.

Dirk Bingener, Pfarrer und Präsident von missio Aachen

"Was heißt es, terroristischer Gewalt ausgesetzt zu sein? Was heißt es, unfassbar viele Flüchtlinge aufnehmen und gastfreundlich sein zu müssen? Was bedeutet Armut? Was bedeutet Krieg?"

Ich war im vergangenen Januar im Südsudan, ich war in Bangladesch, da gibt es andere Themen, die eine wichtige Rolle spielen.

Was bedeutet es, wenn eine Kirche in der Minderheit ist? Was heißt das eigentlich, in der Diaspora-Situation zu sein? Was heißt es, terroristischer Gewalt ausgesetzt zu sein? Was heißt es, unfassbar viele Flüchtlinge aufnehmen und gastfreundlich sein zu müssen? Was heißt es, das als Aufgabe zu sehen? Was bedeutet Armut? Was bedeutet Krieg? Die Themenpalette ist natürlich viel, viel, viel, viel weiter und größer.

Die Themen Frauen in der Kirche, Mitbestimmung, Missbrauch, Homosexualität. Das sind Fragestellungen, die vielleicht stärker tabuisiert sind, aber wie gesagt, das ist sehr unterschiedlich. Aber darüber muss man ins Gespräch kommen, Partnerschaften und Vertrauen aufbauen. Sonst fangen die Leute gar nicht erst an, miteinander zu sprechen.

Man muss natürlich auch Hilfsangebote machen. Wie kann man Situationen verändern? Sonst sprechen wir über die Fragestellungen, aber ohne die Option, etwas zu bewirken. Deswegen versucht missio ja gerade, Kirchen zu ertüchtigen. In Bangladesch haben wir zum Thema Missbrauch und zum Thema Prävention in den Kirchen gearbeitet, um die Ortskirchen zu ertüchtigen, die Situation zu verändern.

DOMRADIO.DE: Sie hatten schon den Begriff Weckruf genannt. Deutet der auf das Versäumnis hin, im Synodalen Weg die internationale Vernetzung nicht stark genug betrieben zu haben?

Bingener: Es nützt nichts, über vergossene Milch zu sprechen. Ich glaube, dass es ein Weckruf war. Natürlich hat man als Ortskirche hier in Deutschland mit der besonderen Situation, in der wir sind, mit den Chancen, die wir haben, auch aufgrund der finanziellen Situation immer eine sehr starke Binnensicht.

Jetzt haben wir noch mal stärker gelernt und verstanden, dass man die Dokumente übersetzen muss, dass man Veranstaltungen für die Vernetzung organisieren muss.

Dirk Bingener, Pfarrer und Präsident von missio Aachen

"Es gibt kaum eine Organisation, die in dieser Art und Weise vernetzt ist, die Möglichkeiten hat etwas zu gestalten, die die Menschen erreicht, die Hoffnung geben kann, die Veränderung bewirkt"

Ansonsten ist die Weltkirche eine wunderbare Institution. Da, wo sonst keiner hinkommt in der Welt, wie zum Beispiel im Südsudan, Bangladesch, in den entlegensten Orten, dort ist die Kirche. Es gibt kaum eine Organisation, die in dieser Art und Weise vernetzt ist, die Möglichkeiten hat, etwas zu gestalten, die die Menschen erreicht, die Hoffnung geben kann, die Veränderung bewirkt.

Vielleicht noch die UN, die katholische Kirche und andere Kirchen natürlich auch. Ich will es nicht so defizitär sehen, sondern wir müssen diesen Weg miteinander gehen. Wir müssen ins Gespräch kommen, wir müssen uns Zeit miteinander nehmen und müssen sehen, welchen Schatz wir in der Weltkirche haben, in den wunderbaren Kontakten, in der Vielfalt, in dem Reichtum weltkirchlichen Engagements.

