Bewegende Andacht für Geflüchtete zur Dreikönigswallfahrt

"Gott wird unsere Gebete erhören"

Am Wochenende feierte Weihbischof Puff mit Geflüchteten und Geistlichen ver­schiedener inter­natio­naler katho­lischer und ortho­doxer Gemeinden einen Gottesdienst im Kölner Dom. Der Krieg in der Ukraine war dabei allgegenwärtig.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Andacht für Geflüchtete anlässlich der Dreikönigswallfahrt / © Beatrice Tomasetti (DR)
Andacht für Geflüchtete anlässlich der Dreikönigswallfahrt / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"Ohne Gott hätte ich keine Hoffnung. Ohne meinen Glauben würde ich das nicht schaffen. Ihn brauche ich wie die Luft zum Atmen". Galina Yatsyshyn sitzt in der ersten Reihe. Über die Kirchenbank hat sie die ukrainische Nationalfahne gehangen. Die 52-Jährige spricht gebrochenes, aber verständliches Deutsch. Denn sie lebt nun schon seit Ausbruch des Krieges mit ihrer Tochter, ihrer Schwiegertochter und insgesamt sechs Enkelkindern in Köln.

Tag und Nacht gingen die Sirenen 

Die Männer mussten zuhause in Ternopil, im Westen der Ukraine, bleiben. Sie würden im Krieg gebraucht und dürften das Land nicht verlassen, berichtet sie. Ihr Sohn, der dort ein Geschäft unterhält, habe dennoch Glück: Eine Kopfverletzung aufgrund eines Unfalls vor fünf Jahren mache ihn kampfuntauglich.

Andacht für Geflüchtete anlässlich der Dreikönigswallfahrt / © Beatrice Tomasetti (DR)
Andacht für Geflüchtete anlässlich der Dreikönigswallfahrt / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die Stadt mit über 220.000 Einwohnern sei nicht so zerstört wie viele andere, aber Tag und Nacht gingen die Sirenen. Die Menschen lebten in ständiger Angst vor Einschlägen. Die Männer seien fast alle im Krieg, manche blieben vermisst. Sie bete morgens, mittags und abends für den Frieden, sagt Galina, feiere jeden Sonntag die heilige Messe.

Nun sei sie froh, mit Kaplan Hennadii Aronovyc von der ukrainisch-katholischen Gemeinde in Mülheim und den anderen Geistlichen diese Domandacht mitfeiern zu können; eine zusätzliche Gelegenheit, für die in der Heimat Zurückgelassenen zu beten. So viele junge Menschen seien seit Ausbruch des Krieges bereits gestorben, beklagt sie mit brüchiger Stimme.

Gebete um Frieden

Olena Cherniak stammt aus Saporischschja. Sie gehört zu einer Gruppe Geflüchteter aus dem Klara-Gase-Haus in Düsseldorf-Wersten, für die die Integrationsbeauftragte Sarah Steier einen Ausflug nach Köln zur Domandacht für Geflüchtete im Rahmen der Dreikönigswallfahrt organisiert hat. Im Anschluss soll es zum Pilgermarkt auf dem Roncalliplatz gehen.

Eine Ukrainerin betrachtet eine Fahne. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Eine Ukrainerin betrachtet eine Fahne. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Auch Olena, die Lehrerin ist und sich ehrenamtlich im AWO-Familienzentrum engagiert, lebt mit ihrer Tochter seit März 2022 in Deutschland. In Saporischschja, wo das Atomkraftwerk gleich zu Beginn des Angriffs von den Russen besetzt wurde, sei die Lage sehr gefährlich, erzählt sie. Raketeneinschläge hätten weite Teile der Stadt zerstört. Noch stehe ihr Haus. "Wer weiß, wie lange noch.“

In der Andacht wolle sie für Frieden beten. "Uns ist nichts geblieben als unsere Hoffnung", sagt die Frau unter Tränen und fügt noch hinzu: Sie sei überzeugt, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen werde. "Eine andere Option gibt es nicht".

Olena ist dankbar für die freundliche Aufnahme in Deutschland. Sie und ihre Tochter bekämen jede Unterstützung, um hier heimisch zu werden. Trotzdem wolle sie eines Tages zurück nach Hause, zurück zu ihren Verwandten, zurück zu denen, die ihr so schmerzlich fehlen.

