Bilanz und Ausblick: Kurienkardinal Kasper im Interview

"Ich werde wahrscheinlich in Rom bleiben"

Der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper wird an diesem Mittwoch 75 Jahre alt. Mit Erreichen dieser Altergrenze müssen Bischöfe nach katholischem Kirchenrecht dem Papst ihren Rücktritt anbieten. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht der vatikanische "Ökumene-Minister" über Erreichtes, über Ziele und seine persönlichen Zukunftspläne.

 (DR)

KNA: Herr Kardinal, der 75. Geburtstag ist ein besonderes Ereignis. Was empfinden Sie?

Kasper: Zunächst eine große Dankbarkeit: Ich kann auf ein reiches Leben zurückblicken. Mir sind 75 Jahre ohne große Unglücke oder Krankheiten geschenkt worden. In der Pfarrei, an der Universität, dann als Bischof und schließlich hier in Rom konnte ich vielen Menschen begegnen. Ich hoffe, dass einiges von dem, was wir erarbeitet haben, auch weiter Bestand hat - für die Kirche und die Menschen.

KNA: Für einen Kurienkardinal ist dieser Geburtstag eine Zäsur.

Kasper: Man schreibt dem Papst einen Brief und bietet den Rücktritt von seinen Ämtern an. Ich habe das getan, aber noch keine Antwort erhalten. Im Allgemeinen wird bei Kurienkardinälen noch ein bisschen verlängert. Ich sehe der Antwort gelassen entgegen. Denn wenn ich hier nicht mehr im Amt bin, habe ich noch einige Pläne, weiter theologisch zu arbeiten.

KNA: Seit fast neun Jahren prägen Sie in Rom die Ökumene. Wie ist Ihre bisherige Bilanz?

Kasper: Mir ist, glaube ich, zweierlei gelungen. Zunächst konnten wir den Dialog mit den altorientalischen Christen wieder auf den Weg bringen, der bei meiner Ankunft praktisch nicht mehr existierte - mit den Kopten, den Syrern, den Armeniern. Das Zweite sind Fortschritte im Dialog mit den orthodoxen Christen. Zwar wird das in Deutschland nicht besonders beachtet, ist aber von großer Bedeutung für die Integration von Ost- und Westeuropa. Bei meinem Amtsantritt lag dieser Dialog praktisch am Boden; die Theologen-Gespräche waren unterbrochen, im Kontakt zum Moskauer Patriarchat herrschte Eiszeit.

Hier konnten wir in der Zwischenzeit schöne Fortschritte erzielen und viele Freundschaften aufbauen.

Im Dialog mit den traditionellen evangelischen Kirchen läuft es im Allgemeinen auf der Ebene der Gemeinden und Diözesen ordentlich. Aber es hat keine großen Durchbrüche, teilweise eher Rückschläge gegeben.

Nach der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre 1999 meinten wir, einen sehr großen Schritt vorangekommen zu sein. Das war in der Tat der Fall, aber wir sind in der Frage der ekklesiologischen Konsequenzen kaum weitergekommen. Derzeit gibt es innere Umbrüche und theologische Bewegungen, die den Dialog nicht sehr viel weiter bringen.

Was die sogenannte Ökumene der Profile angeht, so halte ich das für keine gute Formulierung; das klingt nach Profilierung. Derartiges gibt es zweifellos auch in der katholischen Kirche. Wir müssen von dem größeren Gemeinsamen ausgehen und das neu vertiefen. Ich habe den Eindruck, dass die gemeinsame Basis, das Bekenntnis des Credo und der Taufe, etwas zerbröselt - und dann bricht die Ökumene in sich zusammen. Was ethische Werte angeht, haben wir heute mit gewissen evangelikalen Gemeinschaften fast eine bessere Zusammenarbeit als mit manchen traditionellen protestantischen Kirchen. Ich bedauere diese Entwicklung überaus.

KNA: Heißt das, dass Sie als Ökumene-Minister nicht erreicht haben, was Sie erreichen wollten?

Kasper: Sicher nicht - denn das Ziel ist die volle Kirchengemeinschaft, und von der sind wir noch weit entfernt. Aber es gibt viele Annäherungen. Ebenso wichtig wie Dokumente war mir ein Netz von persönlicher Begegnung und Freundschaften. Der theologische Dialog funktioniert nur dort, wo auch Vertrauen besteht, wo man einander kennt und schätzt. Da ist vieles in diesen neun Jahren gewachsen. Der Stuhl Petri ist heute ein Bezugspunkt für alle Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Es ist selbstverständlich geworden, dass Kirchenvertreter nach Rom kommen und Kontakt mit dem Papst haben wollen. Dazu haben wir unseren Beitrag erbracht. Das gehört auch zu den Erfolgen.