DOMRADIO.DE: Sie verstehen das auch ein Stück weit als ein Auftrag von missio, in der Weltkirche über den Synodalen Weg ins Gespräch zu kommen.

Bingener: Wenn nicht das, was dann?

DOMRADIO.DE: Wie nehmen Sie die Stimmung, was den Synodalen Weg angeht, in Deutschland wahr?

Bingener: Ich war vorher beim BDKJ Bundespräses. Wir diskutieren natürlich schon sehr, sehr lange darüber. Wir haben immer auch um Geduld gebeten und haben immer gesagt, wir wollen viele auf dem Weg mitnehmen, wir müssen Brücken bauen. Ich glaube, diese Dehnung der Geduld ist jetzt schon längst zu Ende. Es braucht wirklich Veränderungen.

Dirk Bingener, Pfarrer und Präsident von missio Aachen

"Die Synoden sind zwar häufig auch mit Frustration verbunden, aber wir haben noch mal in besonderer Weise gemerkt, dass wir diese Diskussionsforen schaffen müssen"

Die Synoden sind zwar häufig auch mit Frustration verbunden, aber wir haben noch mal in besonderer Weise gemerkt, dass wir diese Diskussionsforen schaffen müssen und diese wichtigen Fragen, die beim Synodalen Weg mit dem Thema Missbrauch zusammenhängen, stellen müssen.

Das hat so eine Dringlichkeit, das uns gar nichts anderes übrigbleibt, als gute Fragen zu stellen. Dann ist Mutlosigkeit und Resignation fehl am Platz.

DOMRADIO.DE: Synoden liegen im Trend. Erst ist der Synodale Weg gestartet worden, dann hat Papst Franziskus die Weltsynode gestartet. Wie sehen Sie das Verhältnis von Synodalem Weg und Weltsynode?

Bingener: Ich finde, auf dem Synodalen Weg sind nochmal neue Wege gefunden worden, wie Bischöfe mit verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern ins Gespräch kommen. Die Frage ist: "Lernt jetzt die Weltsynode von dieser Art und Weise des Sprechens?"

Bei der Jugendsynode haben alle gesessen und zum Papststuhl hin gesprochen. Selbst wenn der Papst nicht da war. Immer vier Minuten lang, in Richtung des Papststuhls. Man hat erkannt, dass das eigentlich kein wirklicher Austausch miteinander ist.

Beim Synodalen Weg ist das anders. Der starke Zeitdruck war da eine Problematik, der man sich widmen musste. Und jetzt ist die Fragestellung: "Wie ist man denn synodal zusammen?" Sie können natürlich schwer über Synodalität sprechen, wenn sie nicht in irgendeiner synodalen Art und Weise zusammen sind.

Ich bin wirklich gespannt, wie diese Herausforderung und die Frage danach, wer beteiligt wird, gemeistert werden. Man muss sie meistern, weil man sonst das Thema Synodalität schon in der Art und Weise, wie man zusammen ist, ad absurdum führt.

Information der Redaktion: Das Interview führte Susanne Becker-Huberti auf dem missio-Symposium "Der Synodale Weg im Spiegel der Weltkirche" am 12. Januar in Köln. 

Synodaler Weg

Der Begriff "Synodaler Weg" verweist auf das griechische Wort Synode. Es bedeutet wörtlich "Weggemeinschaft"; im kirchlichen Sprachgebrauch bezeichnet Synode eine Versammlung von Bischöfen oder von Geistlichen und Laien.

Der Reformdialog Synodaler Weg dauerte von Ende 2019 bis Frühjahr 2023. Dabei berieten die deutschen katholischen Bischöfe und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) zusammen mit weiteren Delegierten über die Zukunft kirchlichen Lebens in Deutschland.

Das gelochte Metallkreuz und Teile des Schriftzugs Synodaler Weg  / © Julia Steinbrecht (KNA)
Das gelochte Metallkreuz und Teile des Schriftzugs Synodaler Weg / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR