Betroffene sehen Benedikt-Entschuldigung kritisch

"Das halte ich schon für fast wahnwitzig"

Bittet Benedikt XVI. um Verzeihung für eigene Fehler oder die Fehler anderer? Oder ist das System schuld? Johannes Norpoth vom Betroffenenbeirat der Bischofskonferenz mit einem kritischen Blick auf das Schreiben des Ex-Papstes.

Benedikt XVI. (KNA)
Benedikt XVI. / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Benedikt XVI. bittet um Verzeihung. Ist das nicht erst mal grundsätzlich gut und wichtig, dass er das macht? Oder kommt Ihnen das zu spät?

Johannes Norpoth (Sprecher des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz): Ja, es ist gut, dass er das macht. Und ja, es kommt natürlich deutlich zu spät. Wir haben das Jahr 2022 und da ist viel, viel passiert in den Zwischenzeiten. Und wenn sich Joseph Ratzinger oder Benedikt XVI. jetzt erst äußert, dann ist das ein Zeitpunkt, der schon relativ weit nach hinten herausgeht. Das muss man schon mal deutlich so sagen.

DOMRADIO.DE: Bischof Bätzing, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, hat die Stellungnahme begrüßt und gesagt, Benedikt XVI. gebühre Respekt für diese Entschuldigung. Sehen Sie das auch so?

Norpoth: Also grundsätzlich gebührt ja jedem Menschen Respekt, der eigene Fehler sieht und die auch tatsächlich eingesteht. Und das auch öffentlich. Nur reden wir an dieser Stelle nicht von einem Menschen, dem im normalen dienstlichen Leben ein Fehler passiert ist, sondern von einer der höchsten Autoritäten innerhalb der katholischen Kirche und einer der exponiertesten Persönlichkeiten der katholischen Kirche in den letzten Jahren. Also insofern ist das tatsächlich ein Schritt, dem Respekt gebührt, weil er dann doch zu einer erheblichen Selbstreflektion geführt hat. Das Problem ist aber: Entschuldigt er sich für seine eigenen Fehler oder ist mal wieder das System das Problem, so wie wir es bei dem einen oder anderen Mitglied des deutschen Episkopats auch schon gehört haben?

DOMRADIO.DE: Das ist der Punkt, den Kritiker jetzt auch bemängeln. Benedikt entschuldige sich weiter eigentlich nicht persönlich und er übernehme auch weiter nicht persönlich Verantwortung. Fehlt Ihnen das in der Stellungnahme?

Norpoth: Ja, es ist schon so, dass er weniger sein eigenes Handeln und damit seine vermeintlichen eigenen Unzulänglichkeiten und Fehler in den Fokus rückt, sondern sich als Verantwortungsträger in der Pflicht sieht, sich für die Dinge, die andere Menschen in diesem System gemacht haben, verantwortlich zu erklären. Das hat eine Form von politischer Verantwortung. Persönliche Verantwortungsübernahme hört sich für mich anders an. Das würde in dem Kontext bedeuten, dass Formulierungen wie "Ich habe Schuld auf mich geladen" kommen und alle anderen Dinge erst mal zurückstehen. Aber das ist wie gesagt, ein grundsätzliches Problem, das wir seit vielen Jahren feststellen müssen. Es wird sich immer grundsätzlich für das System entschuldigt, aber nie für die eigene Unzulänglichkeit, für die eigenen Fehler.

Johannes Norpoth

"Persönliche Verantwortungsübernahme hört sich für mich anders an."

DOMRADIO.DE: Dabei hatten ja die Münchner Gutachter ihm tatsächlich eigene, sehr individuelle Fehler nachgewiesen. Vertuschung sexualisierter Gewalt, da soll er beteiligt gewesen sein. Dann die Teilnahme an einer entscheidenden Sitzung, die bestritten und dann eingeräumt wurde. Wie äußert er sich jetzt dazu, dass er als Lügner bezeichnet worden ist?

Norpoth: Das halte ich schon für fast wahnwitzig. Er entschuldigt sich natürlich dafür und betitelt es als einen redaktionellen Fehler, der in der Hektik der Zeit und der Intensität der Bearbeitung dieses Vorgangs passiert sei. Nun haben wir es mit einem älteren Herrn oder alten Mann zu tun, der in den hohen 90er Jahren natürlich unter extremem Stress steht, der das Ganze aber auch nicht alleine beantwortet hat. Also wenn die ganze Heerschar von Beratern, die sich immer um ihn herum scharen, an dieser Stelle einen Fehler gemacht hat, dann fällt es einfach schwer zu glauben, dass das ein Fehler ist, der auf eine Bearbeitungsdauerproblematik, ein Zeitproblem oder was auch immer ihn begründet haben soll, zurückzuführen ist. Dass es also ein organisatorisches Problem sei. Mir wäre lieber gewesen, sie hätten schlicht und ergreifend zu diesem Thema geschwiegen, dann wird es nicht noch schlimmer. Jede Erklärung, die jetzt kommt in genau diesem Rahmen und diesem Duktus, macht das Ganze ja eigentlich noch schlimmer.

Johannes Norpoth

"Mir wäre lieber gewesen, sie hätten schlicht und ergreifend zu diesem Thema geschwiegen, dann wird es nicht noch schlimmer."

DOMRADIO.DE: Die Stellungnahme enthält auch längere theologische Passagen. Benedikt spricht da vom ewigen Richter, dem er bald gegenüberstehen wird. Dass er darauf vertraut, dass der Herr der gerechte Richter und Freund und Bruder ist. Auch von Jesus auf dem Ölberg ist die Rede. Wie nehmen Sie diese theologischen Textstellen wahr?

Norpoth: Man könnte fast den Eindruck erwecken, Benedikt XVI. habe ein wenig Sorge, vor unseren gemeinsamen höchsten Richter zu treten. Insbesondere im letzten Absatz seiner Stellungnahme wechselt der Fokus sehr, sehr stark von der Betroffenensicht auf eine sehr persönliche Sicht, nämlich die von Benedikt XVI. Jemandem, der für sich sieht, in baldiger Zeit von diesem Leben sich zu verabschieden, dann vor unserem höchsten Richter zu stehen und sich unter sein Urteil zu begeben. Und der letzte Absatz deutet darauf hin, dass er ein wenig Sorge hat, dass dieses Gerichtsurteil anders aussehen könnte, als er sich es erhofft. Ich gebe zu, dass das eine etwas spöttische Sichtweise ist. Man kommt aber langsam aber sicher in diese Richtung, weil nicht anders kann ich diesen letzten Absatz in seiner Stellungnahme verstehen.

DOMRADIO.DE: Sie sind selbst Betroffener. Sie haben schon viel erlebt in den letzten Jahren und Monaten, gerade auch im Umgang mit Kirchenoberen. Was macht das jetzt mit Ihnen, dass das alles jetzt genauso gekommen ist?

Norpoth: Ich habe nach der Veröffentlichung des Münchner Gutachtens zwei Dinge gesagt. Zum einen, dass jedes weitere Gutachten im Moment eigentlich keinen weiteren Erkenntnisgewinn bringt, weil das, was in diesem Gutachten drin steht, insbesondere wir Betroffene seit vielen, vielen Jahren sagen. Zum anderen, dass dieses Gutachten doch besonders ist, und zwar durch die Bedeutung der handelnden Personen. Wir reden hier von einem ehemaligen Kirchenoberhaupt und von einem der engsten Vertrauten des aktuellen Papstes, nämlich von Kardinal Marx. Am Ende des Tages muss man schlicht sagen, dass die Zeit der Analysen vorbei ist und wir endlich ins Handeln kommen müssen. Handeln auch für die Betroffenen. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass zwölf Jahre nach dem großen Skandal wir immer noch intensiv diskutieren über Unzulänglichkeiten eines Systems zur Anerkennung des Leids. Diskutieren über Schmerzensgeldzahlungen, angefangen von der Beitragshöhe bis in zur Frage wie man seine Ansprüche überhaupt anmelden kann. Das finde ich zunehmend beschämend. Und ich will hoffen, dass das Münchner Gutachten und die Deutlichkeit, mit der die Öffentlichkeit an dieser Stelle auf das Gutachten reagiert hat, endlich dazu führt, dass in diese wesentlichen Fragestellungen endlich Bewegung kommt.

DOMRADIO.DE: Was hätten Sie sich denn gewünscht von Benedikt? Was sollte er jetzt tun?

Norpoth: Am Ende tatsächlich tätige Reue, ein Zeichen setzen. Das Zeichen würde bedeuten, dass sein weißes Gewand eben kein weißes mehr wäre, sondern er sich einfach auf seine Position als Kardinal oder als einfacher geweihter Priester zurückzieht. Ich glaube, er tut sich, er tut seinen Beratern und er tut auch unserer gemeinsamen Kirche keinen Gefallen, wenn er an dieser Stelle auf dem Level, in dieser Art und Weise weiterhin wirkt und am Ende sein eigenes Lebenswerk auch selber demontiert. Und ich glaube, das muss in dieser Form und dieser Art und Weise nicht sein. Und es wäre auch ein eindeutiges Zeichen für die Betroffenen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

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Münchner Missbrauchsgutachten / © Sven Hoppe/DPA-Pool (KNA)
Münchner Missbrauchsgutachten / © Sven Hoppe/DPA-Pool ( KNA )
Quelle:
DR