KNA: Was ist für die Ökumene im jetzigen Pontifikat anders als früher? Manchmal hat man den Eindruck, die Zeit der spektakulären Gesten und Einheits-Visionen sei vorbei, und man denke und handele nun eher kleinteiliger.

Kasper: Zunächst möchte ich sagen, was gleich ist: die grundsätzliche ökumenische Option. Daran lässt der gegenwärtige Papst keinerlei Zweifel. Ökumene ist nicht eine Option, die man haben kann oder nicht, sondern eine heilige Verpflichtung aufgrund des Auftrags Jesu Christi. Es ist richtig, dass es heute weniger Gesten und spektakuläre Ereignisse gibt, dafür aber eine Vertiefung im Theologischen, eine Besinnung auf das Gemeinsame: dass wir das festhalten und vertiefen, damit es nicht zerbröselt. Ich würde das nicht als kleinteilig bezeichnen; es geht vielmehr um eine Verwesentlichung der Ökumene und vor allem um die spirituelle Ökumene, die freilich nicht spektakulär ist.

KNA: Sie sind auch für den Kontakt zum Judentum zuständig.

Kasper: Hier hat das Konzil eine neue Seite aufgeschlagen, indem es die jüdischen Wurzeln der Kirche wiederentdeckte. Der Papst hat immer wieder betont: Wir sind gemeinsam Kinder Abrahams, die Juden sind unsere älteren Brüder. Hier sind wichtige Dinge passiert. Zu Beginn des Dialogs ging es neben theologischen Vertiefungen natürlich um die Probleme der Geschichte. Vor allem der Holocaust musste aufgearbeitet werden - soweit das menschlich überhaupt möglich ist. Das ist mit großer Ehrlichkeit geschehen.

In den vergangenen Jahren haben wir uns auf Initiative der jüdischen Partner neuen Aufgaben und Themen zugewandt. Neben dem Rückblick auf die Vergangenheit - die wir nie vergessen dürfen und die eine Warnung für die Zukunft bleiben muss - erörtern wir unsere gemeinsame Verpflichtung für Zukunftsfragen der Menschheit wie Frieden, Menschenrechte, Erziehung. Zu vielen Themen haben wir gleiche oder ähnliche Wertvorstellungen. Natürlich wird das Verhältnis zwischen Juden und Christen nie einfach, konfliktlos oder spannungsfrei sein.
Zum Teil hängt das mit dem Nahost-Konflikt zusammen, auch wenn wir immer klar zwischen religiöser Beziehung und politischen Fragen unterscheiden. Aber in den vergangenen Jahren ist mit führenden Vertretern der religiösen Juden eine Freundschaft entstanden - und das gehört für mich mit zum Schönsten, was ich hier erfahren durfte.

Solche Beziehungen tragen dann auch über schwierige Situationen hinweg.

KNA: Was sind ihre persönlichen Perspektiven?

Kasper: Zunächst muss ich den Antwortbrief des Heiligen Vaters abwarten. Ich gehe davon aus, dass ich noch ein bisschen hier bleiben muss und tun kann, was im Augenblick in der Ökumene möglich ist. Aber dann hätte ich auch gerne noch ein paar Jahre für die theologische Arbeit. In den zehn Jahren als Bischof und dann in den fast zehn Jahren in Rom hat sich bei mir manches in der Theologie verändert.

Die Perspektiven sind größer, weltweiter geworden. Zudem würde ich mich auch gerne noch etwas mehr der Seelsorge widmen. Ich könnte mir vorstellen, für Priesterkurse, für Exerzitien oder in einer Gemeinde zur Verfügung zu stehen. Das hängt natürlich davon ab, wie lange mir der liebe Gott noch die Gesundheit schenkt.

KNA: Gehen Sie dann nach Deutschland oder bleiben Sie in Rom?

Kasper: Ich werde wahrscheinlich in Rom bleiben. Noch einmal alle Bücher über die Alpen zu befördern und einen neuen Haushalt zu eröffnen, wäre für mein Alter zu mühsam. Und Rom ist ja auch schön.

Interview: Johannes Schidelko (KNA)