Andacht für Geflüchtete anlässlich der Dreikönigswallfahrt / © Beatrice Tomasetti (DR)
Andacht für Geflüchtete anlässlich der Dreikönigswallfahrt / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"Ich gebe alles in Gottes Hand"

So ergeht es auch Katia Buldiak und Julia Matlach. Die beiden Freundinnen vermissen ihre Männer. Julia hat außerdem ihren 12-jährigen Sohn Nazar bei ihrer Mutter in Chernivzsi zurückgelassen. Und als vorne in der Vierung der ukrainische Chor Lieder aus der Heimat anstimmt, kann sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten, während Katia die Hände vors Gesicht schlägt.

Zu sehr bewegt die beiden jungen Frauen, was sie mit vielen hundert anderen Geflüchteten in dieser Stunde im Kölner Dom erleben. Sie eint der gemeinsame Schmerz um den erlittenen Verlust der Heimat und eines sorglosen Lebens. "Ich habe keine Angst“, erklärt Katia, deren Mann bei der ukrainischen Armee in Kiew ist und die mit ihren drei Kindern vor Verschleppung geflohen ist, nun in der Mülheimer Kirchengemeinde als Katechetin arbeitet. "Gott wird unsere Gebete erhören", schluchzt sie.

Die Lieder des ukrainischen Chors gehen unter die Haut. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Lieder des ukrainischen Chors gehen unter die Haut. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Und Julia ergänzt: "Ich gebe alles in Gottes Hand. Er wird unseren Familien und allen Menschen in der Ukraine beistehen."

Sie alle teilen die Fluchterfahrung 

Die meisten der Gottesdienstteilnehmer, die der Einladung der Aktion Neue Nachbarn im Erzbistum Köln (ANN) zu der Andacht mit und für Geflüchtete gefolgt sind, kommen aus der Ukraine.

Viele der Frauen tragen die für ihr Land typischen Folkloreblusen oder haben sich die Nationalfahne um die Schultern geschlungen. Manche nehmen mit dem Handy auf, was sie später in den sozialen Medien mit ihren Angehörigen teilen wollen.

Diese Ikone aus dem Kloster der Auferstehung in Beirut erinnert an das Schicksal der heimatlos gewordenen Menschen im Libanon. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Diese Ikone aus dem Kloster der Auferstehung in Beirut erinnert an das Schicksal der heimatlos gewordenen Menschen im Libanon. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Vereinzelt sieht man auch Familien mit kleinen Kindern aus Eritrea, aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder asiatischen Ländern. Auch deren Mienen sind ernst und traurig. Manche wirken in sich gekehrt, von traumatischen Erlebnissen gezeichnet.

So unterschiedlich sie auch sind: Gemeinsam ist allen diesen Menschen im Dom das Schicksal einer Fluchterfahrung.

Weihbischof Ansgar Puff in der Andacht für Geflüchtete

"Wir suchen den, der unser Leben in aller Unsicherheit und Not trägt. Wir suchen den mächtigen Gott, der das Herz von Menschen verändern kann, so dass sie Not sehen und handeln." 

Weihbischof Ansgar Puff, der alle Anwesenden, darunter auch viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer aus den Gemeinden, herzlich begrüßt und "zum Kraftschöpfen aus der Begegnung mit dem lebendigen Gott" einlädt, erinnert zunächst daran, dass Menschen schon seit 800 Jahren zum Dom pilgerten wie einst die Heiligen Drei Könige zum neugeborenen Kind in der Krippe, um Christus zu suchen.

Dank an alle Helfer

"Wie sie sind auch wir hierhin gekommen, um Gott zu suchen“, sagt Puff. "Wir suchen den, der unser Leben in aller Unsicherheit und Not trägt. Wir suchen den mächtigen Gott, der das Herz von Menschen verändern kann, so dass sie Not sehen und handeln. Wir suchen den, der machtvoller ist als all das, was uns bedrängt.“

Weihbischof Puff begrüßt die vielen hundert Geflüchteten und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Weihbischof Puff begrüßt die vielen hundert Geflüchteten und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

In einem Gebet formuliert er, wie groß die Herausforderung durch die täglich ankommenden Flüchtlinge ist und die, sich als Christinnen und Christen für diese Menschen zu engagieren. Er spricht von der Dankbarkeit für die vielen, die mithelfen würden, deren Not zu lindern, aber auch von der mitunter damit verbundenen Ohnmacht und Überforderung.

Besonders eindringlich wird dann das Thema Vertreibung, Flucht und Heimatverlust noch einmal in den ausgewählten Bibeltexten, die alle versammelten Geistlichen, unter ihnen Vertreter der ukrainisch-katholischen Gemeinde, der syro-katholischen Gemeinde, der eritreisch-katholischen Gemeinde sowie der äthiopisch-orthodoxen Kirche, im Wechsel vortragen. Aber auch in den Fürbitten kommt die ganze Verzweiflung zum Ausdruck, die Menschen auf der Flucht erleben.

Marya Kautz, aus der Ukraine geflohen

"Krieg ist grausam. Er kennt keine Grenzen. Krieg schleicht sich ein. Er kriecht in unsere Nachrichten, in unsere Sprache und dann in unsere Köpfe, ohne dass wir es merken."

Marya Kautz trägt eine sehr bewegende Fürbitte für ihre ukrainischen Landsleute vor. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Marya Kautz trägt eine sehr bewegende Fürbitte für ihre ukrainischen Landsleute vor. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Marya Kautz, gebürtig aus der Ukraine, schildert dabei sehr berührend das Leid ihrer Landsleute, das sich auf alle diejenigen übertragen lässt, die ebenfalls Krieg am eigenen Leib erlebt haben. Sie spricht aus, was zwar viele täglich in den Nachrichten hören, nun im Kölner Dom aber zum Greifen nahe ist. "Krieg ist grausam. Er kennt keine Grenzen. Krieg schleicht sich ein. Er kriecht in unsere Nachrichten, in unsere Sprache und dann in unsere Köpfe, ohne dass wir es merken. Ich möchte nichts von Kampfpanzern wissen, über Streumunition, ballistische Raketen, über Kampfflugzeuge. Ich wäre ohne dieses Wissen glücklich. Aber wir brauchen leider dieses Wissen, weil wir uns schützen müssen."

Sie dankt allen, die so viele Ukrainer aufgenommen hätten. Sie dankt den Krankenhäusern und Ärzten, die die Verwundeten und Kranken heilten, den Bildungseinrichtungen und allen Lehrern, die Ukrainern Deutsch beibringen und im Alltag helfen würden. Und sie dankt allen Freiwilligen und den Hilfsorganisationen, die die Ukraine gerade tatkräftig unterstützten.

Viele Menschen sind in sich gekehrt und beten. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Viele Menschen sind in sich gekehrt und beten. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Ihre Fürbitte gerät zum Appell, als sie sagt: "Lieber Gott, erinnere alle daran, was wir alles nicht dürfen: stehlen, Häuser unserer Nächsten begehren, falsches Zeugnis geben, ehebrechen, töten… Lieber Gott, erinnere die russischen Soldaten daran (…) Schütze alle, die deine Gebote befolgen und den Mut haben, sich in der heutigen Welt für Demokratie und Freiheit einzusetzen."

"Nur wenige schaffen es bis Europa"

Frank Johannes Hensel, Leiter der Aktion Neue Nachbarn und Diözesan-Caritasdirektor

"Wie wir uns als Gesellschaft den Flucht- und Migrationsnöten stellen, daran ist die Kraft und die Zukunftsfähigkeit von Zivilisationen zu erkennen und daran ist auch abzulesen, ob wir ein zivilisiertes Land in Europa sind."

Dr. Frank Johannes Hensel, Leiter der Aktion Neue Nachbarn im Erzbistum Köln, bei seiner Ansprache. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Dr. Frank Johannes Hensel, Leiter der Aktion Neue Nachbarn im Erzbistum Köln, bei seiner Ansprache. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"Wir führen keine Debatten um Obergrenzen und Abschreckung – wir helfen!" Diese Botschaft hatte zuvor Dr. Frank Johannes Hensel, Leiter der Aktion Neue Nachbarn und Diözesan-Caritasdirektor, bei seiner Ansprache an die Geflüchteten gerichtet. Der Umgang mit Geflüchteten sage viel über den Zivilisationsgrad einer Gesellschaft aus, betonte er: "Wie wir uns als Gesellschaft den Flucht- und Migrationsnöten stellen, daran ist die Kraft und die Zukunftsfähigkeit von Zivilisationen zu erkennen, und daran ist auch abzulesen, ob wir ein zivilisiertes Deutschland in Europa sind."

Noch nie seien so viele Menschen auf der Flucht gewesen wie in den letzten Monaten: weltweit mehr als 110 Millionen nach Angaben des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen. "Die weitaus meisten sitzen, warten, bangen und hoffen in den Nachbarländern ihrer Heimat. Nur wenige schaffen es bis Europa, etliche verlieren dabei ihre Gesundheit oder ihr Leben an den Grenzen Europas."

Hensel erinnerte an 27.845 Tote, die seit 2014 auf dem Mittelmeer gestorben seien, da sie in einem Akt der Verzweiflung meist mit der ganzen Familie in Boote gestiegen seien, um aus ihrer Heimat zu fliehen.

Andacht für Geflüchtete anlässlich der Dreikönigswallfahrt / © Beatrice Tomasetti (DR)
Andacht für Geflüchtete anlässlich der Dreikönigswallfahrt / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Eine der aktuellen globalen Herausforderungen

Flucht und Migration seien sehr bedeutende Phänomene und prägten ganze Epochen – wie auch gerade wieder, sagte Hensel weiter. "Verfolgung, Krieg, Naturkatastrophen, Armut und Hunger treiben Menschen in die Flucht". Um vor Gewalt und Not zu fliehen, riskierten sie ihr Leben. In der Suche nach Schutz, Sicherheit und ein Leben in Würde und Gerechtigkeit sieht Hensel "eine der globalen Herausforderungen unserer Gegenwart und Zukunft“.

Er erklärte, es sei Christenpflicht, Menschen aufzunehmen, zu schützen, zu fördern und zu integrieren, und er führte aus, dass die ANN sich da einsetze, wo es um die Aufnahme in Kitas und Schulen, um den Schutz von Frauen in den Unterkünften vor sexuellen Übergriffen, um bessere Chancen am Arbeitsmarkt oder um Therapieplätze für Traumatisierte gehe.

Erzpriester Dr. Merawi Tebege von der äthiopisch-orthodoxen Kirche in Deutschland trägt einen Lesungstext vor. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Erzpriester Dr. Merawi Tebege von der äthiopisch-orthodoxen Kirche in Deutschland trägt einen Lesungstext vor. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Geflüchtete brauchten eine tragfähige Lebensperspektive für sich und ihre Kinder. "Menschen wollen zu ihren Familienangehörigen, die bereits in Deutschland leben. Menschen wollen arbeiten", unterstrich Hensel. Er solidarisierte sich mit Forderungen, die auch die Caritas, die Deutschen Bischöfe und der Jesuiten-Flüchtlingsdienst formulieren: nämlich niemanden an den EU-Außengrenzen stehen zu lassen, einen besseren Verteilmechanismus, die Seenotrettung nicht zu behindern, den Ausbau von staatlichen humanitären Aufnahmeprogrammen sowie Verständnis und Mitgefühl mit Geflüchteten.

Die Andacht, in der Dr. Merawi Tebege, Erzpriester der Äthiopisch-orthodoxen Kirche, nach einem von allen gemeinsam gesprochenen Vater Unser abschließend den Segen spendete, endete mit einer Kerzenprozession durch den Dom, vorbei am Schrein der Heiligen Drei Könige. Vorweg getragen wurde dabei eine Marienikone aus dem "Kloster der Auferstehung" in Beirut, die ebenfalls an unfassbares Leid erinnerte. Sie holte das Schicksal der durch die Explosionskatastrophe 2020 heimatlos gewordenen Menschen im Libanon mitten in diese liturgische Feier.

Kölner Dreikönigswallfahrt 2023 mit Friedensbotschaft

Die Bitte nach Frieden steht als Motto über der diesjährigen Dreikönigswallfahrt in Köln. Sie dauert vom 21. bis 24. September, wie das Kölner Domkapitel am Donnerstag ankündigte. Auf dem Programm stehen verschiedene Andachten und Gottesdienste - darunter einer für Menschen mit und ohne Demenz, eine Andacht mit Geflüchteten und eine Pilgermesse mit dem Festkomitee Kölner Karneval. Auch werde es als Rahmenprogramm ein Pilgerfest auf dem Roncalliplatz geben.

Hochaltar und Dreikönigenschrein im Kölner Dom / © Julia Steinbrecht (KNA)
Hochaltar und Dreikönigenschrein im Kölner Dom / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR